S CHLUSSWO RT
Von Dr. OTTO GRAUTOFF.
Die Gelehrten, die als Vertreter der deutschen Kunstwissenschaft den Angriffen
Emile Males gegenüber Stellung genommen haben und mir ihre Ausführungen
übermittelten, haben die Behauptungen des im Kriege zum politischen Dialektiker
gewordenen Forschers im einzelnen wie im allgemeinen so erschöpfend beant-
wortet, daß mir nur übig bleibt, ihnen zu danken.
Paul Clemen, Cornelius Gurlitt, H. A. Schmid, Arthur Haseloff und der jüngere
Kurt Gerstenberg haben in klarer Form und ruhiger Sachlichkeit die allgemeinen
Gesichtspunkte herausgearbeitet, die Emile Male entgegengehalten sind. Über den
sachlichen Erörterungen des einen wie des andern aber schwebt wie ein Erstaunen,
die allgemeine Erwiderung, die Males gesamte Spitzfindigkeiten ad absurdum führt:
daß es doch den Charakter jeder Kunstentwicklung verkennen heißt, wenn man
ihr eine Entlehnung fremder Formen zum Vorwurf machen will, und darin den
Maßstab für Originalität ans Werk sucht, anstatt die Verarbeitung des Über-
nommenen, die Umschmelzung in eigne Formgedanken zu beachten, worin sich
erst die Kraft des Neudenkens, des schöpferischen Gestaltens erweist.
Wie sollten wir Deutschen wohl sonst über die französische Gotik denken, deren
asiatische Vorbilder gerade ein Franzose — Dieulafoy — in grellstes Licht gerückt
hat. Wie sollte man sonst das klassische Zeitalter Frankreichs einschätzen, das
seine literarischen Gedanken aus Spanien und Süditalien, die formalen Anregungen
aus Rom und Florenz bezog.
Wir haben allerdings noch niemals geringer über französische Kunst gedacht,
weil Marins um 1610 in Paris bekannt war, oder weil Poussin mit 30 Jahren in
Tizianischen Farben schwelgte, fünf Jahre später, Domenichinos und Carraccis
Kompositionsprinzipien mit antiken Reminiszenzen verschmolz, und mit 50 Jahren
noch einmal Raffaels Spuren folgte.
Aber auch von französischen Gelehrten ist nicht immer wissenschaftliche Sach-
lichkeit mit von Haß geschärfter Dialektik vorgelogen worden. Ein kluger Kopf
mit weitem Gesichtskreis, Louis Courajod, dessen Andenken Frankreichs Haß-
hysteriker heute auslöschen und durch Fustel de Coulanges ersetzen möchten,
maß die deutsche Kraft mit demjenigen Maßstab, mit dem wir Deutsche unserer-
seits der französischen Kunst gerecht zu werden versuchen. Alle, die vor dem
Kriege jemals Beziehungen zu den Kreisen französischer Gelehrten unterhielten,
wissen, daß in diesen Kreisen viele sich mühten, Courajods sachliche Betrachtungs-
art, Courajods europäischen Gemeinsinn fortzusetzen, wie Leon Bazalgette, Emile
Berteaux, Jean Chantavvine, Louis Demonts, Prosper Dorbec, Emile Male, Maurice
Prou, Louis Reau, Romain Rolland, Jacques J. Schnerb, Leandre Vaillat und manche
andere.
Die nationalistische Befangenheit hat unter den jüngeren Gelehrten in Frankreich
erst eingesetzt mit dem Erwachen der nationalistischen Politik. Für diese poli-
tische Schwankung ist Raymond Poincares Thronbesteigung, von Millerands Zapfen-
streichen umjubelt, das historische Datum. Die engen verwandtschaftlichen und
freundschaftlichen Beziehungen beider zu den Kreisen der Academie franpaise sind
bekannt. Im gleichen Jahre dieses bedeutsamen Ereignisses ertönte der erste
kräftige Fanfarenruf aus dem Lager der akademischen Jugend: Agathons Buch: La
nouvelle Sorbonne erschien und erlebte in einem Jahre zwanzig Auflagen.
172
Von Dr. OTTO GRAUTOFF.
Die Gelehrten, die als Vertreter der deutschen Kunstwissenschaft den Angriffen
Emile Males gegenüber Stellung genommen haben und mir ihre Ausführungen
übermittelten, haben die Behauptungen des im Kriege zum politischen Dialektiker
gewordenen Forschers im einzelnen wie im allgemeinen so erschöpfend beant-
wortet, daß mir nur übig bleibt, ihnen zu danken.
Paul Clemen, Cornelius Gurlitt, H. A. Schmid, Arthur Haseloff und der jüngere
Kurt Gerstenberg haben in klarer Form und ruhiger Sachlichkeit die allgemeinen
Gesichtspunkte herausgearbeitet, die Emile Male entgegengehalten sind. Über den
sachlichen Erörterungen des einen wie des andern aber schwebt wie ein Erstaunen,
die allgemeine Erwiderung, die Males gesamte Spitzfindigkeiten ad absurdum führt:
daß es doch den Charakter jeder Kunstentwicklung verkennen heißt, wenn man
ihr eine Entlehnung fremder Formen zum Vorwurf machen will, und darin den
Maßstab für Originalität ans Werk sucht, anstatt die Verarbeitung des Über-
nommenen, die Umschmelzung in eigne Formgedanken zu beachten, worin sich
erst die Kraft des Neudenkens, des schöpferischen Gestaltens erweist.
Wie sollten wir Deutschen wohl sonst über die französische Gotik denken, deren
asiatische Vorbilder gerade ein Franzose — Dieulafoy — in grellstes Licht gerückt
hat. Wie sollte man sonst das klassische Zeitalter Frankreichs einschätzen, das
seine literarischen Gedanken aus Spanien und Süditalien, die formalen Anregungen
aus Rom und Florenz bezog.
Wir haben allerdings noch niemals geringer über französische Kunst gedacht,
weil Marins um 1610 in Paris bekannt war, oder weil Poussin mit 30 Jahren in
Tizianischen Farben schwelgte, fünf Jahre später, Domenichinos und Carraccis
Kompositionsprinzipien mit antiken Reminiszenzen verschmolz, und mit 50 Jahren
noch einmal Raffaels Spuren folgte.
Aber auch von französischen Gelehrten ist nicht immer wissenschaftliche Sach-
lichkeit mit von Haß geschärfter Dialektik vorgelogen worden. Ein kluger Kopf
mit weitem Gesichtskreis, Louis Courajod, dessen Andenken Frankreichs Haß-
hysteriker heute auslöschen und durch Fustel de Coulanges ersetzen möchten,
maß die deutsche Kraft mit demjenigen Maßstab, mit dem wir Deutsche unserer-
seits der französischen Kunst gerecht zu werden versuchen. Alle, die vor dem
Kriege jemals Beziehungen zu den Kreisen französischer Gelehrten unterhielten,
wissen, daß in diesen Kreisen viele sich mühten, Courajods sachliche Betrachtungs-
art, Courajods europäischen Gemeinsinn fortzusetzen, wie Leon Bazalgette, Emile
Berteaux, Jean Chantavvine, Louis Demonts, Prosper Dorbec, Emile Male, Maurice
Prou, Louis Reau, Romain Rolland, Jacques J. Schnerb, Leandre Vaillat und manche
andere.
Die nationalistische Befangenheit hat unter den jüngeren Gelehrten in Frankreich
erst eingesetzt mit dem Erwachen der nationalistischen Politik. Für diese poli-
tische Schwankung ist Raymond Poincares Thronbesteigung, von Millerands Zapfen-
streichen umjubelt, das historische Datum. Die engen verwandtschaftlichen und
freundschaftlichen Beziehungen beider zu den Kreisen der Academie franpaise sind
bekannt. Im gleichen Jahre dieses bedeutsamen Ereignisses ertönte der erste
kräftige Fanfarenruf aus dem Lager der akademischen Jugend: Agathons Buch: La
nouvelle Sorbonne erschien und erlebte in einem Jahre zwanzig Auflagen.
172