Doch nun zu der anderen Seite der Maleschen Angriffe, zu seinen Vorwürfen
gegen die deutsche Wissenschaft. Lassen sich seine Verirrungen vielleicht als ein
Ausdruck natürlicher Reaktion gegen deutsche Überhebung und Selbstüberschätzung
erklären, entschuldigen? Herrscht bei uns die Meinung, daß die deutsche Kunst aus
eigenen Wurzeln und aus eigener Kraft, unabhängig von der Kunst der Mittelmeer-
völker und der Romanen zu dem erwachsen sei, was wir an ihr bewundern zu
dürfen glauben? Ist die deutsche Wissenschaft vollends geneigt, die Kunst anderer
Länder auf Kosten der deutschen herabzusetzen? Hören wir Male selber. Wenn
er den Vergleich zwischen der französischen und deutschen romanischen Baukunst
zieht und die — horribile dictu — Überlegenheit der französischen rühmt, bedient
er sich der Worte von Dehio und Bezold, und wieder und wieder tritt diese Quelle
Mälescher Weisheit zutage, die er auch durch seine gelegentlichen Einwürfe nicht
zu trüben imstande gewesen ist. Ja wo bleibt da der deutsche Chauvinismus? Es
ist ein kindliches Vergnügen heute gegen die Anschauungen der Romantiker an-
rennen zu wollen. Males Aufgabe wäre gewesen, zu beweisen, daß die deutsche
Forschung in ihren maßgebenden Vertretern — nur auf diese kommt es an — seit
Dehio und Bezold andere Bahnen eingeschlagen hätte. Wir müssen es fast im
Sinne von Herrn Male bedauern, daß er von der neuesten deutschen Forschung
so arg wenig weiß, wie schöne Beweise für die deutsche Abhängigkeit hätte er
z. B. in Arbeiten, wie denen über den lombardischen Einfluß am Rheine oder in
Niedersachsen finden können!
Was ist ihm da entgangen — aber nein, das sind ja Ergebnisse deutscher For-
schung, die nur zu gut geeignet gewesen wären, das Zerrbild deutscher Wissen-
schaft, das Male vor dem unkundigen Leser hervorzaubern zu dürfen glaubt, in
nichts aufzulösen.
Schade, daß Male mit dem 13. Jahrhundert abbricht. Wir hätten so gern ge-
wußt, wie er die Unfähigkeit des künstlerischen Schaffens bei den germanischen
Völkern des 15. bis 17.Jahrhunderts nachgewiesen hätte. Wir wüßten so gern, wie
er sich zu dem flämischen Problem stellt. Sollte er vielleicht, wie Jacques Mesnil
es einmal vor wenigen Jahren von den Arbeiten eines der Pariser Kollegen Males
gesagt hat, zu der „annexion pure et simple de la Flandre ä la France" seine Zu-
flucht nehmen? Wäre da vielleicht klar zutage getreten, wo eigentlich der Chau-
vinismus auf kunstgeschichtlichem Gebiete, den Male uns auf Rechnung unserer
Vorfahren andichtet, heute noch zu Hause ist?
Wir Deutsche sind immer der Überzeugung gewesen, daß die zu starke Bewun-
derung für das Fremdländische eine der Schwächen unseres Nationalcharakters
sei. Unsere Kunstwissenschaft, seit und soweit sie auf diesen Namen Anspruch
erheben darf, ist bereit, vielleicht allzu bereit gewesen, den Spuren fremder Ein-
flüsse nachzugehen, ihnen in weitestem Maße Rechnung zu tragen. Ich erwähne
als ein fast rührendes Beispiel deutscher Vorurteilslosigkeit die Art wie Heidrich,
den der Krieg uns zu früh geraubt hat, die rheinische Malerei — unsere einst so
berühmte und gefeierte Kölner Schule! — als Anhang der altniederländischen Malerei
behandelt. Hätte das nicht in Males Deutschland einen Sturm der Entrüstung aus-
lösen müssen? Wie verschieden stellt sich das Verhalten der deutschen und der
französischen Wissenschaft der niederländischen Kunst gegenüber in den an-
gezogenen Beispielen dar! Freilich, wir wollen das eine nicht vergessen, wenn
Heidrich sich zu dieser kunstgeschichtlichen Abtretung der Rheinlande an die Nieder-
lande entschließen konnte, so geschah es eben nur, weil die Fülle der gleich-
zeitigen ungleich eigenartigeren Erscheinungen in Deutschland eine so überwältigend
170
gegen die deutsche Wissenschaft. Lassen sich seine Verirrungen vielleicht als ein
Ausdruck natürlicher Reaktion gegen deutsche Überhebung und Selbstüberschätzung
erklären, entschuldigen? Herrscht bei uns die Meinung, daß die deutsche Kunst aus
eigenen Wurzeln und aus eigener Kraft, unabhängig von der Kunst der Mittelmeer-
völker und der Romanen zu dem erwachsen sei, was wir an ihr bewundern zu
dürfen glauben? Ist die deutsche Wissenschaft vollends geneigt, die Kunst anderer
Länder auf Kosten der deutschen herabzusetzen? Hören wir Male selber. Wenn
er den Vergleich zwischen der französischen und deutschen romanischen Baukunst
zieht und die — horribile dictu — Überlegenheit der französischen rühmt, bedient
er sich der Worte von Dehio und Bezold, und wieder und wieder tritt diese Quelle
Mälescher Weisheit zutage, die er auch durch seine gelegentlichen Einwürfe nicht
zu trüben imstande gewesen ist. Ja wo bleibt da der deutsche Chauvinismus? Es
ist ein kindliches Vergnügen heute gegen die Anschauungen der Romantiker an-
rennen zu wollen. Males Aufgabe wäre gewesen, zu beweisen, daß die deutsche
Forschung in ihren maßgebenden Vertretern — nur auf diese kommt es an — seit
Dehio und Bezold andere Bahnen eingeschlagen hätte. Wir müssen es fast im
Sinne von Herrn Male bedauern, daß er von der neuesten deutschen Forschung
so arg wenig weiß, wie schöne Beweise für die deutsche Abhängigkeit hätte er
z. B. in Arbeiten, wie denen über den lombardischen Einfluß am Rheine oder in
Niedersachsen finden können!
Was ist ihm da entgangen — aber nein, das sind ja Ergebnisse deutscher For-
schung, die nur zu gut geeignet gewesen wären, das Zerrbild deutscher Wissen-
schaft, das Male vor dem unkundigen Leser hervorzaubern zu dürfen glaubt, in
nichts aufzulösen.
Schade, daß Male mit dem 13. Jahrhundert abbricht. Wir hätten so gern ge-
wußt, wie er die Unfähigkeit des künstlerischen Schaffens bei den germanischen
Völkern des 15. bis 17.Jahrhunderts nachgewiesen hätte. Wir wüßten so gern, wie
er sich zu dem flämischen Problem stellt. Sollte er vielleicht, wie Jacques Mesnil
es einmal vor wenigen Jahren von den Arbeiten eines der Pariser Kollegen Males
gesagt hat, zu der „annexion pure et simple de la Flandre ä la France" seine Zu-
flucht nehmen? Wäre da vielleicht klar zutage getreten, wo eigentlich der Chau-
vinismus auf kunstgeschichtlichem Gebiete, den Male uns auf Rechnung unserer
Vorfahren andichtet, heute noch zu Hause ist?
Wir Deutsche sind immer der Überzeugung gewesen, daß die zu starke Bewun-
derung für das Fremdländische eine der Schwächen unseres Nationalcharakters
sei. Unsere Kunstwissenschaft, seit und soweit sie auf diesen Namen Anspruch
erheben darf, ist bereit, vielleicht allzu bereit gewesen, den Spuren fremder Ein-
flüsse nachzugehen, ihnen in weitestem Maße Rechnung zu tragen. Ich erwähne
als ein fast rührendes Beispiel deutscher Vorurteilslosigkeit die Art wie Heidrich,
den der Krieg uns zu früh geraubt hat, die rheinische Malerei — unsere einst so
berühmte und gefeierte Kölner Schule! — als Anhang der altniederländischen Malerei
behandelt. Hätte das nicht in Males Deutschland einen Sturm der Entrüstung aus-
lösen müssen? Wie verschieden stellt sich das Verhalten der deutschen und der
französischen Wissenschaft der niederländischen Kunst gegenüber in den an-
gezogenen Beispielen dar! Freilich, wir wollen das eine nicht vergessen, wenn
Heidrich sich zu dieser kunstgeschichtlichen Abtretung der Rheinlande an die Nieder-
lande entschließen konnte, so geschah es eben nur, weil die Fülle der gleich-
zeitigen ungleich eigenartigeren Erscheinungen in Deutschland eine so überwältigend
170