Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

DOI article:
Stierling, Hubert: Die Grabplatte der Herzogin Sophie v. Mecklenburg in Wismar: Ein Beitrag Zu Peter Vischer
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0308
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Wappen, die hier ins Auge fällt. Vischer beschränkt sich immer nur auf vier
Eckwappen, hier dagegen sind es zehn. Außerdem sind diese zehn Wappentiere
so ungelenk in allen ihren Bewegungen, daß sie nicht nur hier von der wunder-
baren Feinheit der Hauptfigur denkbar scharf abweichen, sondern auch von allen
übrigen Vischerwappentieren, in deren Darstellung sich die Werkstatt nach jahre-
langen Bemühungen eine überaus sichere, charaktervolle Hand erworben hatte.
Ungewöhnlich ist auch die Zweizeiligkeit der Umschrift, wenngleich sie einige
ganz wenige Male bei Vischer vorkommt, nämlich bei der Herzogin Sidonie in
Meißen (gest. 1510), bei Albrecht dem Beherzten ebenda (gest. 1500), und bei dem
Römhilder Doppelgrabmal. Jedoch ist die Inschrift bei der Herzogin Sophie durch-
aus nicht von der Sorgfalt, die sonst in der Vischerhütte angewendet wurde. Man
merkt das vor allem daran, daß die Buchstaben nicht so peinlich die gleiche Rich-
tung innehalten, wodurch die Inschriften bei den beglaubigten Werken stets zum
Schmuck der Platte wesentlich beitragen. Und endlich haben wir es hier mit der
einzigen niederdeutschen Inschrift zu tun, worauf ich gleich zurückkomme.
So ergeben sich aus dem Charakter der Inschrift in der Tat gewisse Differenzen,
die wohl daran glauben lassen, daß der gesamte Schriftrand mit Wappen und
Buchstaben zwar in Vischers Hütte gleichzeitig mit gegossen sei, jedoch von
anderer Hand und zwar wohl von dem Thile Bruith, der seinen Namen in etwa
3 cm Größe ganz bescheiden in den ersten Buchstaben eingraviert hat. Auch
sonst scheint es ein paar Kleinigkeiten zu geben, die auf diese zweite Hand hin-
weisen. Es ist durchaus gegen die Vischersche Gewohnheit, daß der Fußboden
hier nicht gemustert ist, denn der perspektivische Eindruck leidet sichtlich dar-
unter. Wenn man die große Gruppe der schlafenden Frauen durchgeht, so findet
man nicht eine einzige, die auf unbearbeitetem Boden steht. Der kleine Kunst-
griff der Musterung war so beliebt, daß er auch von anderen Hütten dieses Jahr-
hunderts — etwa den Hilgers in Freiberg — angewendet wurde. Ungewöhnlich
ist ferner die Art der Aufhängung des Teppichs, der hier in ziemlich grober Weise
an zwei Ringen befestigt ist, während sonst ein sorgfältiges Schnürwerk stets An-
wendung gefunden hat, meist sogar in solcher Weise, daß man unmittelbar die
technische Liebe und Sorgfalt spürt, mit der es gebildet ist; noch äuffälliger sind
die Fransen am unteren Ende, die auf der einen Seite in grober paralleler Richtung
gegeben sind, während auf der anderen Seite eine andere Hand sich bemüht hat,
den leichten Eindruck des unregelmäßig fallenden Bandwerkes wiederzugeben.
Auch in das Kopfkissen sind Muster graviert, die nicht die gewöhnlichen sind.
Alle diese Ausstellungen betreffen Akzessorien, nicht die Figur selber. Es sind
Kleinigkeiten, oft Kleinlichkeiten. Die Figur der Herzogin selber ist von ihr un-
berührt und steht in einer Großartigkeit vor uns, die vielleicht um so wirkungsvoller
ist, je mehr sie in Gegensatz zum oben Gesagten tritt. Der Eindruck der Figur ist
von ungewöhnlicher Ruhe und Feierlichkeit. Die leichte Verschiebung beider Hände
nach rechts ist ein Gedanke, der mit genialer Einfachheit Bewegung in das ruhige
Standmotiv bringt. Wundervoll ist dabei die ungemein weiche Art, in der der
linke Oberarm durch das Gewand hindurch tritt. Der Eindruck leichter Bewegt-
heit wird auch durch die verschiedene Art der Gewandbehandlung auf beiden
Körperhälften hervorgerufen, indem die ruhigen senkrechten Züge der rechten
Hälfte in bewußten Gegensatz zu den unruhigen, prachtvoll bis ins einzelne durch-
modellierten Falten der linken Körperhälfte treten. Zu Füßen der Herzogin staut
sich das Kleid in einem leichten Wellengekräusel, das durch den Kontrast zu den
breiten, weichen Wogen oberhalb um so fühlbarer wird. Dehio hat vollkommen

298
 
Annotationen