ebenso wie im 14. Jahrhundert das Schicksal der
Malerei in den Werkstätten der Wand-, Buch- und
Glasmaler mehr noch als in denen der Tafelmaler
entschieden wurde. Ebenso macht die Angliede-
rung der Maler an den Betrieb der Altarschnitzer
ein genaueres Eingehen auf die Plastik der Zeit un-
erläßlich, wenn man den bildplastischen Charakter
namentlich der älteren Tafelbilder (s. S.62) verstehen
und erklären will.
Es ist bezeichnend, daß neuere Darstellungen den
Ausdruck „Geschichte" fast ängstlich vermeiden;
ich erinnere an Kristellers „Kupferstich und Holz-
schnitt", Friedländers „von Eyck bis Bruegel", Ha-
manns „Die deutsche Malerei des 19. Jahrhunderts"
u. a. m. Auch Glaser spricht in seinem Titel nur
von „Zwei Jahrhunderten deutscher Malerei". Liegt
in solcher Selbstbescheidung nicht das Eingeständ-
nis, daß wir hinter der löblichen Absicht, die reiche
Ernte der Forschung vorläufig zu bergen, den
Wunsch nach ihrer restlosen Verarbeitung und vollen
Nutzbarmachung einstweilen noch zurückstellen
müssen? — Solche Erwägungen, die nur durch
Darstellungen angeregt werden, die, wie die Glasers,
den Gipfel alles kunsthistorischen Strebens trotz
der Wolken und Nebel an seinem Fuß deutlich
erkennen lassen, können nicht die Freude trüben,
die man bei dem Emporschreiten an der Hand des
Führers auf Schritt und Tritt empfindet. Nur ungern
verzichte ich darauf, dem Verfasser im Einzelnen
auf den Wegen durch das immer noch wilde Ge-
strüpp deutscher Kunstgeschichte zu folgen, das
er bald vorsichtig auseinander biegt, an anderen
Stellen keck durchhaut, um mit dem Eigenwillen,
dessen kein Bergsteiger entraten kann, sich und
uns dem Ziel näher zu bringen. Den Dank für
eine Vielen so undankbar erscheinende Arbeit wird er
selbst wohl am liebsten in der Versicherung finden,
daß niemand in Zukunft an seinen Wegweisungen
vorüber gehen darf, ohne in die Irre zu geraten.
Kaemmerer.
LA TOUR, der Pastellmaler Lud-
wigs XV. 89 Nachbildungen von Kunst-
werken in St. Quentin. Herausgegeben
von einem deutschen Reservekorps. 1917.
Korpsverlagsbuchhandlung Bapaume. Im
Buchhandel bei R. Piper & Co., Verlag,
München.
Wenige Kilometer hinter jenem Stück der West-
front, wo am heißesten der Kampf zwischen
Deutschlands und Frankreichs Söhnen tobt, ist
dieses Buch entstanden, ein schönes Dokument
friedlicher soldatischer Leistung, das, besser als
alle Worte, der deutschen Wissenschaft das Zeug-
nis jener großartigen Objektivität ausstellt, um
die uns die Feinde im stillen beneiden. Die
Schätze des Musee La Tour in St. Quentin haben
zu diesem Buche angeregt; 89 Reproduktionen
von Werken La Tour's, die dieser Ruhmestempel
des großen Pastellisten bewahrt, findet man hier
in einem geschmackvoll ausgestatteten Bande ver-
einigt, in einer Art der Wiedergabe, die aus-
gezeichnet genannt werden darf; auch die farbigen
Klischees sind vortrefflich herausgekommen und
geben von dem zarten Farbenschimmer La Tour-
scher Originalarbeit eine hinreichende Vorstellung.
Da man grundsätzlich verzichtet hat, über die
Museumsbestände von St. Quentin hinauszugreifen,
so dominiert numerisch in dem Tafelteil die Skizze
stark über das ausgeführte Bild; denn was das
Musee La Tour birgt, sind zumeist die „prepa-
rations" zu den ausgeführten Bildnissen, die sich
zum großen Teil noch in französischem und eng-
lischem Privatbesitz verborgen halten. Diese
flüchtig, mit genialer Hand hingeworfenen Ab-
schriften der Natur zeigen die Kunst La Tours
von ihrer intimsten und zugleich vielleicht von
ihrer bewunderungswürdigsten Seite, weil sie das
vibrierende Leben festhalten, und aus ihnen wahr-
haft der Atem ihrer Zeit, der Ära Ludwigs XV.,
weht. Das genußsüchtige, frivole Frankreich von
vor 178g blickt aus diesen entzückenden Frauen,
diesen galanten Kavalieren La Tours hervor, der
gerade vom Schauplatz abtrat, als die ersten Ge-
witterzeichen der Revolution am Horizonte auf-
stiegen. Aber zur vollen Abrundung des Be-
griffes La Tour gehören doch andererseits auch
die großen höfischen Repräsentationsbildnisse, von
denen unser Band als einziges Spezimen das
Doppelporträt der Dauphine und des Herzogs von
Burgund zur Anschauung bringt. Die köstlichen
Stücke aus Pariser Privatbesitz, wie die Bildnisse
der Mme Masse, Etienne Perrinets, des M, Duval
de L'Epinon usw. fehlen, und so bedarf es min-
destens einer wichtigen Ergänzung nach dieser
Richtung hin für alle, die sich eine abgerundete
Vorstellung von dem Wesen La Tour'scher Kunst
bilden wollen.
Die flott geschriebene, aus dem Vollen schöp-
fende Einführung Hermann Erhards gibt ein in
knappen, sicheren Umrissen umschriebenes Bild
von der historischen Stellung La Tours innerhalb
seiner Zeit und eine feine Würdigung seiner
Leistung. Aus derselben Feder stammen' diq bio-
graphischen Anmerkungen zu den Tafeln, die die
Brücke zimmern von dem gegenständlichen Inter-
esse zu einer rein künstlerischen Betrachtungs-
weise. Mit diesen biographischen Aperqus erfüllt
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Malerei in den Werkstätten der Wand-, Buch- und
Glasmaler mehr noch als in denen der Tafelmaler
entschieden wurde. Ebenso macht die Angliede-
rung der Maler an den Betrieb der Altarschnitzer
ein genaueres Eingehen auf die Plastik der Zeit un-
erläßlich, wenn man den bildplastischen Charakter
namentlich der älteren Tafelbilder (s. S.62) verstehen
und erklären will.
Es ist bezeichnend, daß neuere Darstellungen den
Ausdruck „Geschichte" fast ängstlich vermeiden;
ich erinnere an Kristellers „Kupferstich und Holz-
schnitt", Friedländers „von Eyck bis Bruegel", Ha-
manns „Die deutsche Malerei des 19. Jahrhunderts"
u. a. m. Auch Glaser spricht in seinem Titel nur
von „Zwei Jahrhunderten deutscher Malerei". Liegt
in solcher Selbstbescheidung nicht das Eingeständ-
nis, daß wir hinter der löblichen Absicht, die reiche
Ernte der Forschung vorläufig zu bergen, den
Wunsch nach ihrer restlosen Verarbeitung und vollen
Nutzbarmachung einstweilen noch zurückstellen
müssen? — Solche Erwägungen, die nur durch
Darstellungen angeregt werden, die, wie die Glasers,
den Gipfel alles kunsthistorischen Strebens trotz
der Wolken und Nebel an seinem Fuß deutlich
erkennen lassen, können nicht die Freude trüben,
die man bei dem Emporschreiten an der Hand des
Führers auf Schritt und Tritt empfindet. Nur ungern
verzichte ich darauf, dem Verfasser im Einzelnen
auf den Wegen durch das immer noch wilde Ge-
strüpp deutscher Kunstgeschichte zu folgen, das
er bald vorsichtig auseinander biegt, an anderen
Stellen keck durchhaut, um mit dem Eigenwillen,
dessen kein Bergsteiger entraten kann, sich und
uns dem Ziel näher zu bringen. Den Dank für
eine Vielen so undankbar erscheinende Arbeit wird er
selbst wohl am liebsten in der Versicherung finden,
daß niemand in Zukunft an seinen Wegweisungen
vorüber gehen darf, ohne in die Irre zu geraten.
Kaemmerer.
LA TOUR, der Pastellmaler Lud-
wigs XV. 89 Nachbildungen von Kunst-
werken in St. Quentin. Herausgegeben
von einem deutschen Reservekorps. 1917.
Korpsverlagsbuchhandlung Bapaume. Im
Buchhandel bei R. Piper & Co., Verlag,
München.
Wenige Kilometer hinter jenem Stück der West-
front, wo am heißesten der Kampf zwischen
Deutschlands und Frankreichs Söhnen tobt, ist
dieses Buch entstanden, ein schönes Dokument
friedlicher soldatischer Leistung, das, besser als
alle Worte, der deutschen Wissenschaft das Zeug-
nis jener großartigen Objektivität ausstellt, um
die uns die Feinde im stillen beneiden. Die
Schätze des Musee La Tour in St. Quentin haben
zu diesem Buche angeregt; 89 Reproduktionen
von Werken La Tour's, die dieser Ruhmestempel
des großen Pastellisten bewahrt, findet man hier
in einem geschmackvoll ausgestatteten Bande ver-
einigt, in einer Art der Wiedergabe, die aus-
gezeichnet genannt werden darf; auch die farbigen
Klischees sind vortrefflich herausgekommen und
geben von dem zarten Farbenschimmer La Tour-
scher Originalarbeit eine hinreichende Vorstellung.
Da man grundsätzlich verzichtet hat, über die
Museumsbestände von St. Quentin hinauszugreifen,
so dominiert numerisch in dem Tafelteil die Skizze
stark über das ausgeführte Bild; denn was das
Musee La Tour birgt, sind zumeist die „prepa-
rations" zu den ausgeführten Bildnissen, die sich
zum großen Teil noch in französischem und eng-
lischem Privatbesitz verborgen halten. Diese
flüchtig, mit genialer Hand hingeworfenen Ab-
schriften der Natur zeigen die Kunst La Tours
von ihrer intimsten und zugleich vielleicht von
ihrer bewunderungswürdigsten Seite, weil sie das
vibrierende Leben festhalten, und aus ihnen wahr-
haft der Atem ihrer Zeit, der Ära Ludwigs XV.,
weht. Das genußsüchtige, frivole Frankreich von
vor 178g blickt aus diesen entzückenden Frauen,
diesen galanten Kavalieren La Tours hervor, der
gerade vom Schauplatz abtrat, als die ersten Ge-
witterzeichen der Revolution am Horizonte auf-
stiegen. Aber zur vollen Abrundung des Be-
griffes La Tour gehören doch andererseits auch
die großen höfischen Repräsentationsbildnisse, von
denen unser Band als einziges Spezimen das
Doppelporträt der Dauphine und des Herzogs von
Burgund zur Anschauung bringt. Die köstlichen
Stücke aus Pariser Privatbesitz, wie die Bildnisse
der Mme Masse, Etienne Perrinets, des M, Duval
de L'Epinon usw. fehlen, und so bedarf es min-
destens einer wichtigen Ergänzung nach dieser
Richtung hin für alle, die sich eine abgerundete
Vorstellung von dem Wesen La Tour'scher Kunst
bilden wollen.
Die flott geschriebene, aus dem Vollen schöp-
fende Einführung Hermann Erhards gibt ein in
knappen, sicheren Umrissen umschriebenes Bild
von der historischen Stellung La Tours innerhalb
seiner Zeit und eine feine Würdigung seiner
Leistung. Aus derselben Feder stammen' diq bio-
graphischen Anmerkungen zu den Tafeln, die die
Brücke zimmern von dem gegenständlichen Inter-
esse zu einer rein künstlerischen Betrachtungs-
weise. Mit diesen biographischen Aperqus erfüllt
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