gehabt, aber daß er eine tiefe, Epoche machende Kluft zwischen Cimabue und
Giotto gesehen habe, wie Ghiberti es tat, davon steht in seinem Text nichts und,
genau wie es unberechtigt wäre, wollte man Vasaris Konstruktion, der es gefällt,
den Cimabue den Ersten zu nennen, mit Dante stützen, genau so unberechtigt
und verwirrend ist es, die Verse Dantes nach der Epochenkonstruktion Ghibertis
zu deuten, und also die Theorie, Cimabue sei ein Letzter, bei Dante wiederfinden
zu wollen. Konstrukteure sind beide: Ghiberti sowohl wie Vasari, und aller Wahr-
scheinlichkeit nach haben sie beide von irgendeinem Standpunkt aus recht; Dante
aber bringt nichts als eine Tatsache; er verharrt den Meinungen der Späteren
gegenüber in stummer Neutralität. -
Mehrmals, während ich in diesen Zeilen den Namen Wickhoffs hinschrieb, hat
mich eine gewisse Traurigkeit beschlichen, daß ich durch Dvoraks häßlichen Artikel
gezwungen ward, zugleich gegen einen von mir tief beklagten Toten streiten zu
müssen. Aber ich habe es dennoch mit der größten Ruhe getan, denn ich bin
vollkommen sicher: Wickhoff, wenn er heute noch lebte und hätte jemanden mit
soviel Zurückhaltung und Würde, wie ich seinem Andenken gegenüber für selbst-
verständliche Pflicht ansah, auseinandersetzen gehört, inwiefern er mit seinem in
vieler Hinsicht so förderlichen Aufsatz „Über die Zeit des Guido von Siena" doch
auch Unheil gestiftet habe, Wickhoff, sage ich, wäre mit der größten Bereitschaft
auf die Gedanken des Jüngeren, und gerade des Jüngeren eingegangen; er hätte
sich weit von aller Rechthaberei gehalten und vom Herausklauben irgendeiner
kleinen Unvorsicht, die dem Angreifer etwa untergelaufen wäre. Ich ja habe nur
wenigemal das Glück gehabt, mit diesem ausgezeichneten Manne zu sprechen,
aber wie vieles durfte ich, obschon ich um zwölf Jahre jünger war als heute, seinen
Meinungen entgegen halten; mit wie freundlichem Humor ließ er sich sagen, man
glaube ihn im Irrtum. Noch mehr aber bin ich deshalb vor den Manen Franz
Wickhoffs in Ruhe, weil ich mir bewußt bin, mit soviel Kräften, als mir etwa ver-
liehen sind, an dem fortzuwirken, was ihm über allem, und besonders über allem
Persönlichen stand: der Förderung der Wahrheit. Errare humanum. Und Wickhoff
war, wie Karl Voll einst zu mir sagte, als ich ihm mit großer Freude von meinem
ersten Zusammensein mit dem Wiener Kunsthistoriker erzählte, das, was die neueren
Gelehrten so selten sind: ein Mensch.
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Giotto gesehen habe, wie Ghiberti es tat, davon steht in seinem Text nichts und,
genau wie es unberechtigt wäre, wollte man Vasaris Konstruktion, der es gefällt,
den Cimabue den Ersten zu nennen, mit Dante stützen, genau so unberechtigt
und verwirrend ist es, die Verse Dantes nach der Epochenkonstruktion Ghibertis
zu deuten, und also die Theorie, Cimabue sei ein Letzter, bei Dante wiederfinden
zu wollen. Konstrukteure sind beide: Ghiberti sowohl wie Vasari, und aller Wahr-
scheinlichkeit nach haben sie beide von irgendeinem Standpunkt aus recht; Dante
aber bringt nichts als eine Tatsache; er verharrt den Meinungen der Späteren
gegenüber in stummer Neutralität. -
Mehrmals, während ich in diesen Zeilen den Namen Wickhoffs hinschrieb, hat
mich eine gewisse Traurigkeit beschlichen, daß ich durch Dvoraks häßlichen Artikel
gezwungen ward, zugleich gegen einen von mir tief beklagten Toten streiten zu
müssen. Aber ich habe es dennoch mit der größten Ruhe getan, denn ich bin
vollkommen sicher: Wickhoff, wenn er heute noch lebte und hätte jemanden mit
soviel Zurückhaltung und Würde, wie ich seinem Andenken gegenüber für selbst-
verständliche Pflicht ansah, auseinandersetzen gehört, inwiefern er mit seinem in
vieler Hinsicht so förderlichen Aufsatz „Über die Zeit des Guido von Siena" doch
auch Unheil gestiftet habe, Wickhoff, sage ich, wäre mit der größten Bereitschaft
auf die Gedanken des Jüngeren, und gerade des Jüngeren eingegangen; er hätte
sich weit von aller Rechthaberei gehalten und vom Herausklauben irgendeiner
kleinen Unvorsicht, die dem Angreifer etwa untergelaufen wäre. Ich ja habe nur
wenigemal das Glück gehabt, mit diesem ausgezeichneten Manne zu sprechen,
aber wie vieles durfte ich, obschon ich um zwölf Jahre jünger war als heute, seinen
Meinungen entgegen halten; mit wie freundlichem Humor ließ er sich sagen, man
glaube ihn im Irrtum. Noch mehr aber bin ich deshalb vor den Manen Franz
Wickhoffs in Ruhe, weil ich mir bewußt bin, mit soviel Kräften, als mir etwa ver-
liehen sind, an dem fortzuwirken, was ihm über allem, und besonders über allem
Persönlichen stand: der Förderung der Wahrheit. Errare humanum. Und Wickhoff
war, wie Karl Voll einst zu mir sagte, als ich ihm mit großer Freude von meinem
ersten Zusammensein mit dem Wiener Kunsthistoriker erzählte, das, was die neueren
Gelehrten so selten sind: ein Mensch.
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