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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Künster, Gertrud: Beiträge zur Kenntnis des Sebaldusgrabes
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0328

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gischen Gestalten die gleichen Attribute haben, wie bei den Italienern, und daß
Zerrbilder, die in der damaligen deutschen Kunst nicht fehlten, nicht zu finden
sind. Gegenüber der ersteren Behauptung hat schon Weizsäcker1) das Zurück-
gehen auf einen ganz anderen älteren Formenschatz betont, „denselben Formen-
schatz, aus dem schon das gesamte christliche Mittelalter den dekorativen Aufbau
seiner kirchlichen Kunst zu bestreiten gewohnt war"; Löwen, Hunde, Frösche,
Schnecken, Sirenen, die als Kerzenhalter dienen, sind nach ihm Typen, die zur
plastischen Ausschmückung der Kirchen, ebenso auch des Mobiliars im 15. Jahr-
hundert Verwendung fanden.
Was den zweiten Punkt der Seegerschen Deutung betrifft, so möchte ich von
den zwölf Sockelreliefs annehmen, daß sie inhaltlich und durch ihren allegorischen
Gehalt auf mittelalterliche Anschauungen zurückgehen oder doch keinesfalls die Art
der Darstellung zeigen, die in der Renaissance in Italien typisch wird. Vergleichen
wir z. B. die beiden Reliefs von der Nord- und Südseite, die vielleicht mit-
einander korrespondieren, Jupiter und Apollo; der traurige Jupiter wirkt für uns
wie die Karikatur eines Gottes, der kein Reich mehr hat; beide sind durch einen
Stab mit kugelartigem Knauf als Planeten gekennzeichnet2). Bei der Durchsicht
zahlreicher Bücher fand ich in den Tarocchi3), die schon Weizsäcker in diesem
Zusammenhang genannt hat, ein Bild des Apollo, das mit dem Relief Vischers eine
nahe Verwandtschaft zeigt: das Sitzmotiv, die Schwäne und ihre Haltung stimmen
in beiden Darstellungen miteinander überein. Die Tarocchi waren am Ende des
15. Jahrhunderts in Deutschland weit verbreitet und die von ihnen vorgetragene
Vorstellung des Weltalls allgemein geläufig; ich erinnere an den Apollo Dürers4),
dessen Stellung den neuen italienischen Renaissanceeindrücken entspricht, während
seine Charakterisierung als Planetengott noch die frühere Anschauung spiegelt. Es
braucht nicht diese Folge der Tarocchi gewesen zu sein, die Peter Vischer beein-
flußt hat, ja, ich möchte nicht einmal von einer formalen Entlehnung hier sprechen,
sondern nur darauf hinweisen, daß er mit der Darstellung des Apollo als Sonne
auf den Anschauungen des 15. Jahrhunderts basiert, während die Renaissance für
Apollo andere Darstellungsarten kennt (Apollo als Bogenschütze, Apollo und die
Musen, Apollo Sauroktonos, Apollo mit der Leier u. dergl. m.).
Bei der Durchsicht illustrierter Bücher vom Ausgang des 15. Jahrhunderts findet
man sehr wenig Motive, die man zum Vergleich mit Vischerschen Werken heran-
ziehen könnte; wohl sieht man hier und da Putten verwendet, aber sie geben
höchstens die Anregung, spielende Kinder nackend darzustellen; bis zu der lebens-
wahren Darstellung kleiner, unbeholfener Menschlein mit ihrem drastischen Humor
ist noch ein weiter Schritt.
Selten trifft man in der Umrahmung (z. B. der Kalenderblätter) Vasen, Urnen
und Blattschmuck; sie reichen nicht aus, um auch nur die Fülle und Mannigfaltig-
keit der Kandelabersäulen im Grabmal Vischers zu erklären.
Zusammenfassend darf ich sagen, daß mich die Durchsicht zahlreicher illustrierter
deutscher und italienischer Werke zu der Meinung geführt hat, daß die Buchkunst
des ausgehenden 15. Jahrhunderts keinen bestimmenden Einfluß auf die gleich-
zeitige Malerei und Plastik gehabt hat oder gehabt haben kann, vielmehr um einige
Jahrzehnte hinter den Äußerungen der Werke der großen Kunst nachhinkt.

(1) Weizsäcker, a. a. O., 1900, p. 309.

(2) Derselbe, a. a. O., 1900, p. 311."

(3) Kristeller, P. Tarocchi, Graph. Gesellschaft igio.

(4) Apollo und Diana. Handzeichnung im British Museum.

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