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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Steinmann, Ernst: Die Zerstörung der Königsdenkmäler in Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0347

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DIE ZERSTÖRUNG DER KÖNIGSDENK-
MÄLER IN PARIS ....
Mit sechsunddreißig Abbildungen auf fünfzehn Tafeln Von ERNST STEINMANN

Der io. August 1792 ist nicht nur für König und Königtum in Frankreich ein
verhängnisvoller Tag gewesen. Er warf seine Schatten auch tief in die Ver-
gangenheit hinein. Er besiegelte das Schicksal von Kirchen und Schlössern und
gab das Zeichen zur Zerstörung aller jener Königsstatuen und Königsdenkmäler,
die den Vorfahren Louis Capets im Laufe langer Jahrhunderte gesetzt worden
waren.
Es war am Tage nach der Plünderung der Tuilerien am 11. August, 7 Uhr
morgens1). Der gefangene König hatte bereits mit den Seinigen in der engen Loge
Platz genommen, die ihm die Nationalversammlung angewiesen hatte. Der Ab-
geordnete Sers ergriff das Wort: „Das Volk beschäftigt sich in diesem Augenblick
damit, alle Statuen herunterzureißen, die auf den öffentlichen Plätzen errichtet
worden sind. Dies Unternehmen kann — von ungeschickten Händen ausgeführt #—
das größte Unglück verursachen. Ich beantrage, daß man Ingenieure oder Archi-
tekten anstellt, diese Arbeiten zu leiten."
Auf den Einwand, die Nationalversammlung könne doch unmöglich auf diese
Weise die Vernichtung dieser Statuen legalisieren, erklärte der Abgeordnete Thuriot,
es ginge nicht mehr an, die Zerstörung der Denkmäler zu verhindern. „Die Na-
tionalversammlung," so schloß er, „muß unter den obwaltenden Umständen Charakter-
stärke zeigen, und sie darf keine Scheu tragen, die Zerstörung aller dieser Monu-
mente anzuordnen, die dem Hochmut und dem Despotismus errichtet worden sind."
Damit waren in der gewitterschwülen Stimmung der Nationalversammlung des
11. August mit dem König selbst auch die Denkmäler seiner Ahnen gleichsam in
den Anklagezustand versetzt worden. Wenige Tage später wurde an ihnen schon
das Urteil vollzogen.
Am 14. August erschienen die Bürger des Stadtviertels Heinrichs IV. vor den
Schranken der Nationalversammlung und verkündeten, daß sie die Statue des Königs
zerstört hätten, nach dem ihr Stadtviertel den Namen trage2). „Die Erinnerung an
die Tugenden Heinrichs," erklärte der Sprecher der Deputation, „haben uns eine
Weile zurückgehalten, dann aber fiel uns ein, daß er kein konstitutioneller König
gewesen ist. Wir sahen in ihm nur noch den Tyrannen — und die Statue fiel.
Wir schlagen vor, auf dem Platz, wo das Denkmal stand, Tafeln zu errichten, auf
denen die Menschenrechte geschrieben stehen."
Die Nationalversammlung spendete den Herostraten Beifall und beschloß, auf
den Antrag von Thuriot und Lacroix, aus den Augen des französischen Volkes alle
Denkmäler des Stolzes, des Vorurteils und der Tyrannei zu entfernen und alle
Bronzewerke unverzüglich in Kanonen umzugießen. Ebenso sollten in Paris und
überall in Frankreich in den Kirchen und Häusern, in den Straßen und auf den
Plätzen alle Denkmäler und Inschriften entfernt werden, die irgendwie auf Kirche,
Königtum und Adel Bezug haben könnten 3).
Mit einem solchen Beschluß war den Königsdenkmälern Frankreichs allerdings
eher noch das Todesurteil gesprochen worden als dem König selbst. Die Ge-
schichte kennt kein ähnliches Beispiel eines solchen Bruches mit der Vergangenheit.
Noch niemals hatte ein Volk so überlegt, so frevelnden Mutes Hand an die Denk-

Monatshefte für Kunstwissenschaft, X. Jahrg., 1917, Heft 10/12

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