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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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West, Robert: Der Meister von Grossgmain
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0261

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einem Müsterbüch entnahm, sondern nach dem Modell zeichnete, die er aber
nicht als Bestandteile ihrer Gruppe oder des Bildganzen gesehen hatte, sondern
beliebig zusammenfügte. Ebenso ist bei allen seinen Bildern noch die mangelnde
Übereinstimmung zwischen Raum und Figur zu beobachten. Man sehe nur, wie
der kleine Jesus auf dem Throne sitzt, Thron und Kind sind jedes für sich ge-
zeichnet, dann zusammengestellt. Daran liegt es auch, daß die Gestalten niemals
fest auf dem Boden stehen, sondern vor ihn gestellt scheinen.
Der Goldgrund ist in diesem Bilde auf drei verhältnismäßig kleine Flächen
beschränkt, da er sehr stark von der grauen Steinarchitektur überschnitten wird.
Es ist bei dieser Anordnung besonders auffallend, daß der Künstler sich ent-
hielt, irgendwo ein Fenster oder einen Ausblick in freies Land zu öffnen. Ich
möchte hier einen Beweis sehen, wie gänzlich unbeeinflußt der Meister von
Großgmain durch die niederländische Malerei geblieben ist. Robert Stiaßny,
der in diesen Bildern den Höhepunkt des Schaffens Rueland Frueaufs sieht, nennt
ein kleines Bildchen des Prager Rudolfinums9 — die Madonna mit dem Kind,
den Apostel Thomas und einen Stifter darstellend — als das „früheste datierte
Werk des Großgmainers". Eben in diesem Bildchen sind aber Züge, die auf
eine ganz andere Persönlichkeit weisen. Der Maler, der im Jahre 1483 den spät-
gotischen Baldachin über dem Betpult mit so offenbarer Freude an Verästelungen
und knorrigem Wurzelwerk malte, hätte sich schwerlich davon losgesagt, um zu
den mageren, frostigen Linien einer klassisch sein sollenden Architektur über-
zugehen. Deutlicher aber noch als dieser Baldachin spricht der Ausblick aus
dem gotischen Fenster gegen die Urheberschaft des Meisters von Großgmain.
Die feingemalte, stimmungsvolle Flußlandschaft verleiht dem Prager Bildchen
einen entschieden niederländischen Charakter. Diesen Einfluß hätte ein Maler
schwerlich ganz abgeschüttelt, nachdem er so intensiv auf ihn gewirkt hatte. Es ist
meines Erachtens ganz unmöglich, daß eine Künstlerpersönlichkeit sich inner-
halb eines Zeitraums von nicht ganz zwei Jahrzehnten so völlig verändert, daß
sie ihre anmutigsten Jugendeigenschaften verleugnet, um sich dafür andere an-
zueignen, die in den Jugendwerken nicht einmal potentiell vorhanden schienen.
Die Begabung des Großgmainers lag auf den Gebieten der Komposition, des
Kolorismus und des Porträts. Andere Kunstforscher haben dem Meister einen
besonderen Hang zur Klein- und Feinmalerei nachgerühmt. Ich kann nicht
finden, daß er hier mehr leistet wie seine Zeitgenossen. Im Gegenteil, Hinter-
grund Und Akzessorien sind mit einer gewissen Gleichgültigkeit behandelt. Die
Architektur ist immer mager und vom Beiwerk nur das gegeben, was zum Ver-
ständnis der Situation notwendig erscheint, hier etwa das vorn auf dem Fuß-
boden liegende Buch. Die sorgsame Detailmalerei bei der Kleidung führe ich,
soweit sie nicht einfach Zeitstil ist, mehr auf den lebhaften Sinn des Künstlers
für alles Porträtmäßige zurück.
Jedem Typus entspricht nämlich die Gewandung durchaus. Die Kleidung hat
bei ihm stets etwas über den dargestellten Menschen auszusagen, sie unterstützt
die psychische Erscheinung durch ihre Farbe, ihre Linien oder das Volumen.
So ist auf dieser zweiten Tafel der mit Jesus disputierende Schriftgelehrte ein
ganz hervorragendes Mönchsporträt. Das schmale, magere, unschöne, aber von
tiefem Ernst durchgeistigte Gesicht ist mit unerbittlicher Treue gegen das lebende
Modell wiedergegeben, die blaßgelbe Gesichtsfarbe, die dünnen Lippen, die kleinen
(1) Im Katalog wird dieses Bild einem niederländischen Meister zugeschrieben. 1881 machte
Scheibler bereits darauf aufmerksam, daß es die Art des Monogrammisten R. F. zeige.

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