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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Rintelen, F: Dante über Cimabue II
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0111
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schlimm, daß weder ein Früherer, noch Dvorak jenen Danteworten Aufmerksamkeit
geschenkt hat, wenn fast jeder Kommentar darauf hinweist? Oder ist es genug,
daß etwas in einem Buche steht? Steht es nicht darin, auf daß es benutzt werde
und beruht nicht alle wissenschaftliche Methode auf der Kunst, das Rechte am
rechten Fleck und zur rechten Zeit hervorzuholen? Was nützt es den Lesern,
daß Dvorak, wie er gesteht, jene Danteverse ebensogut gekannt hat wie ich? Ja,
hat der Leser nicht sogar ein Recht, sich zu beschweren, daß Dvorak ihm sein
Wissen vorenthielt, und geradezu das Gegenteil von dem, was er doch wußte,
hinschrieb?
Nun aber, nachdem jene Danteworte durch mich ans Licht gezogen worden
sind, nimmt Dvorak wenigstens zu ihnen Stellung. Freilich nur, um sie möglichst
schnell wieder ins Dunkel zurück zu diskutieren. Was geht es uns an, wie hoch
der Dichter den anderen gelobt hat? Darauf komme es an, meint Dvorak, und
der Leser beachte freundlichst, wie hier mit kurzem aber sicherem Griff die
Grundlage des Problems verschoben wird — darauf komme es an, ob durch die
Parallele mit Guinicelli diejenige Stellung Cimabues zu erweisen sei, die ihm —
Vasari vindiziert habe! Mir scheint, darauf gerade kommt es hier nicht im ge-
ringsten an, was Vasari 200 Jahre später auf Grund aller möglichen Nachrichten
und Vermutungen von Cimabue gehalten hat, sondern darauf, was Dante, der Zeit-
genosse, über ihn gedacht hat. Das ist es, was wir wissen müssen und was ich
festzustellen bemüht gewesen bin.
Aber gut. Lassen wir mit Dvorak „das Maß des Lobes" auf sich beruhen;
wenn wir nur die Substanz des Verhältnisses von Dante zu Guinicelli kennen
lernen. Ich hatte berichtet, daß Dante den älteren Dichter nicht nur gelobt und
verehrt, sondern wahrhaft bejubelt habe, und nicht nur das, sondern daß er den
Guinicelli seinen Vater und den Vater aller, die süße und anmutige Liebesgedichte
zu machen wissen, nenne. „Das gerade," rief ich glücklich aus, „ist das Wort
das wir brauchen."
Mein Glück sollte kurz währen. Denn Dvorak kam und schob dies ganze Zeug
aus dem XXVI. Gesang des Purgatorio mit rauher, aber gelehrter Hand beiseite.
Ich hätte doch gefälligst dem Guinicelli nachgehen sollen. Und er zeigte mir, wie
man das macht. Er nahm die gangbarste moderne italienische Literaturgeschichte
zur Hand, schlug sie auf und las nach, welches die Ansicht von Signor Bartoli
über Guinicelli sei. Er fand da viel, soviel, daß es nur in einen Satz hineinging,
der auf Seite 78 des inkriminierten Jahrganges der kunstgeschichtlichen Anzeigen
(ruhmwürdiger Vergangenheit) von Zeile 2 bis 16 reicht, und den der Leser selber
studieren mag, um zu sehen, ob er darin statt hochgelehrter Worte auch nur den
Schimmer einer neuen Klarheit finden kann.
Ist denn das die berühmte Methode? Wir haben einen Schriftsteller; ein paar
an sich vollkommen klare Sätze geben gleichwohl Anlaß zu Meinungsverschieden-
heiten. Um aus diesen herauszukommen, wird auf andere, bisher nicht beachtete
Aussprüche des gleichen Schriftstellers hingewiesen, und durch sie wortwörtlich
die verteidigte Erklärung jener anderen Sätze belegt. Da aber heißt es: nein, laß
deinen alten Schriftsteller beiseite und höre an, was ein neuerer Geschichts-
schreiber über die Sache denkt; wie wenn durch einen solchen besser als durch
Dantes eigene Worte Dante erklärt werden könnte. Und so redet derselbe Ge-
lehrte, der sonst gar nicht des Eiferns gegen das Hineintragen moderner An-
schauungen in die alten Dinge müde werden konnte.
Jedoch auch dieser Vergewaltigung hält die Wahrheit stand, denn, sowie wir

toi
 
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