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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0271
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richtig wenden sich die Augen dieser Jüngsten
zu frühen Kunstäußerungen zurück, die, da sie
von langsam sich wandelnden, in sich gleich-
artigen, orthodoxen Volks- und Religionsgemein-
schaften hervorgebracht sind, die Schönheit, Ge-
schlossenheit und Vollendung der Gemeinschafts-
form bieten.
Auch der Verfasser des vorliegenden Buches
macht den Hang zum Individualismus für das
negative Ergebnis im Kunstgewerbe der letzten
20 Jahre verantwortlich.
Aber während die Führer der nach einem Idea-
lismus strebenden, jüngsten Gruppe fühlen, daß
in unserer, an der Hypertrophie der Technik lei-
denden, von ihrer eigenen Schöpfung bezwunge-
nen Zeit eine völkische Kunst nicht zu erhoffen
ist und einzelne das Recht und die Pflicht haben,
das Ganze unter ihre künstlerische Intuition zu
zwingen, die selbst vom Willen der Zeit durch-
strömt ist, glauben Leute wie Hartmann mit sanf-
ten Palliativmitteln wie Studium der Geschichte
und der Tradition des Heimatsbodens (der durch
Industrie und Technik ausgesogen ist) oder durch
Einstellung auf den Geschmack des Publikums
einen neuen, volkshaften Stil hervorlocken zu
können.
Hartmann vergißt, daß dieses Experiment be-
reits im vorigen Jahrhundert .gemacht wurde und
kläglich mißlungen ist. Das, was die große All-
gemeinheit des Kunstgewerbes an eklektischen
Stilabwandlungen und fabrikhaften Entartungen
hervorgebracht hat, war schlimm und schlimmer
als die mißverstandensten Auswüchse des mo-
dernen Kunstgewerbes. Man braucht nur an die
nußbaum- oder mahagonifournierten Renaissance-,
möbel, die heute noch in den Stuben des älteren
Kleinbürgertums ihr Dasein fristen, zu erinnern.
Die kunstgewerbliche Umwälzung um die Wende
des 20. Jahrhunderts hat das Mögliche getan. Sie
war außer stände, eine Vervollkommnung und
Klärung der Massenproduktion, wie sie Hartmann
fordert, zu Vollziehen. Nicht die Einschichtigkeit
und Originalitätssucht, nicht die allzu artistische
Subtilität oder Kühnheit der künstlerischen Führer,
sondern der Amerikanismus unserer Massenindu-
strie, der die Formanregungen der Künstler in
marktschreierischer Weise vergröberte und ver-
kitschte, ließ die Ansätze eines neuen, kunstge-
werblichen Stils in Verzerrung und Erstarrung
enden.
Es wäre zu wünschen, daß durch die Abge-
schlossenheit des Krieges, die bei der Tiefe des
Zerwürfnisses und aus geldökonomischen Gründen
nicht so leicht von einem imperialistisch gerich-

teten Welthandel abgelöst werden dürfte, jene
Stetigkeit der Produktion gewonnen würde, die
für eine Erstarkung der rein künstlerischen Ten-
denzen notwendig wäre.
Hartmanns klare Ausführungen sind vom besten
Glauben getragen. Aber leider hängt die Ent-
stehung einer so köstlichen Frucht, wie der Zeit-
stil es ist, von tiefversenkten Wurzeln ab und ist
nicht im Wollen, sondern im Nichtanderskönnen
einer Menschengeneration gelegen.
Sascha Schwabacher.
Franz Theodor KLINGELSCHMITT.
Unsere liebe Frau von Hallgarten.
Heinrich Staadt, Wiesbaden 1916.
Zehn Seiten und fünf Tafeln stark, sauber ge-
druckt und mit einem gelben Schnürlein geheftet
liegt eine neue Entdeckung vor uns. So ganz
neu ist sie eigentlich nicht. Klingelschmitt muß,
nachdem er Herrn Amtsgerichtsrat v. Braunmühl
als denjenigen rühmt, der die Hallgartener Maria
1916 entdeckte, selbst zugeben, daß Rauch sie
schon zwei Jahre früher, Hessenkunst 1914, auf-
führt. Ihre — sagen wir also — Wiederentdeckung
war für diesen Winter von mehreren Seiten ge-
plant. Auch Referentin sollte sich daran beteiligen,
nahm aber davon Abstand, da ihrem Vorschlag,
die Statue zu unerläßlich notwendiger, genauer
Materialuntersuchung ins nassauische Landes-
museum zu Wiesbaden zu überführen, nicht ent-
sprochen wurde.
Klingelschmitts mit frischer Begeisterung und
Heimatliebe geschriebene Broschüre hält die Mitte
zwischen einer Werbeschrift in Sachen deutscher
Kunst und einer wissenschaftlichen Studie. Also <
für zweierlei Leser bestimmt. Wir wünschen ihr
als erstere herzlich Erfolg, wenngleich wir es an-
zuzweifeln wagen, „daß der kunstliebende Deutsche
in Zukunft neben der ,Muttergottes mit der Erbsen-
blüte' und (?) der ,Muttergottes mit der Wicken-
blüte' auch die ,Muttergottes mit der Scherbe'
kennt." Die Hallgarter Muttergottes mit der
Scherbe ist gewiß ein entzückend liebliches Werk,
aber die Maria, die jeder Deutsche kennen muß,
ist sie nun doch nicht. Es gibt von ihrer Qua-
lität, gottlob, noch recht viel in deutschen Landen.
Ein gleichwertiges Stück ist ihre „Zwillings-
schwester" in Ton, im Louvre, als „La belle
alsacienne" bekannt, und auch sonst findet sich
schon allein im engeren mainzischen Umkreis
genug an gleicher Qualität.
Klingelschmitts Einreihung der Statue in die
lokale Tonplastik ist einwandsfrei. Aus den durch

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