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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Antworten auf Emile Mâles "Studien über die deutsche Kunst"
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Kautzsch, Rudolf: Dr. Rudolf Kautzsch, ordentlicher Professor der Kunstgeschichte an der Universität Frankfurt a. M.
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Grautoff, Otto: Schlusswort
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0174

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türmige Eingangsfassade auch kennt (Limburg a/H. usw.), so muß man eben die
besondere künstlerische Absicht zugeben, wenn man findet, daß in Mainz, in Worms
und so fort noch im 13. Jahrhundert immer wieder ältere Westchöre in großen und
besonders reich ausgestatteten Neubauten wieder auflebten. Es handelt sich dabei
wirklich um eine Äußerung deutscher Sonderart. Wir sind viel zu bereit gewesen,
nach einem schnell fertigen Schema in der Gotik die Erfüllung mittelalterlicher
Baukunst schlechthin zu sehen. Das ist sie nicht. Sie ist eine Lösung, eine Mög-
lichkeit, nicht mehr. Der ganze Süden Frankreichs befand sich gegen 1200 auf
Wegen, die weit ab von der Gotik führten. Dasselbe gilt von der deutschen Bau-
kunst. Sie will etwas anderes, als Gotik; das kann man doch nicht Rückständig-
keit nennen. Die auf Großräumigkeit und malerische Wirkung gerichtete Absicht
ist doch an sich genau ebenso berechtigt, wie die auf die Gotik zielende. Warum
die Gotik schließlich siegte, das ist eine Frage, die ihre eigene Antwort fordert.
In diesen grundsätzlichen Fragen völlig verblendet und von der Gotik hypnoti-
siert kann Male seine Scheinbeweise auch im einzelnen nur mit Hilfe zahlreicher
kleinerer und größerer Irrtümer durchführen. So sind die Zwerggalerien nicht erst
um 1150, sondern schon beträchtlich früher, höchst wahrscheinlich schon um itoo
in sehr ausgebildeter Gestalt in Deutschland bekannt gewesen. Das erste datierte
Beispiel ist die Galerie der Gothard-Kapelle in Mainz (vor 1137). So will Male
Glauben machen, es gäbe in Deutschland nur Würfelkapitelle, keine dekorierten Kapi-
telle innerhalb der romanischen Baukunst, was einigermaßen grotesk ist. So soll
Frankreich „von allen Nationen des Westens allein es verstanden haben, das Pro-
blem der gewölbten Kirche zu lösen". Die Wölbungen der Lombardei und die der
mittelrheinischen Dome sind „gotisch" (!); und zwar haben die französischen Zister-
zienser Deutschland die Kenntnis der Wölbekunst vermittelt (!!). Es ist schwer,
diesen Offenbarungen gegenüber ernst zu bleiben. Denn, auch wenn man ganz
davon absieht, daß Male die Baugeschichte unserer mittelrheinischen Dome weder
nach der älteren, noch nach der jüngeren deutschen Forschung, vielmehr ganz
nach eigener Willkür beurteilt, auch dann bleibt noch, daß ihn schon seine gern
zitierten Gewährsleute Dehio und von Bezold hätten belehren können, daß der
Rhein und Oberitalien auf völlig eigenen Wegen dem Problem der Wölbung nach-
gingen, und daß insbesondere das deutsche System der grätigen Kreuzgewölbe
zwischen verstärkten Hochmauern durchaus nichts mit der Gotik zu tun hat. Im
einzelnen nur so viel. Ich will von Speier nicht reden, weil ich meine Anschau-
ungen über den Dom Heinrich IV hier doch nicht ausführlich vortragen und be-
weisen kann. Der Dom zu Mainz aber wurde zweifellos etwa zwischen 1120 und
1130 mit grätigen Kreuzgewölben eingewölbt. Das hat schon Schneider völlig
überzeugend nachgewiesen. Das magnificum tectum ist natürlich keine Balken-
decke im Innern, sondern vermutlich eine kostbare Metalldeckung des eigentlichen
Daches. Der Dom, den Heinrich IV und Erzbischof Adalbert bauten und der heute
noch steht, ist nie ausgebrannt, vielmehr haben seine Gewölbe den wiederholten
Bränden widerstanden, wie das völlig unversehrte Innere beweist, wenn sie auch
in der Folge erneuert werden mußten. Das ist die Wahrheit über Mainz. Und
voran ging Speier, wie bewiesen werden kann, wenig später folgt Maria-Lach,
andere schlossen sich an. Alle diese Kirchen haben weder mit der französischen
Gotik, noch mit den Zisterziensern irgend etwas zu tun. Was Male darüber sagt,
ist durchaus willkürlich.
So verdienten schließlich auch noch seine Ausführungen über die romanische
Fassade eine energische Kritik. Ich will mich aber mit einem Hinweis auf das
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