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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Miszellen
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0335

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MISZELLEN ..
AMBERGERS MADONNA MIT DEM
ZEISIG. Eine Kopie nach Tizian.
Ambergers Madonna in der Gemäldegalerie zu
Augsburg (Nr. 2295) hat von jeher die Kunsthisto-
riker an die venezianische Schule erinnert. So be-
merkt auch der Katalog von 1912: „das Gemälde
geht vermutlich auf ein venezianisches Vorbild
zurück."
Dies Bild ist nun nichts anderes als eine etwas
freie Kopie nach einer Madonna von Tizian, die
sich im Prado zu Madrid befindet1). Die Über-
einstimmung ist so stark, daß es fast unverständ-
lich bleibt, wie der Zusammenhang so lange un-
bemerkt bleiben" konnte, ja, daß er auch bei der
letzten Generalumordnung der Augsburger Galerie
und bei Abfassung des neuen Katalogs nicht er-
kannt wurde.
Freilich stellt die Madonna mit dem Zeisig, wie
sie heute in Augsburg zu sehen ist, nur die Mutter
mit dem Kinde dar, während im Original noch
zwei Figuren der Gruppe verehrend beigesellt
sind: eine heilige Brigitta mit dem Blumenkörb-
chen und ein heiliger Ulfus. Nun ist aber Am-
bergers Kopie, wie sie heute vorliegt, nur ein
Ausschnitt der ursprünglichen. Das war bei dem
Material, dessen sich der Maler bediente, leicht
möglich. Der Katalog gibt die Notiz: Papier auf
Holz. Bei genauer Betrachtung des Bildes fällt
ein wunderlich zackiger Schnitt auf, der als Hellig-
keit durch die Übermalung, die ihn verdecken
sollte, hindurchscheint. Der Schnitt läuft an meh-
reren Stellen ganz nahe am Rande wichtiger Kom-
positionsteile vorbei. Man sieht sozusagen vor
sich, wie das Blumenkörbchen der Brigitta, in
welches das Kind spielend hineingriff, und weiter
oben möglichst viel vom hellen Himmel abgetrennt
wurde.
Genau wiedergegeben hat der Kopist das ganze
Beieinander von Mutter und Kind, er hat sich
auch in den meisten Einzelheiten fest an das
Vorbild gehalten, wobei freilich manche Partien,
wie besonders Marias rechte Hand ziemlich steif
ausgefallen ist. Wesentlicher aber, weil aus be-
wußter Absicht hervorgegangen, ist die Gestaltung
der beiden Köpfe und ihr Verhältnis zueinander.
Bei Tizian wendet das Kind sein Antlitz mit leb-
hafter Drehung zur Mutter hin und schlägt fragend
(1) Phot. Braun, Clement & Cie., Dornach. Auch Klassiker
d. Kunst, III., S. 4. Ambergers Madonna: Phot. Hoefle,
Augsburg, sowie Abbildung in Maria i. Rosenhag, Verlag
Langewiesche.

den Blick zu ihren fremdlich herabsehenden Augen
auf. Ein echt italienischer Kontrapost von nach
links gedrehtem Oberkörper und nach rechts ge-
kehrtem Gesicht, von gehobener linker Schulter
und auf dieselbe Seite geneigtem Kopf. Amberger
aber übernahm zwar die Körperbewegung des
Knaben vom Original, setzte ihm aber ein anderes
Antlitz auf: Vorderansicht mit starker Neigung
nach vorn. Das paßt nicht zusammen und außer-
dem ging die Ausdrucksbeziehung zwischen Mutter
und Kind verloren.
Marias Antlitz ist im allgemeinen mehr Kopie.
Aber auch bei ihr gibt es Abweichungen in Kopf-
neigung und Gesichtsansicht. Schädelform und
Gesichtsbildung sind ins Gewölbtere, stärker Mo-
dellierte umgedeutet. Die Wangen sind voller,
sie sondern sich merklicher von dem kräftigen
Kinn. Dagegen ist der Hals schlanker geworden.
Alles in allem ist dieser Frauentypus nicht mehr
rein tizianisch, sondern vielmehr Dürers Frauen-
ideal angenähert. Der ziemlich breite Nasen-
rücken, die hochgewölbte Oberlippe, das tempera-
mentvoll vortretende Kinn erinnern an des Mei-
sters Madonna in Wien vom Jahre 1512.
Ambergers Farbe hat sehr wenig von Tizian.
Leider ist mir das Original im Prado nicht be-
kannt. Ich vergleiche daher mit anderen Gemäl-
den des Venezianers aus der gleichen Zeit (1504).
Der Deutsche stellt im Madonnengesicht neben
braune Schattentöne recht unvermittelt kalt-rosa
Lichter, wie Tizian sie niemals hat. Auch das
Weiß der Madonna mit dem Zeisig hat braune
Schatten, darin finden sich an zwei Stellen kühlere
Lasuren, einmal bläulich, das andere Mal violett-
lich. Die könnten von Tizian entlehnt sein, ob-
gleich in seiner Malerei der farbige Qualitätswechsel
nicht so losgelöst wirkt vom übrigen Kolorit. Den
Purpurstoff hat Amberger erst recht mit braunen
Schatten bedacht und die blaurosa Lichter sind
sehr ungeschickt schülerhaft aufgesetzt. Tizian
hat im angegebenen Jahre für Tagesbeleuchtung
im Purpur kühle Lichter (Hl. Markus in S. M.
della Salute, Vened.) Zur gleichen Zeit gab er
die Glut einer Abendsonnenbeleuchtung auf Antlitz
und Purpur wie Feuer, den Schatten im Stoff da-
gegen als kühles Rosenrot (Hl. Petrus mit Papst
Alexander und Jacopo Pesaro, Antwerpen). Von
der Kühnheit solcher koloristischen Gegensätze
ist Amberger weit entfernt. Vielleicht ist die
Prado-Madonna ähnlich behandelt wie der Markus
der Salute und das Augsburger Bild stellt einen

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