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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Antworten auf Emile Mâles "Studien über die deutsche Kunst"
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Wulff, Oskar: Prof. Dr. O. Wulff, Kustos am Kaiser Friedrich Musuem in Berlin
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Grautoff, Otto: Schlusswort
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0164

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Chronologie der Denkmäler. Nach dieser Auffassung müßten nämlich die Netze
erst auf den jüngeren Denkmälern auftauchen. Sie begegnen uns aber ebenso
früh, ja anscheinend früher als einzelne Geflechte und manche Schlingen (Anm. 15).
Dieser Widerspruch löst sich durch eine andere genetische Erklärung. Was zwingt
uns denn überhaupt zur Annahme, daß die gesamte frühmittelalterliche Bandorna-
mentik Italiens entweder aus dem Orient oder von den Longobarden herrühren
muß? Warum könnten die Einwanderer nicht einige Motive mitgebracht, andere
in Italien vorgefunden oder aus der orientalischen Kunst entlehnt haben? Könnte
der sogenannte longobardische Ornamentstil dann nicht aus einer Verquickung
dieser verschiedenen Bestandteile entsprungen sein? Ist es doch eine viel zu
wenig beachtete Erscheinung, die in der Kunstentwicklung eine sehr wichtige
Rolle spielt, daß ähnliche Formen bei ihrem Zusammentreffen verschmelzen, d. h.
einander assimilierend —-, mitunter aber auch dissimilierend, — beeinflussen. Die
Longobarden haben nun in der Tat einzelne von den Grundmotiven der ältesten
Steinplatten mitgebracht, — darunter auch solche, die uns im Orient begegnen.
Sie gehörten schon zum Gemeinbesitz der germanischen Zierkunst der Völker-
wanderungszeit. So kommt z. B. die Achterschleife (bzw. ein daraus gebildetes
Achtergeflecht) auf burgundischen Fibeln vor (Anm. 16). Das Zopfgeflecht taucht
auf den Goldblattkreuzen, die sich in den longobardischen Gräbern Italiens allent-
halben gefunden haben und dafür zeugen, daß der neue Ornamentstil zum minde-
sten durch den Geschmack der Barbaren gefördert wurde, neben unregelmäßigeren
Geflechten auf, die noch durch einzelne Ansätze von Tierfüßen oder Köpfen ihre
Herkunft aus der germanischen animalen Bandornamentik verraten (Anm. 17), und
findet sich auf dem schönsten Schmuckstück aus Castel Trosino wieder (Anm. 18).
Die Longobarden haben es jedenfalls schon aus dem mitteleuropäischen Kunst-
kreise entlehnt und ebenso offenbar noch ein paar andere Grundmotive. Denn es
kommt in eckiger Brechung als kürzeres, geschlossenes, fast quadratisches Gebilde
schon auf dem Helmbande des sogen. Helmes Heinrichs des Löwen in Petersburg
vor, eines der weit verbreiteten germanischen Spangenhelme (Anm. 18). Die De-
koration ihrer gepreßten Reliefbänder besteht aber bekanntlich aus einem Gemenge
spätantiker und orientalischer Elemente (Anm. 19). Wenn wir ferner in der Orna-
mentik der Keczthely-Gruppe nicht nur das einfache Flechtband, sondern auch die
kreuzweise (diagonal) verflochtene Doppelschlinge sowie die einfache und doppelte
Achterschlinge und das Achtergeflecht antreffen (Anm. 20), so ist der Schluß kaum
abzuweisen, daß die Longobarden alle diese einfachen Motive, die vielfach noch
in unveränderter Zusammensetzung auf den ältesten Steinreliefs in Cividale, Ve-
nedig u. a. m. (Anm. 21) fortleben, ebenfalls bereits auf ihrer Wanderung durch
die ungarische Tiefebene aufgegriffen haben. Daß sie nicht ihrer eignen Erfindung
zu verdanken sind, sondern letzten Endes wohl dem pontischen Kunstkreise ent-
stammen, soll keineswegs bestritten werden. Und doch macht es einen gewaltigen
Unterschied aus, ob sie in der weiteren Entwicklung des Bandornaments in Italien
als Keime einer neuen Musterbildung gewirkt haben oder ob sie mitsamt diesem
reicheren Flechtwerk geradeswegs aus dem Orient übernommen sind. Indem Male
das behauptet, leugnet er die Entwicklung in der longobardischen Zierkunst. Das
Gegenteil, nämlich die erste Annahme, trifft jedoch zu. Besonders eines jener Motive
war dazu bestimmt, in der longobardischen Ornamentbildung auf italienischem Boden
eine entscheidende Rolle zu spielen. Das ist eine Art aus zwei verflochtenen herz-
förmigen Schleifen bestehender Vierpaßschlinge, der wir bereits auf dem schon er-
wähnten Sattelzierat aus Castel Trosino begegnen (Anm. 22). In strafferer Stili-

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