REZENSIONEN .....
DOROTHEA STERN, Der Nürnberger
Bildhauer Adam Kraft; Stilentwick-
lung und Chronologie seiner Werke. Mit
42 Lichtdrucktafeln. Straßburg, ]. H. Ed.
Heitz. (Studien zur Deutschen Kunst-
geschichte, Heft 191.)
Eine notwendige Folge des Weltkrieges und
unseres Rückzuges auf uns selber ist auch in
der Kunst eine Rückkehr zum Eigenen. Wenn
das in bezug auf die neuesten Richtungen •—
leider — noch nicht zur Abkehr von dem Fremdtum
geführt hat, so macht es sich doch in der Kunst-
geschichte erfreulich bemerkbar. Unser Verhältnis
zu unseren alten Meistern wird sozusagen herz-
licher, aber auch vertiefter; man holt alte Ver-
pflichtungen überall nach.
Adam Kraft hatte vor fast fünfzig Jahren durch
Fr. Wanderer eine für die damalige Zeit muster-
gültige Darstellung durch Wort und Stift gefunden,
die auf lange Zeit dem Bedürfnis genügte. Daß
die neuere Zeit, und wäre es auch nur in bezug
auf die dokumentarisch sichere photographische
Wiedergabe der Werke gegenüber den immerhin
individuellen noch so vortrefflichen Holzschnitten,
inzwischen eine möglichst getreue und vollstän-
dige Aufreihung aller nachweisbaren Arbeiten des
Meisters verlangt, ist offenbar. Denn wirkliche
Stilvergleichungen und zuverlässige Bezugnahmen
auf die Werke untereinander wie zu fremden sind
ja, wenn man nicht gerade Gipsabgüsse neben-
einander stellen kann, ohne die Unbestechlichkeit
der Lichtbildaufnahme nicht möglich. Davon hatte
schon Daun einiges geboten.
Außerdem aber hat sich inzwischen in unserer
Kenntnis und Wertung der großen Welt um 1500
so außerordentlich viel Stoff, aber auch so viel
bessere Ordnung und Übersicht ergeben, daß eine
Durch- und Nachprüfung der älteren Anschau-
ungen sich als unumgänglich erweisen mußte,
wollte man Kraft in dieser neu aufgebauten Welt
seinen herkömmlichen Platz auch nur einiger-
maßen gesichert halten.
Dem ist das vorliegende Buch im besten Sinne
gerecht geworden. Es spricht freilich für die Vor-
züglichkeit der Wandererschen Arbeit, daß trotz
des Fortschrittes seit seiner Zeit irgendwie be-
deutsame Änderungen weder an der Stellung
Krafts, noch auch in der Zahl seiner Arbeiten
sich ergeben haben. Wanderer war ja allerdings
als glänzender Zeichner fähig gewesen, die Schnitte
zu seinem Buche alle eigenhändig vorzuzeichnen
und so in des Meisters Stil in einer selten mög-
lichen Tiefe einzudringen. Daher die außerordent-
liche Sicherheit seines Urteils bei einem gewisser-
maßen persönlichen Verhältnisse zu dem Künstler,
wie es heutzutage in diesem Sinne wohl kaum
mehr vorkommt.
Die neue Bearbeitung des Stoffes beschränkt
sich nun in anerkennenswerter Zurückhaltung auf
jenes Sachliche: die Zusammenfassung aller bis
heute erreichbaren archivalischen Nachrichten über
den Meister und seine Werke, und die Verwer-
tung der inzwischen gewonnenen neueren For-
schungsergebnisse auf dem Gebiete der bildenden
Kunst des ausgehenden 15. Jahrhunderts, insbe-
sondere der Nürnberger, für die Erkenntnis der
Kraftschen Kunst, zuletzt aber die Aufreihung
seiner sämtlichen Werke auf Grund einer ge-
sicherten Zeitfolge, an der es am meisten geman-
gelt hatte. Es haben sich da mancherlei Ver-
schiebungen ergeben, insbesondere ist neuerdings
die ganze berühmte Stationsfolge mit ihrem wun-
dervollen Abschlusse, der zweiten Grablegung,
ans Lebensende des Meisters gerückt. Auf Grund
dieser Zeitfolge, die beim ältesten datierbaren
Werk, dem Schreyerschen Grabmal, anhebt, ließ
sich eine langsam fortschreitende Stilentwicklung
darlegen; von der frischesten, sprudelnden ersten
Manneskraft bis zur ruhig abgeklärten, stillgewor-
denen und feiertäglichen letzten Behandlung des
gleichen Gegenstandes durch den fast Fünfzig-
jährigen.
Auf Grund dieser Entwicklung nun war es
wieder möglich, die nicht datierten Arbeiten zwi-
schen die feststehenden einzufügen, und so hat sich
als das wichtigste die erstrebte folgerichtige Reihe
aller aufbauen lassen.
Auch ein ansehnliches, bisher Krafft nicht zu-
geschriebenes Werk ist der Reihenfolge hinzu-
gefügt: das Helenarelief übet der Südtür der West-
front von S. Sebald, das, offenbar schon wegen
seiner Stellung im romanischen Tympanon, von
jeher fremdartig anmutete. Aber die für Krafts
Urheberschaft beigebrachten Hinweise sind über-
zeugend genug, daß sie durch das seiner Werk-
statt zugehörige Steinmetzzeichen sich zu hoher
Wahrscheinlichkeit steigern, wenn auch gerade
die übergroße Helenagestalt auf den ersten Blick
einer ganz anderen Zeit und Art anzugehören
scheint.
Erwünscht wäre es gewesen, überall zuverläs-
sige Angaben über Art und Herkunft des Stein-
materials zu finden. So ist als Stein beim Lo-
207
DOROTHEA STERN, Der Nürnberger
Bildhauer Adam Kraft; Stilentwick-
lung und Chronologie seiner Werke. Mit
42 Lichtdrucktafeln. Straßburg, ]. H. Ed.
Heitz. (Studien zur Deutschen Kunst-
geschichte, Heft 191.)
Eine notwendige Folge des Weltkrieges und
unseres Rückzuges auf uns selber ist auch in
der Kunst eine Rückkehr zum Eigenen. Wenn
das in bezug auf die neuesten Richtungen •—
leider — noch nicht zur Abkehr von dem Fremdtum
geführt hat, so macht es sich doch in der Kunst-
geschichte erfreulich bemerkbar. Unser Verhältnis
zu unseren alten Meistern wird sozusagen herz-
licher, aber auch vertiefter; man holt alte Ver-
pflichtungen überall nach.
Adam Kraft hatte vor fast fünfzig Jahren durch
Fr. Wanderer eine für die damalige Zeit muster-
gültige Darstellung durch Wort und Stift gefunden,
die auf lange Zeit dem Bedürfnis genügte. Daß
die neuere Zeit, und wäre es auch nur in bezug
auf die dokumentarisch sichere photographische
Wiedergabe der Werke gegenüber den immerhin
individuellen noch so vortrefflichen Holzschnitten,
inzwischen eine möglichst getreue und vollstän-
dige Aufreihung aller nachweisbaren Arbeiten des
Meisters verlangt, ist offenbar. Denn wirkliche
Stilvergleichungen und zuverlässige Bezugnahmen
auf die Werke untereinander wie zu fremden sind
ja, wenn man nicht gerade Gipsabgüsse neben-
einander stellen kann, ohne die Unbestechlichkeit
der Lichtbildaufnahme nicht möglich. Davon hatte
schon Daun einiges geboten.
Außerdem aber hat sich inzwischen in unserer
Kenntnis und Wertung der großen Welt um 1500
so außerordentlich viel Stoff, aber auch so viel
bessere Ordnung und Übersicht ergeben, daß eine
Durch- und Nachprüfung der älteren Anschau-
ungen sich als unumgänglich erweisen mußte,
wollte man Kraft in dieser neu aufgebauten Welt
seinen herkömmlichen Platz auch nur einiger-
maßen gesichert halten.
Dem ist das vorliegende Buch im besten Sinne
gerecht geworden. Es spricht freilich für die Vor-
züglichkeit der Wandererschen Arbeit, daß trotz
des Fortschrittes seit seiner Zeit irgendwie be-
deutsame Änderungen weder an der Stellung
Krafts, noch auch in der Zahl seiner Arbeiten
sich ergeben haben. Wanderer war ja allerdings
als glänzender Zeichner fähig gewesen, die Schnitte
zu seinem Buche alle eigenhändig vorzuzeichnen
und so in des Meisters Stil in einer selten mög-
lichen Tiefe einzudringen. Daher die außerordent-
liche Sicherheit seines Urteils bei einem gewisser-
maßen persönlichen Verhältnisse zu dem Künstler,
wie es heutzutage in diesem Sinne wohl kaum
mehr vorkommt.
Die neue Bearbeitung des Stoffes beschränkt
sich nun in anerkennenswerter Zurückhaltung auf
jenes Sachliche: die Zusammenfassung aller bis
heute erreichbaren archivalischen Nachrichten über
den Meister und seine Werke, und die Verwer-
tung der inzwischen gewonnenen neueren For-
schungsergebnisse auf dem Gebiete der bildenden
Kunst des ausgehenden 15. Jahrhunderts, insbe-
sondere der Nürnberger, für die Erkenntnis der
Kraftschen Kunst, zuletzt aber die Aufreihung
seiner sämtlichen Werke auf Grund einer ge-
sicherten Zeitfolge, an der es am meisten geman-
gelt hatte. Es haben sich da mancherlei Ver-
schiebungen ergeben, insbesondere ist neuerdings
die ganze berühmte Stationsfolge mit ihrem wun-
dervollen Abschlusse, der zweiten Grablegung,
ans Lebensende des Meisters gerückt. Auf Grund
dieser Zeitfolge, die beim ältesten datierbaren
Werk, dem Schreyerschen Grabmal, anhebt, ließ
sich eine langsam fortschreitende Stilentwicklung
darlegen; von der frischesten, sprudelnden ersten
Manneskraft bis zur ruhig abgeklärten, stillgewor-
denen und feiertäglichen letzten Behandlung des
gleichen Gegenstandes durch den fast Fünfzig-
jährigen.
Auf Grund dieser Entwicklung nun war es
wieder möglich, die nicht datierten Arbeiten zwi-
schen die feststehenden einzufügen, und so hat sich
als das wichtigste die erstrebte folgerichtige Reihe
aller aufbauen lassen.
Auch ein ansehnliches, bisher Krafft nicht zu-
geschriebenes Werk ist der Reihenfolge hinzu-
gefügt: das Helenarelief übet der Südtür der West-
front von S. Sebald, das, offenbar schon wegen
seiner Stellung im romanischen Tympanon, von
jeher fremdartig anmutete. Aber die für Krafts
Urheberschaft beigebrachten Hinweise sind über-
zeugend genug, daß sie durch das seiner Werk-
statt zugehörige Steinmetzzeichen sich zu hoher
Wahrscheinlichkeit steigern, wenn auch gerade
die übergroße Helenagestalt auf den ersten Blick
einer ganz anderen Zeit und Art anzugehören
scheint.
Erwünscht wäre es gewesen, überall zuverläs-
sige Angaben über Art und Herkunft des Stein-
materials zu finden. So ist als Stein beim Lo-
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