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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Fuchs, Willy P.: Die Deutschmeister-Schlosskirche zu Mergentheim und ihre Baumeister
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0213

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Füllmauerwerk dagegen hell verputzt. Die Fenster bestehen hier in Mergentheim
aus zwei Teilen, dem Hauptfenster und einem unmittelbar darüber angeordneten
rechteckigen Oberlicht mit abgeschrägten Ecken. Die Verdachung des Hauptfensters
ist in Form und Maßstab nicht ganz glücklich erfunden.
Im Sinne einer einheitlichen Fassadenwirkung ist das ebengeschilderte Gliede-
rungssystem an den Türmen fortgesetzt, indem den dort angebrachten Blenden
dieselbe Umrahmung gegeben wurde wie den Chorfenstern. Da für die Beleuch-
tung der Turmräume tatsächlich nur minimale Öffnungen genügen, ist eine derartige
Architektur für denjenigen nicht annehmbar, der den strengen Standpunkt vertritt,
daß das Äußere eines Bauwerks aus dem Innern heraus entwickelt werden und
deshalb genau nur soviel zeigen soll, als der Zweckbestimmung der Innenräume
entspricht. Im Gegensatz hierzu scheuten die Barockmeister nicht vor einer Schein-
architektur zurück, sofern sie ihnen zur Erreichung einer einheitlichen Fassaden-
wirkung zweckdienlich erschien. Heute ist man von jenem absoluten Nützlich-
keitsstandpunkt1), der als natürliche Reaktion auf die innerlich unwahre Kunst der
70er und 80er Jahre folgte, wieder etwas abgekommen und anerkannt — unter ge-
wissen Voraussetzungen — die Berechtigung des barocken Schönheitsstandpunkts.
Ich glaube, daß die Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben sind: das Motiv
der Blenden wirkt nicht aufdringlich — gewollt, sondern natürlich, und der Auf-
wand dieses Dekorationsmittels ist nicht zu hoch im Verhältnis zur Bedeutung des
erreichten Zwecks.
Die Stellung der Türme bringt es mit sich, daß ihre Obergeschosse eine größere
Höhe und damit eine selbständigere Bedeutung gegenüber dem übrigen Baukörper
erhalten, als dies bei Fassadentürmen der Fall ist, wo die Untergeschosse eine
überwiegende mit der Fassade gleichlaufende Höhe, und die Obergeschosse nur
die Funktion von Endigungen besitzen. Über dem das Traufgesims des Lang-
hauses fortsetzenden kräftigen Zwischengesims erheben sich die nun freiwerdenden
Türme, zunächst mit einem niederen noch quadratischen Zwischenstock, wie um
Atemzuholen vor dem mächtigen Aufstreben des achteckigen Glockengeschosses.
Die abgeschrägten Ecken dieses Geschosses sind gefaßt durch Kolossalpfeiler mit
Kompositkapitälen und Gebälkstücken; ihre unteren Endigungen besitzen statt der
Basen senkrecht gestellte, reichverzierte Schnecken, deren Massen den Übergang
vom rechteckigen Untergeschoß zum achteckigen Obergeschoß vermitteln. Die
riesigen Schallöffnungen sind wie die Chorfenster zweiteilig und auch die Profi-
lierung des Hauptfensters ist im Prinzip gleich, nur — entsprechend der größeren
Höhe des geometrischen Orts — kräftiger profiliert als die der Chorfenster, ebenso
wie das Oberlicht, das zudem eine gekrümmte Umrißlinie besitzt und so die große
darüber befindliche Wandfläche besser ausfüllt als es bei einer rechteckigen Form
der Fall sein könnte. Die Breite der Eckpfeiler setzt sich über dem verkröpften
Hauptgesims in dem gebrochenen Dachhelm und weiter, sich verjüngend, in der
Bedachung der achteckigen Laterne fort; deren Spitzen sind ebenso wie die Walm-
spitze des Chors durch fein umrissene Vasen mit Kreuz bekrönt
Das Innere (Abb. 5) ist ein einschiffiger Raum mit langem, eingezogenem Chor und
hohen, angenehmen Verhältnissen. Der hintere Teil des Schiffs und noch mehr der
Chor wirken durch die reichliche Lichtzuführung von den zahlreichen hohen Fenstern
(1) Ein Standpunkt, der auf dem Gebiet des Kunstgewerbes, zum Bau jener Kistenmöbel und Latten-
stühle führte, deren primitive Nacktheit und Unförmigkeit uns heute ebenso unerträglich ist, wie die
überladenen verdrechselten Möbel der vorhergehenden Periode.

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