kommen haben, wird nicht bestritten. Das gilt besonders für das als Adler, Falke
oder Sperber bezeichnete Raubvogelmotiv. Eigentümlich aber ist es doch, daß von
dem Hirschmotiv, auf dem die skythisch-sibirische Kunst bis zum Überdruß herum-
reitet, in der gotischen und überhaupt in der germanischen Kunst des frühen Mittel-
alters sich nicht die geringste Spur vorfindet. Das sieht doch wohl nicht aus, wie
„eine ängstliche, eintönige Nachahmung der antiken Kunst Asiens."
Daß die Armbänder mit gegenüberstehenden Tierköpfen durchaus skythischen
Ursprungs sein müssen, leuchtet nicht ein. Es ist ein Motiv, zu dem man auch
außerhalb Skythiens Vorbilder finden würde, wenn einmal Vorbilder sein sollen.
Für die Beurteilung des Motivs in der Völkerwanderungskunst der Germanen ist
doch aber, was Male offenbar ganz übersehen hat, nicht unwesentlich, daß in
der vorausgehenden Epoche die germanischen Armbänder eine Vorstufe in einer
ornamentalen Endigung besitzen, aus der sich die Entstehung der Tierköpfe stufen-
weise verfolgen läßt.
Was die verschlungenen Bandmotive anlangt, so genügt für den Fachmann ein
Hinweis auf die lichtvolle und überzeugende Arbeit des Schweden Salin über die
altgermanische Tierornamentik. Außerdem sei daran erinnert, daß Bandornamente
mit stilisierten Tierköpfen ureigenster Besitz der Germanen schon zur Bronze-
zeit waren.
Doch genug der Einzelheiten. Die Verlängerung der Liste kann auch nichts
anderes bieten, als die oben gebrachte Abwehr bestätigen.
Man könnte nunmehr die Akten über dieses unerquickliche Kapitel schließen,
wenn nicht noch ein außerhalb des Sachlichen stehender heimtückischer Angriff
Widerspruch herausforderte. Male stellt es so dar, als ob die deutsche Kunst-
forschung fälschlicherweise den rein germanischen Ursprung der Völkerwanderungs-
kunst behauptet und verbreitet hätte. Zum Beweise nennt er als Vertreter dieser
These — man glaubt seinen Augen nicht zu trauen —: Leon Gautier, Courajod,
die Schule des Louvre. In der ganzen Abhandlung wird auch nicht der einzige
Name eines deutschen Kunsthistorikers genannt, sondern es ist immer nur in all-
gemeinen Wendungen von der deutschen Kunstforschung die Rede. Bei einer so
schwerwiegenden Sache hätte er Namen nennen müssen, damit man klar sieht, wer
„beschuldigt" werden soll, und er hätte genauer die Thesen mit Angabe ihrer
Autoren bezeichnen müssen, an denen er Anstoß nimmt. Kommt es doch ganz
darauf an, was der einzelne Autor unter Ursprung und Wesen einer Kunst ver-
steht — daß Male sich hierüber offenbar selbst nicht ganz klar ist, oder doch
wenigstens so stellt, haben wir oben gesehen. Außerdem liegt es auf der Hand,
daß unter den zahlreichen Deutschen, die sich mit diesen Dingen im Laufe der
Jahre beschäftigt haben, neben Gelehrten ersten Ranges auch solche von geringeren
Qualitäten sich befinden und daß schließlich auf einem so viel umstrittenen und
vielfach noch ungeklärten Gebiet auch unter den besten Sachkennern Meinungs-
verschiedenheiten herrschen. Es wird daher natürlich gelingen, den einen oder
anderen Heißsporn zu finden, der Males Angriff zu rechtfertigen scheint. Aber
damit kann man doch nicht die Gesamtheit der deutschen Kunstforschung treffen!
Und angenommen, Male hätte mit seiner Darstellung recht: wie kommt es, daß
nach seinem eigenen Zeugnis hervorragende französische Gelehrte sich diese „deutsche"
Auffassung zu eigen gemacht haben, wenn sie so falsch ist? Macht er da nicht der
französischen Kunstforschung den Vorwurf der Dummheit und Kritiklosigkeit? Hier
wäre ein deutsches Sprichwort angebracht von der Grube, die man einem andern
gräbt. Will man aber die französischen Vertreter der „germanischen" These, bei
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oder Sperber bezeichnete Raubvogelmotiv. Eigentümlich aber ist es doch, daß von
dem Hirschmotiv, auf dem die skythisch-sibirische Kunst bis zum Überdruß herum-
reitet, in der gotischen und überhaupt in der germanischen Kunst des frühen Mittel-
alters sich nicht die geringste Spur vorfindet. Das sieht doch wohl nicht aus, wie
„eine ängstliche, eintönige Nachahmung der antiken Kunst Asiens."
Daß die Armbänder mit gegenüberstehenden Tierköpfen durchaus skythischen
Ursprungs sein müssen, leuchtet nicht ein. Es ist ein Motiv, zu dem man auch
außerhalb Skythiens Vorbilder finden würde, wenn einmal Vorbilder sein sollen.
Für die Beurteilung des Motivs in der Völkerwanderungskunst der Germanen ist
doch aber, was Male offenbar ganz übersehen hat, nicht unwesentlich, daß in
der vorausgehenden Epoche die germanischen Armbänder eine Vorstufe in einer
ornamentalen Endigung besitzen, aus der sich die Entstehung der Tierköpfe stufen-
weise verfolgen läßt.
Was die verschlungenen Bandmotive anlangt, so genügt für den Fachmann ein
Hinweis auf die lichtvolle und überzeugende Arbeit des Schweden Salin über die
altgermanische Tierornamentik. Außerdem sei daran erinnert, daß Bandornamente
mit stilisierten Tierköpfen ureigenster Besitz der Germanen schon zur Bronze-
zeit waren.
Doch genug der Einzelheiten. Die Verlängerung der Liste kann auch nichts
anderes bieten, als die oben gebrachte Abwehr bestätigen.
Man könnte nunmehr die Akten über dieses unerquickliche Kapitel schließen,
wenn nicht noch ein außerhalb des Sachlichen stehender heimtückischer Angriff
Widerspruch herausforderte. Male stellt es so dar, als ob die deutsche Kunst-
forschung fälschlicherweise den rein germanischen Ursprung der Völkerwanderungs-
kunst behauptet und verbreitet hätte. Zum Beweise nennt er als Vertreter dieser
These — man glaubt seinen Augen nicht zu trauen —: Leon Gautier, Courajod,
die Schule des Louvre. In der ganzen Abhandlung wird auch nicht der einzige
Name eines deutschen Kunsthistorikers genannt, sondern es ist immer nur in all-
gemeinen Wendungen von der deutschen Kunstforschung die Rede. Bei einer so
schwerwiegenden Sache hätte er Namen nennen müssen, damit man klar sieht, wer
„beschuldigt" werden soll, und er hätte genauer die Thesen mit Angabe ihrer
Autoren bezeichnen müssen, an denen er Anstoß nimmt. Kommt es doch ganz
darauf an, was der einzelne Autor unter Ursprung und Wesen einer Kunst ver-
steht — daß Male sich hierüber offenbar selbst nicht ganz klar ist, oder doch
wenigstens so stellt, haben wir oben gesehen. Außerdem liegt es auf der Hand,
daß unter den zahlreichen Deutschen, die sich mit diesen Dingen im Laufe der
Jahre beschäftigt haben, neben Gelehrten ersten Ranges auch solche von geringeren
Qualitäten sich befinden und daß schließlich auf einem so viel umstrittenen und
vielfach noch ungeklärten Gebiet auch unter den besten Sachkennern Meinungs-
verschiedenheiten herrschen. Es wird daher natürlich gelingen, den einen oder
anderen Heißsporn zu finden, der Males Angriff zu rechtfertigen scheint. Aber
damit kann man doch nicht die Gesamtheit der deutschen Kunstforschung treffen!
Und angenommen, Male hätte mit seiner Darstellung recht: wie kommt es, daß
nach seinem eigenen Zeugnis hervorragende französische Gelehrte sich diese „deutsche"
Auffassung zu eigen gemacht haben, wenn sie so falsch ist? Macht er da nicht der
französischen Kunstforschung den Vorwurf der Dummheit und Kritiklosigkeit? Hier
wäre ein deutsches Sprichwort angebracht von der Grube, die man einem andern
gräbt. Will man aber die französischen Vertreter der „germanischen" These, bei
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