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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Antworten auf Emile Mâles "Studien über die deutsche Kunst"
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Kautzsch, Rudolf: Dr. Rudolf Kautzsch, ordentlicher Professor der Kunstgeschichte an der Universität Frankfurt a. M.
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Grautoff, Otto: Schlusswort
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0173
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vorläufig noch aufgibt. Jeder Versuch, dem späteren Frankreich oder Deutsch-
land die entscheidende Rolle in dieser Entwicklung zuzuschreiben, ist einstweilen
völlig verfrüht.
Gleich unzulänglich ist nahezu alles, was Male über die romanische Kunst sagt.
Das Langhaus von Gernrode soll aus dem 12. Jahrhundert sein. Warum? Weil
Rivoira es versichert, Rivoira, der doch längst, selbst bei seinen Landsleuten, als
nur sehr vorsichtig zu genießender Gewährsmann gilt. Nein, Gernrode ist aus dem
io. Jahrhundert und ist ein Hauptbeispiel für die deutsche Neigung, formlose Massen
zu gruppieren, unübersichtliche Reihen zu rhythmisieren. Ich komme gleich darauf
zurück. Dann der Stützenwechsel. Wir haben ihn natürlich nicht erfunden —
welcher neuere deutsche Forscher hätte denn das behauptet?! Aber wir haben ihn
sehr wahrscheinlich auch nicht von der Lombardei erhalten, jedenfalls nicht erst
im 10. Jahrhundert, wie Male glauben machen will. Er weiß natürlich wieder nichts
vom karolingischen Atrium in Aachen, das den schönsten Stützenwechsel aufwies.1)
Das Motiv gehört ganz gewiß im Norden schon der karolingischen Kunst an, und
entscheidend ist allein, wo und wie es verwertet wurde. Da bleibt aber trotz Male
bestehen, daß die deutsche romanische Kunst mehr damit anzufangen gewußt hat
als die französische. Und weil das ein interessanter Punkt ist, will ich kurz darauf
eingehen. Mindestens seit Dehio und v. Bezold, die Male doch so gerne zitiert, hier
aber natürlich verleugnet, wissen wir, daß sich die romanische Baukunst gegenüber
der altchristlichen dadurch auszeichnet, daß die undurchgebildete, formlose Masse
des Baues in klar voneinander gesonderte Baugruppen zerlegt wird, daß die ein-
zelnen Baugruppen, West- und Ostseite, gegliedert, im Aufbau proportional ab-
gestuft werden, daß auch in der Aufteilung des Innenraums ein Streben nach über-
sichtlicher Gliederung, nach einfachen, deutlich erkennbaren Raumverhältnissen her-
vortritt. Das lateinische Kreuz, der quadratische Schematismus, der Stützenwechsel,
gehören in diesen Zusammenhang, wie die reichen Turmgruppen der rheinischen
und anderer Kirchen. Diese ganze Richtung ist nun in Deutschland stärker, als in
Frankreich. Sie fehlt auch dort nicht; sie hat aber ganz zweifellos in Deutschland
glänzendere Ergebnisse gehabt. Sächsische und rheinische, aber auch andere Kirchen
sind die Zeugen. Und damit hängt nun zweierlei zusammen, was der jüngeren
deutschen romanischen Baukunst ihren eigenen Stempel gibt. Einmal ein unleug-
barer Sinn für reiche und große Raumwirkung. St. Maria auf dem Kapitol in Köln,
die jüngeren Kölner Kirchen, die Vierungen mit den lichterfüllten Kuppeln in Speier
und Mainz (und zwar so schon in den Tagen Heinrichs IV! siehe darüber unten),
die Raumweite westfälischer und sächsischer Kirchen des frühen 13. Jahrhunderts,
das alles gibt Kunde von derselben Grundabsicht. Und das andere ist die Freude
an der malerischen Ausgestaltung des reichgegliederten Außenbaues. Es sind die-
selben Kirchen, die diese Freude beweisen. Und ganz besonders am Rhein ist die
Rücksicht auf die bildhafte Wirkung der mit außerordentlicher dekorativer Pracht
ausgestatteten Fassaden und Chöre so offensichtlich, daß es schl echterdings nich
zu verstehen ist, wie man die Eigenart und den Reiz, die die deutsche Baukunst
in diesen beiden Stücken zu erreichen weiß, verkennen kann.
Male sucht solche Leistungen damit zu entwerten, daß er die reichen Turm-
gruppen z. B. der großen mittelrheinischen Dome als Altertümlichkeit, als ewige
Wiederholung eines karolingischen Schemas hinstellen möchte. Das ist natürlich
Unsinn. Da Deutschland selbstverständlich die andere Art, die schlichte zwei-
(1) Berichte über die Tätigkeit der Provinzialkommission f. d. Denkmalpflege in der Rheinprovinz III,
1898, S. 7.

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