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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Antworten auf Emile Mâles "Studien über die deutsche Kunst"
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Wulff, Oskar: Prof. Dr. O. Wulff, Kustos am Kaiser Friedrich Musuem in Berlin
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Grautoff, Otto: Schlusswort
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0162

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Rosette, die Palmette u. a. m., die daneben und in verschiedenartiger Verbindung
mit den Bandgeflechten auftreten, erkennt selbst dieser schroffste Vertreter der
Hypothese aus der Antike oder aus dem christlichen Orient entlehntes Gut (Anm. 6),
die Mehrheit der deutschen Gelehrten aber ist heute weit eher geneigt, auch die
Bandornamentik von dort her abzuleiten (Anm. 7). Was bleibt da von dem mit
so großer Zähigkeit festgehaltenen Irrtum der deutschen Wissenschaft noch übrig?
Aber lassen wir das Persönliche auf sich beruhen und kommen wir zur Sache.
Wie ist die Frage selbst zu beantworten? — Vielleicht ist auch die deutsche
Kunstforschung wie Emile Male gar zu bereit, das Kind mit dem Bade aus-
zuschütten, d. h. in diesem Falle, eine zu allgemein lautende Antwort zu geben.
Ein wenig kommt jedoch unser Angreifer uns sogar entgegen. Wenn sich be-
weisen ließe, meint er, daß germanischer Geist einer solchen Ornamenttafel seinen
Stempel aufgedrückt hat, so könnte man sagen, die Germanen hätten die alte Welt
zertrümmert, um eine neue aufzubauen. Nun wohl, — ich nehme den Handschuh
auf. Dieses Kriterium soll gelten, obgleich ich selbst weit davon entfernt bin, die
Schöpfung der Longobarden so hoch einzuschätzen. Aber ich habe Veranlassung,
meinem französischen Fachgenossen dafür dankbar zu sein, daß er mir Gelegen-
heit gibt, von einem so bedeutsamen Gesichtspunkt aus einige Beobachtungen und
Erwägungen vorzutragen, die sich mir bei der Beschäftigung mit der longobardi-
schen Kunst in meinen Vorlesungen ergeben haben. Sie erschienen mir bisher
nicht so wichtig, daß ich mich sonst so bald dazu entschlossen hätte, andere
Arbeiten zu unterbrechen, um sie eingehender zu entwickeln, als ich es in einigen
Andeutungen getan habe, die Male entgangen sein dürften (Anm. 8).
Als allgemeinen Gegengrund gegen die Annahme des germanischen Ursprungs
der longobardischen Bandornamentik macht der französische Forscher geltend, daß
sich ihre Denkmäler in den Königsstädten der Lombardei, Pavia und Mailand, viel
spärlicher vorfinden als in Como, Ventimiglia u. a. kleinen Ortschaften oder Land-
kirchen. Der Tatbestand ist richtig und nicht ohne Bedeutung, nur darf man nicht
vergessen, daß die Zerstörung, zumal so schlichter Arbeiten, an schicksalsreichen
Kulturstätten am gründlichsten vor sich zu gehen pflegt. Andrerseits aber ist es
verständlich, daß der höfische Geschmack in der Blütezeit des Longobardenreichs
einer auf Nachbildung antiker und byzantinischer Formen, nämlich gewisser Ranken,
des Perlstabs, des laufenden Hundes, des Strickornaments u. dgl. mehr (Anm. 9) ge-
richteten, reicheren Zierkunst zugewandt erscheint. Die Flechtmuster gewannen
ihre größte Verbreitung und volle Ausbildung erst nach der Zertrümmerung des
angestammten Königtums. Sie sind jedoch schon viel früher in einem anderen
Gebiet, das einzelne kleinere longobardische Fürstensitze umschloß und als ein
Hauptherd der germanischen Einwanderer anzusehen ist, in Friaul, sehr verbreitet
und vor allem in Cividale reichlich vertreten. Gibt es da nicht zu denken, daß
eben diese Verzierungsweise sich in der späteren Volkskunst erhält und weiter
entwickelt?
Eine abstrakte, halbgeometrische Kunst nennt Male die longobardische Band-
ornamentik und deutet damit schon auf die Quelle hin, aus der die oberitalienischen
Steinmetzen (maestri Comacini) alles geschöpft haben sollen, — auf den Orient.
Es wäre in der Tat nicht verwunderlich und ist an sich richtig, daß gerade die
adriatische Nordostecke Italiens durch Vermittlung des Exarchats den orientalischen
Formenschatz am bereitwilligsten aufgenommen hat. Daß die neue ornamentale
Stilbildung ihren Ausgang zum guten Teil von solchen entlehnten und von ein-
zelnen überkommenen Motiven der Antike nimmt, soll auch keineswegs bestritten

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