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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Habicht, Victor Curt: Die Gobelins im Rittersaale des Domes zu Hildesheim
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0289
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Der Unterricht II (Abb. 5). In einem reichen, nach rückwärts und nach der linken
Seite geöffneten und damit den Blick auf die Landschaft gewährenden Gemache sitzt
der junge Prinz, mit der Rechten schreibend, mit der Linken einen Zirkel haltend,
an einem Tische. Zwei Männer, deren Geberden den Unterricht in der Mathematik
andeuten sollen, stehen dicht neben ihm. An der anderen Seite des Tisches sitzen
zwei Jünglinge, offenbar Erziehungsgespielen des Prinzen, deren Aufmerksamkeit
nicht ganz bei der Sache zu sein scheint. Auf der rechten Seite bilden drei eifrig
in einem Buche lesende Männer eine Gegengewichtsgruppe zu der linken. Im
Vordergründe liegt ein etwas komisch geratener Hund und ganz links wird noch
die sitzende Gestalt eines eifrig lesenden Knaben sichtbar. Von der Inneneinrichtung
seien die rechts stehende Kredenz, der Schreibtisch und besonders der Kamin
hervorgehoben. Abgesehen von der prächtigen Formung des letzteren ist es die
zweimal vorkommende Gestalt der Diana — in der von Putten gerahmten Kartusche
und im Sturz — die unsere Beachtung verdient. Die der Dianne von Poitiers
wegen so beliebt gewordene Gestalt mutet in einem für Katharina von Medici ge-
zeichneten Karton doch befremdend an. Und daß es sich hier um ein — nur in
den Zeichnungen A. Carons mögliches — Motiv handeln kann, versteht sich von
selbst.
Überblickt man die ganze Serie, so überrascht der strenge Renaissancecharakter
der prachtvollen Bordüren, der in auffallendem Gegensatz zu den Formen des
Barock steht, in denen die eigentlichen Bildszenen gehalten sind. Hier in Orna-
mentik, Blattwerk und im Figürlichen Erscheinungen, die durchaus noch dem
16. Jahrhundert angehören, dort in den Hauptteilen der wuchtige, oft übertreibende
Geist einer neuen Zeit. Es ist auch bezeichnend, wie sehr die Figur in den Bild-
szenen in den Vordergrund tritt und wie nebensächlich im Grunde das Beiwerk
behandelt wird. Diese Unstimmigkeiten erklärt eine genauere Betrachtung der
Entstehung der Teppiche, zu der wir uns nun wenden wollen.
Wie die Beschreibungen schon angedeutet haben, gehören die Teppiche zu der
bekannten Folge der Artemisiateppiche. Der Anlaß zur Wahl dieses antiken Stoffes
ist bekannt. Der frühzeitige Tod Heinrichs II. legte einen Vergleich mit der Gestalt
des Königs Mausolus ebenso nahe wie einen der Trauer der Königin-Witwe Katha-
rina von Medici mit der der Artemisia. Mit diesen allgemeinen Beziehungen hatte
es aber nicht sein Bewenden. Ein geistig hochstehender und künstlerisch lebhaft
interessierter Mann: Nicolaus Houel1), bemächtigte sich des Stoffes und verfaßte 1562
einen Roman: Artemisia und zugleich Sonette zu Zeichnungen der Geschichte der
griechischen Königin, die er der Königin Katharina von Medici widmete und die
den Anlaß für die Herstellung der Artemisiateppiche bildeten. Nach den Forschungen
Guiffreys stammen die ursprünglichen Zeichnungen der Kartons von Antoine Caron 2).
Dieselben werden noch im Kupferstichkabinet der Pariser Nationalbibliothek8) und
im Louvre aufbewahrt und gestatten einen Vergleich mit unseren Gobelins. Man
erkennt aber sofort, daß diese Zeichnungen nicht als Vorbilder für unsere Arbeiten
gedient haben können. Nun wissen wir aber auch, daß nicht nur in dem einen
Falle, bei dem' Tode Heinrichs II., sondern über einen langen Zeitraum von beinahe

(1) Vgl. J. Guiffrey a. a. O. S. 179—270.

(2) Vgl. J. Guiffrey a. a. O.; über Caron vgl. Thieme-Becker, Allg. Lexikon d. bild. Künste, Bd. VI,
Leipzig 1912 S. 27—28.

(3) 39 Zeichnungen in d. Nat.-Bibl.; 3 Zeichnungen im Louvre. Vgl. Abb. in J. Guiffrey et P. Marcel:

Inventaire gen. d. dessins du Musee du Louvre, Bd. III. 1909, p. 19—20. .

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