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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Antworten auf Emile Mâles "Studien über die deutsche Kunst"
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Gurlitt, Cornelius: Dr. Cornelius Gurlitt, Professor an der Technischen Hochschule in Dresden
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Grautoff, Otto: Schlusswort
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0144
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DR. CORNELIUS GURLITT, professor an der
TECHNISCHEN HOCHSCHULE IN DRESDEN

Ähnliche Ansichten, wie sie hier Male wissenschaftlich zu vertreten sucht, habe
ich in der französischen Presse wiederholt angetroffen, so z. B. in Aufsätzen
von Pelatan, ebenso wie in Büchern, die sich einen wissenschaftlichen Anstrich
geben, wie in dem kurz vor dem Kriege erschienenen von Cruchet über die deut-
schen Universitäten. L'Allemagne n'invente pas! ist ein Satz, der dem Franzosen
geläufig geworden ist. Es ist bei ihrer Geistesverfassung ausgeschlossen, ihn durch
Widerlegung auszurotten. Wir müssen uns gewöhnen, daß er bestehen bleibt,
denn es handelt sich hier um eine Sache, in der die Franzosen die Wahrheit zu
hören oder gar selbst zu finden glatt ablehnen. Ist es doch bei ihnen in der Po-
litik — und was ist ihnen nicht nationale Politik — zum Glaubenssatz geworden,
es sei Pflicht des echten Vaterlandsfreundes, selbst auf Kosten der Wahrheit
das dem Vaterland Nützliche zu sagen, das, was die Liebe zum Vaterlande er-
weckt. Es hat keinen Zweck, mit Leuten zu streiten, die fest entschlossen
sind, auch wenn sie sich als im Unrecht befindlich erkennen, dies nicht zu-
zugestehen; die es vielmehr für ihre Ehrenpflicht halten, sich gegen bessere Er-
kenntnis zu wehren.
Wir wollen weiter arbeiten nach dem. Kriege, wie während und vor dem Kriege,
um die Wahrheit zu fördern, falle sie aus wie sie wolle. Und wenn hier und da
ein Fund den französischen Gelehrten Wasser auf ihre Mühle führt, so wollen wir
ihnen solche Brocken gönnen. Vaterlandsliebe ist uns eben Liebe zum Vaterland
und nicht Haß und Hohn gegen seine Feinde. Wir wissen, daß wir das Leben
unserer Nachbarn sorgfältig beobachten müssen, um vor Überraschungen sicher zu
sein und wissen weiter, daß Mißachtung des Feindes ein gefährliches Spiel ist.
Also fühlen wir uns, aus Liebe zu unserem Vaterlande verpflichtet, fremdem
Verdienst gegenüber offene Augen zu behalten, den wahren Wert fremden Volks-
tums zu erkennen. Unser Stolz beruft sich darauf, daß ähnlichen Versuchen, wie
die von Franzosen gemachten, nämlich unserseits französische Leistungen herab-
zudrücken, Männer von Namen bisher ferngeblieben sind, daß wir den Ernst ehr-
licher Würdigung auch im Kriege nicht verlieren zugunsten einer vorgefaßten
„patriotischen" Meinung.
Kunst entwickelt sich als eine über die Völker hinausgreifende Bewegung. Hat
Male recht, daß die Germanen sassanidische Formen benutzten, so hat wohl auch
Dieulafoix recht, der den Kuppelbau Südfrankreichs auf altpersische Einflüsse zurück-
führt, ebenso wie jene französischen Gelehrten, die die Anfänge der Renaissance
als auf italienische, die des Barock auf niederländische, die Anfänge der Romantik
auf deutsche, die der Schule von Barbizon auf englische Einflüsse zurückführen.
Oder haben Lionardo, Holbein, Dürer, Rubens, Bernini, Gau, Hittorf, Turner und
Bonington etwa nicht „Nachahmer" in Frankreich gefunden?
Aus Anregungen heraus haben Franzosen französische, Deutsche aber deutsche
Kunst geschaffen. Und so wird es auch in Zukunft bleiben. Vor mir liegen zu-
fällig die Abbildungen einer Emaille von Limoge und eines Stiches von Dürer, die
sich nahezu decken. Wer ist der „Nachahmer"?

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