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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Rintelen, F: Dante über Cimabue II
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0109
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phantastischen Stammbaum aus der Renaissance1), der ist bis jetzt von niemandem
erbracht worden, und manche Zeichen deuten darauf, daß die Forschung zu-
gestehen wird, sie danke Vasari auch auf diesem Gebiete manchen Wegweiser
wenigstens zur Wahrheit. Ich selbst habe in dem Buch, das ich über Giotto
schrieb, die Cimabue-Frage nicht erörtert. Bei der großen Zahl schwieriger Pro-
bleme, mit denen ich ohnedies zu tun hatte, wird man mir die Berechtigung, in
diesem Punkt zu schweigen, schwerlich wollen abstreiten. Trotzdem kommt der
Name natürlich in dem Buche vor und, wie ich eingestehen muß, nicht immer, wie
ich mich zu erinnern glaubte, mit einem Fragezeichen, sondern schlechtweg.
Jedoch nicht in dem Sinne, als hätte ich das Individuum Cimabues klar vor Augen,
sondern in der allgemein gebräuchlichen Art, die Cimabue als den vornehmsten
Florentiner Vertreter der Malerei vor Giotto hinnimmt; etwa wie Wilhelm Vöge
im Jahre 1902, also trotz Wickhoff, den positiven, aber dennoch nichts prätendie-
renden Satz geschrieben hat: „War nicht auch die byzantinische Kunst des 13. Jahr-
hunderts ein Ende, ja das Ende vom Ende? Kommen nicht doch Cimabue und
Duccio von ihr her?2)" Das aber, was ich in meinem Buche p. g6f. über die
Beeinflussung Giottos durch die Plastik oder p. 180 über die Ungreifbarkeit seines
Schülerverhältnisses zu Cimabue in Assisi geschrieben habe, zeigt mit aller Deut-
lichkeit, daß ich nicht ein blinder Nachredner Vasaris gewesen bin. Ich möchte
allerdings auch Wickhoff nicht blind nachreden. Das aber will Dvorak nicht
dulden und so schreibt er — wahrhaft blindlings — ich hätte Wickhoff ab-
gekanzelt3), weil er das Gestrüpp der Cinquecentofabeleien habe wegräumen
wollen. Nein, ich habe ihn nicht abgekanzelt, sondern habe die Schwäche seiner
Argumentation aufgedeckt, und nicht mit Hinblick auf seine Bemühung gegen die
Cinquecentofabeleien, die ich vielmehr anerkannt habe, sondern wegen der „Cimabue-
tötung, die er uns statt einer Cimabue-Wiederherstellung gebracht habe".
Zu diesem Zwecke mußte nach allen mir bekannten Regeln der „Methode"
oder, um mich eines mir näher liegenden und das Wesentliche besser bezeich-
nenden Ausdrucks zu bedienen: nach allen Forderungen des gesunden Menschen-
verstandes vor allem anderen die wichtigste Quelle unseres Wissens über Cimabue
untersucht werden: Dantes berühmte Verse, und ich begreife durchaus nicht,
warum Dvorak die Beurteilung dieser Quelle eine Nebenfrage nennt. Gerade wenn
man nicht den Streit um dieses oder jenes Gemälde des Cimabue will, sondern
sich die Aufhellung des ganzen, in so tiefer Dunkelheit liegenden Cimabueproblems
vornimmt, muß man dann nicht mit der äußersten Behutsamkeit den Gehalt der
ersten Quelle unseres Wissens zu erforschen suchen, ganz besonders, wenn diese
Quelle Dante ist? Nur dann darf man ja auch hoffen, fruchtbar weiterzuarbeiten.
Es ist sehr begreiflich, daß Wickhoff, indem er von den Cimabueirrtümern Vasaris
seinen Ausgang nimmt, im Zurückschreiten unwillkürlich alles Frühere im Nebel
jener späteren Irrtümer sieht, so daß er schließlich meint, es gäbe nur Irrtümer
zu erklären, und nicht mehr fragt, wieviel Wahrheit sich etwa hinter dem falschen
Schein verbergen möchte. Umgekehrt aber wird für jeden, der von dem klaren

(1) So Dvorak.

(2) Repertorium 1902, p. 428.

(3) Abkanzeln — welch ein Wort! Ich bewahre dennoch die mir durch meine Natur gezogenen
Grenzen; mein kurzer Artikel ist ja jedermann zugänglich, so daß alle entscheiden können, ob ich
auch nur um eines Haares Breite von dem gegenüber Wickhoff gebotenen Ton abgewichen bin. —
Dafür aber bleibt Dvorak die Ehre des Wortes, ich hätte geschrieben „wie der Nächstbeste".

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