Und weiter: Die Kunst des französischen Klassizismus und Empire und mehr fast
die Ideen der Revolution und des Kaiserreichs, berufen sie sich nicht immer auf
das republikanische und das kaiserliche Rom? Wie kindlich wäre es, hier die
Frage zu stellen: Was ist neu erfunden? Stammt nicht von Eurem Moliere das
Wort: Je prends mon bien oü je le trouve —?
Daß mit dem Beginn des 13. Jahrhunderts Frankreich für eine der wichtigsten
Wegstrecken der neueren Kunst die Führerrolle übernimmt, wer möchte das leugnen?
Es sind gerade deutsche Gelehrte, die das am lautesten bekundet haben. Vor
17 Jahren hat auf dem internationalen kunsthistorischen Kongreß in Paris Georg
Dehio, den man doch auch in Frankreich als einen der berufensten Kenner und
Wortführer der deutschen Kunst schätzt, vor einem erlesenen Publikum von dem
weitgehenden Einfluß der französischen Kunst auf die deutsche gesprochen,
und wenn Male die deutsche kunstgeschichtliche Literatur genau kennen würde,
würde er finden, daß der Nachweis der französischen Einflüsse und Vorbilder wie
ein roter Faden durch die Forschungen der letzten zwei Jahrzehnte durchgeht.
Das ist Frankreichs Einschuss, sein wichtigster Beitrag zur Weltkultur gewesen,
ein unvergleichliches Phänomen an Fruchtbarkeit und Schöpferkraft, das dann ab-
gelöst wird durch die italienische Renaissance und durch die große niederländische
realistische Kunst. Aber was die einzelnen Länder aus diesen Anregungen ge-
macht haben, gehört wieder ihnen an. Sie haben diese Weltsprache nicht nur zu
eigenen Dialekten, sondern zu nationalen Idiomen umgestaltet. Was wissen die
Franzosen von der deutschen Sondergotik, von der Schmarsow und Gurlitt, Ger-
stenberg und Hänel geschrieben haben, mit ihrer ganz neuen Fragestellung, ihren
ganz neuen künstlerischen Mitteln?
Viel zu sehr beharrt Male zumal in seiner Würdigung der romanischen Kunst
auf der Architektur. Sollte man die Gegenfrage stellen? Was hat denn Frankreich
der wunderbaren Blüte und dem beispiellosen Reichtum der ottonisch-sächsischen
Buchmalerei an die Seite zu setzen? Offenbart sich nicht in diesen Denkmälern
schon am frühesten die deutsche Kunst in ihrer Form als Ausdruckskunst, die
jede Gestalt mit dem höchsten inneren Leben zu erfüllen, jede Geste fast schmerz-
haft gewaltig zu steigern sucht? Und was hat Frankreichs Kunstentwicklung der
anderthalb Jahrhunderte andauernden Blüte unserer primitiven und klassischen
Malerei des 15. und 16. Jahrhunderts und unserer Holzplastik dieser Periode an
die Seite zu setzen? Die Ausdrucksstärke dieser Kunst, der neue Begriff für die
Körperhaftigkeit, ist das nicht genug der Erfindung? Wo haben wir das in Frank-
reich in solcher Pracht, Fülle und Gewalt und in solchem Reichtum der Instru-
mentation? Und dann die Kunst des deutschen Barock, die große, rauschende
Dekoration dessen, was wir so unglücklich Rokoko nennen, so lieblos als unser eigenes
Kind verleugnen, wie innerlich verschieden scheint sie von der Gehaltenheit der
französischen Königsstile und vor allem wieder, welcher Reichtum an Erfindung!
Das sind Binsenwahrheiten — und es ist peinlich, mit Banalitäten auf schön ge-
baute Sätze antworten zu sollen, die doch im Grunde nichts anderes enthalten als
— Banalitäten. Bringt uns aber solche Apothekerrechnung wirklich weiter?
Gleicht die ganze Weltgeschichte der Kunst nicht (was Goethe einst von der Ge-
schichte der Wissenschaft gesagt) einer großen Fuge, in der die einzelnen Stimmen
hintereinander einsetzen? Und die Sprache der bildenden Kunst ist doch auch
nur ein Ausdrucksmittel und ein Ventil für die Phantasie eines Volkes. Seine
beiden anderen Sprachen sind die Dichtung und die Musik. Deutschland ist am
stärksten begnadet gewesen mit musikalischen Genies und am reichsten an äußerer
13°
die Ideen der Revolution und des Kaiserreichs, berufen sie sich nicht immer auf
das republikanische und das kaiserliche Rom? Wie kindlich wäre es, hier die
Frage zu stellen: Was ist neu erfunden? Stammt nicht von Eurem Moliere das
Wort: Je prends mon bien oü je le trouve —?
Daß mit dem Beginn des 13. Jahrhunderts Frankreich für eine der wichtigsten
Wegstrecken der neueren Kunst die Führerrolle übernimmt, wer möchte das leugnen?
Es sind gerade deutsche Gelehrte, die das am lautesten bekundet haben. Vor
17 Jahren hat auf dem internationalen kunsthistorischen Kongreß in Paris Georg
Dehio, den man doch auch in Frankreich als einen der berufensten Kenner und
Wortführer der deutschen Kunst schätzt, vor einem erlesenen Publikum von dem
weitgehenden Einfluß der französischen Kunst auf die deutsche gesprochen,
und wenn Male die deutsche kunstgeschichtliche Literatur genau kennen würde,
würde er finden, daß der Nachweis der französischen Einflüsse und Vorbilder wie
ein roter Faden durch die Forschungen der letzten zwei Jahrzehnte durchgeht.
Das ist Frankreichs Einschuss, sein wichtigster Beitrag zur Weltkultur gewesen,
ein unvergleichliches Phänomen an Fruchtbarkeit und Schöpferkraft, das dann ab-
gelöst wird durch die italienische Renaissance und durch die große niederländische
realistische Kunst. Aber was die einzelnen Länder aus diesen Anregungen ge-
macht haben, gehört wieder ihnen an. Sie haben diese Weltsprache nicht nur zu
eigenen Dialekten, sondern zu nationalen Idiomen umgestaltet. Was wissen die
Franzosen von der deutschen Sondergotik, von der Schmarsow und Gurlitt, Ger-
stenberg und Hänel geschrieben haben, mit ihrer ganz neuen Fragestellung, ihren
ganz neuen künstlerischen Mitteln?
Viel zu sehr beharrt Male zumal in seiner Würdigung der romanischen Kunst
auf der Architektur. Sollte man die Gegenfrage stellen? Was hat denn Frankreich
der wunderbaren Blüte und dem beispiellosen Reichtum der ottonisch-sächsischen
Buchmalerei an die Seite zu setzen? Offenbart sich nicht in diesen Denkmälern
schon am frühesten die deutsche Kunst in ihrer Form als Ausdruckskunst, die
jede Gestalt mit dem höchsten inneren Leben zu erfüllen, jede Geste fast schmerz-
haft gewaltig zu steigern sucht? Und was hat Frankreichs Kunstentwicklung der
anderthalb Jahrhunderte andauernden Blüte unserer primitiven und klassischen
Malerei des 15. und 16. Jahrhunderts und unserer Holzplastik dieser Periode an
die Seite zu setzen? Die Ausdrucksstärke dieser Kunst, der neue Begriff für die
Körperhaftigkeit, ist das nicht genug der Erfindung? Wo haben wir das in Frank-
reich in solcher Pracht, Fülle und Gewalt und in solchem Reichtum der Instru-
mentation? Und dann die Kunst des deutschen Barock, die große, rauschende
Dekoration dessen, was wir so unglücklich Rokoko nennen, so lieblos als unser eigenes
Kind verleugnen, wie innerlich verschieden scheint sie von der Gehaltenheit der
französischen Königsstile und vor allem wieder, welcher Reichtum an Erfindung!
Das sind Binsenwahrheiten — und es ist peinlich, mit Banalitäten auf schön ge-
baute Sätze antworten zu sollen, die doch im Grunde nichts anderes enthalten als
— Banalitäten. Bringt uns aber solche Apothekerrechnung wirklich weiter?
Gleicht die ganze Weltgeschichte der Kunst nicht (was Goethe einst von der Ge-
schichte der Wissenschaft gesagt) einer großen Fuge, in der die einzelnen Stimmen
hintereinander einsetzen? Und die Sprache der bildenden Kunst ist doch auch
nur ein Ausdrucksmittel und ein Ventil für die Phantasie eines Volkes. Seine
beiden anderen Sprachen sind die Dichtung und die Musik. Deutschland ist am
stärksten begnadet gewesen mit musikalischen Genies und am reichsten an äußerer
13°