Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

DOI Artikel:
Rintelen, F: Dante über Cimabue II
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0122

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Schlankheit Giottos Plan geändert. Es liege aber Giottos Zeichnung noch vor
und die befriedige das Auge vollkommen, so daß unser Anonimo zu Unrecht von
Fehlern gesprochen habe. Ich will hier nicht auf die höchst dunkle Geschichte
des „Campanile di Giotto" eintreten; ich will annehmen, der von Wickhoff als
Gewährsmann geachtete Despoti habe mit seinen Aufstellungen recht gehabt. Aber
was wissen wir aus ihnen anderes, als daß i. Andrea den Plan Giottos genau an den
von dem Anonimo uns mitgeteilten Stellen geändert hat; und daß 2. Nardini Despoti
dort, wo Andrea änderte, nicht Fehler, sondern Stilnotwendigkeiten Giottos sah.
Ich stelle mir nun die Zeitgenossen Giottos nicht so historisch „gerecht" und sanft
wie einen Forscher des 19. Jahrhunderts vor, könnte mir vielmehr recht gut denken,
daß die jungen Leute von damals den greisen Giotto sehr vom alten Stil fanden
und tapfer das, was ihnen an seinem Bauwerk nicht gefiel, Fehler nannten. Genau
so haben es ja die Maler gemacht. Denn erzählt uns nicht gegen Ende des Jahr-
hunderts ein anderer Dantekommentator, Benvenuto da Imola, den Wickhoff auch
nur als Anekdotenerzähler in seiner Abhandlung auftreten läßt: „Giottus adhuc
tenet campum, quia nondum venit alius eo subtilior, cum tarnen fecerit aliquando
magnos errores in picturis suis, ut audivi a magnis ingeniis"? Ich würde mich
daher nicht nur für berechtigt, sondern für verpflichtet halten, die Stelle des Ano-
nimo als einen Typ naiven und natürlichen Urteils in einer künstlerisch rasch
vorwärts schreitenden Zeit der besonderen Aufmerksamkeit meiner Zuhörer zu
empfehlen — bis mir durch Wort oder Bild bewiesen würde, daß die ganze Ge-
schichte sich nicht reime. Den Anonimo aber würde ich besonders wichtig
nehmen, da er so klug gewesen ist, die larmoyante Geschichte von Giottos infolge
des Streites erfolgten Tode nicht zu glauben, und da wiederum sein vortreffliches
dicesi anzuwenden. Wickhoff macht es anders; er erweckt den Anschein, als habe
der Anonimo das gebrochene Herz Giottos aus seiner Novellisten-Phantasie ge-
schöpft, und weil dieser Erzählung wenig Wert zukommt, hält er den ganzen
Autor, der doch in diesem Urteil völlig mit ihm übereinstimmte, für erledigt und
nennt seinen Bericht kurzer Hand eine Fabel.
Also auch bei der Behandlung des für unsere Frage wichtigsten Dante-Kommen-
tars ist Wickhoff durchaus nicht so sorgfältig vorgegangen, daß man jedes Wort
hinnehmen müßte. Ich kann die ganze Abhandlung, die um so besser wird, jemehr
die Willkür der Zuschreibungen wirklich einsetzt, nicht verfolgen, aber ich muß
noch auf eine sehr charakteristische Wendung hinweisen.
Zum erstenmal seit Dante hat sich etwa 150 Jahre nach Cimabues Tod ein auf
der Höhe des Geistes und der Kunst stehender Mann über Cimabue geäußert.
Das war Ghiberti, dessen Interesse für das Trecento bekannt ist, der aber zu der
Kunst des Ducento kein Verhältnis mehr gehabt hat. Für sein, aus bereits recht
großer Entfernung zurückblickendes Auge schieden sich um das Jahr 1300 zwei
Dinge scharf voneinander: die alte, von ihm griechisch genannte und die neue,
nationale Kunst. Während er in Giotto den Eröffner der neuen Weise erblickte,
galt ihm Cimabue für den letzten großen Meister der alten maniera. Bei Ghibertis
hoher Urteilskraft wird man sich über eine solche Klarheit der historischen Per-
spektive nicht wundern. Aus seinem kurzen Wort spricht das Bewußtsein von
dem, was wir seither eine historische Epoche zu nennen pflegen. Diese ge-
schichtlich so bemerkenswerte Tatsache hat Wickhoff nicht wahrgenommen, denn
unbedenklich schreibt er: „So hatte es auch Dante gemeint." Aber woher weiß
er das nur? Nicht mit dem leisesten Hauch ist bei Dante etwas dem Ähnliches
angedeutet. Sicherlich hat er für das Neue, das Giotto gebracht hat, Empfinden
11?
 
Annotationen