immer geneigt sei, früher das Gute bei den Nachbarn zu suchen als bei sich selbst,
in dieser Neigung zur Selbstkritik eher daran krankt, jeden Stoff, jedes Motiv, jede
Form abzuleiten und bis in seine letzten Quellen zurück zu verfolgen, bis dann zu-
letzt bei solcher Rechnung kaum etwas als eigener Einschuß übrig bleibt. Aber
mit dieser unglücklichen Methode arbeitet nun Male und sucht den Beweis zu
führen: „Diese Barbaren besaßen keinerlei künstlerischen Geist, sie verstanden
nur zu zerstören. In der Kunst des Mittelalters läßt sich nicht ein einziges deut-
sches Element feststellen, vielmehr hat Deutschland diese Kunst des Mittelalters,
die es sich rühmt geschaffen zu haben, fix und fertig von Italien und Frankreich
übernommen." Und wieder: „Wenn die französische romanische Baukunst eines
der schlagendsten Zeugnisse für den schöpferischen Geist Frankreichs darstellt,
so ist hingegen die deutsche romanische Architektur der sichtbare Beweis für die
schöpferische Ohnmacht der Germanen. Auf der einen Seite steht ein Volk, das
die Schöpfergabe vom Himmel empfing, auf der andern eine Rasse von Nach-
ahmern."
Welch überraschendes Ergebnis. Daß die Kunst des frühen Mittelalters im
ganzen abendländischen Norden aufbaut auf der Kunst der Mittelmeerländer, daß
sie auf den Boden der provinzialrömischen Kunst erwächst mit starkem Einschlag
von orientalischen Elementen, die zweimal, noch während der Bildung der römi-
schen Reichskunst und dann vom 5. Jahrhundert ab einwirken, daß daneben die
Faktoren der ägyptisch - koptischen, der arabisch - islamischen Entwicklung mit-
sprechen, daß hinter ihnen die geheimnisvollen Quellgebiete unserer ganzen
westlichen Kultur, Mesopotamien und Zentralasien auftauchen: haben das nicht
gerade deutsche Gelehrte gezeigt und bekannt, selbst übertrieben bekannt? Aber
neben den Koeffizienten der angelsächsischen, der irischen Kunst hat eben auch
die Kunst der Barbarenvölker ihren Platz und gerade der Nachweis der verschie-
denen Anreger zeigt hier bestimmter diesen Einschuß.
Und besteht denn die ganze Geschichte der Menschheit nicht im Aufnehmen
und Umformen, im Weiterreichen und Überliefern älterer Elemente? Was wan-
dert leichter als ein Ornament oder eine Handwerkstechnik? Was ist weniger
bezeichnend und äußerlicher für das künstlerische Wollen eines Volkes als der
Gebrauch eines Ornaments? Wer hat sich bei der heutigen Umgestaltung unserer
dekorativen Anschauungen noch die Herkunft der einzelnen Ornamente klar ge-
macht? Allen diesen Ableitungsversuchen gegenüber gilt es zu betonen, daß das
Entscheidende bei der Bildung eines Stils, der Erschaffung einer künstlerischen
Sprache die Kraft der Synthese ist, daß es darauf ankommt, ob ein Volk, ob ein
Individuum aus den künstlerischen Rohstoffen, die ihm als Material zugeflossen,
versteht, ein Ganzes aufzuführen, ob es das mit seinem künstlerischen Wollen er-
füllen kann, ob es die Fähigkeit der Verschmelzung hat, so daß zuletzt das ge-
prägte Kunstwerk Ausdruck der nationalen Phantasie und Symbol der eigenen
Psyche wird. Es kommt verzweifelt wenig darauf an, auf welche Quellen letzter-
hand irgendein Einzelmotiv zurückführt, sondern darauf, ob ein Volk dies Einzel-
motiv zu seinem künstlerischen Hauptausdrucksmittel umzuformen versteht und
vor allem, ob das sich nun in dieser neuen Sprache offenbarende Fluidum des
immanenten Kunstwillens wirklich auch Ausdruck des gesteigerten Lebens und des
höchsten Schönheitsgefühls eines Volkes oder eines Einzelnen ist.
Und Male redet immer von den Barbaren. Wenn er den Barbaren alle Kunst
des Aufbauens abspricht, leugnet er damit nicht auch für die Anfänge der franzö-
sischen Kunst jede Selbständigkeit? Was er von der Herkunft der einzelnen Motive
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in dieser Neigung zur Selbstkritik eher daran krankt, jeden Stoff, jedes Motiv, jede
Form abzuleiten und bis in seine letzten Quellen zurück zu verfolgen, bis dann zu-
letzt bei solcher Rechnung kaum etwas als eigener Einschuß übrig bleibt. Aber
mit dieser unglücklichen Methode arbeitet nun Male und sucht den Beweis zu
führen: „Diese Barbaren besaßen keinerlei künstlerischen Geist, sie verstanden
nur zu zerstören. In der Kunst des Mittelalters läßt sich nicht ein einziges deut-
sches Element feststellen, vielmehr hat Deutschland diese Kunst des Mittelalters,
die es sich rühmt geschaffen zu haben, fix und fertig von Italien und Frankreich
übernommen." Und wieder: „Wenn die französische romanische Baukunst eines
der schlagendsten Zeugnisse für den schöpferischen Geist Frankreichs darstellt,
so ist hingegen die deutsche romanische Architektur der sichtbare Beweis für die
schöpferische Ohnmacht der Germanen. Auf der einen Seite steht ein Volk, das
die Schöpfergabe vom Himmel empfing, auf der andern eine Rasse von Nach-
ahmern."
Welch überraschendes Ergebnis. Daß die Kunst des frühen Mittelalters im
ganzen abendländischen Norden aufbaut auf der Kunst der Mittelmeerländer, daß
sie auf den Boden der provinzialrömischen Kunst erwächst mit starkem Einschlag
von orientalischen Elementen, die zweimal, noch während der Bildung der römi-
schen Reichskunst und dann vom 5. Jahrhundert ab einwirken, daß daneben die
Faktoren der ägyptisch - koptischen, der arabisch - islamischen Entwicklung mit-
sprechen, daß hinter ihnen die geheimnisvollen Quellgebiete unserer ganzen
westlichen Kultur, Mesopotamien und Zentralasien auftauchen: haben das nicht
gerade deutsche Gelehrte gezeigt und bekannt, selbst übertrieben bekannt? Aber
neben den Koeffizienten der angelsächsischen, der irischen Kunst hat eben auch
die Kunst der Barbarenvölker ihren Platz und gerade der Nachweis der verschie-
denen Anreger zeigt hier bestimmter diesen Einschuß.
Und besteht denn die ganze Geschichte der Menschheit nicht im Aufnehmen
und Umformen, im Weiterreichen und Überliefern älterer Elemente? Was wan-
dert leichter als ein Ornament oder eine Handwerkstechnik? Was ist weniger
bezeichnend und äußerlicher für das künstlerische Wollen eines Volkes als der
Gebrauch eines Ornaments? Wer hat sich bei der heutigen Umgestaltung unserer
dekorativen Anschauungen noch die Herkunft der einzelnen Ornamente klar ge-
macht? Allen diesen Ableitungsversuchen gegenüber gilt es zu betonen, daß das
Entscheidende bei der Bildung eines Stils, der Erschaffung einer künstlerischen
Sprache die Kraft der Synthese ist, daß es darauf ankommt, ob ein Volk, ob ein
Individuum aus den künstlerischen Rohstoffen, die ihm als Material zugeflossen,
versteht, ein Ganzes aufzuführen, ob es das mit seinem künstlerischen Wollen er-
füllen kann, ob es die Fähigkeit der Verschmelzung hat, so daß zuletzt das ge-
prägte Kunstwerk Ausdruck der nationalen Phantasie und Symbol der eigenen
Psyche wird. Es kommt verzweifelt wenig darauf an, auf welche Quellen letzter-
hand irgendein Einzelmotiv zurückführt, sondern darauf, ob ein Volk dies Einzel-
motiv zu seinem künstlerischen Hauptausdrucksmittel umzuformen versteht und
vor allem, ob das sich nun in dieser neuen Sprache offenbarende Fluidum des
immanenten Kunstwillens wirklich auch Ausdruck des gesteigerten Lebens und des
höchsten Schönheitsgefühls eines Volkes oder eines Einzelnen ist.
Und Male redet immer von den Barbaren. Wenn er den Barbaren alle Kunst
des Aufbauens abspricht, leugnet er damit nicht auch für die Anfänge der franzö-
sischen Kunst jede Selbständigkeit? Was er von der Herkunft der einzelnen Motive
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