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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Steinmann, Ernst: Die Zerstörung der Königsdenkmäler in Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0376

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Kirche. Ihre mißgestalteten Formen — offenbar hatte Mercier keinen Sinn für die
Schönheit mittelalterlicher Plastik — ziehen die Blicke auf sich. Wenn man sie
betrachtet mit ihren riesigen Szeptern und all ihren verwunderlichen Verstümme-
lungen, muß man lächeln. Dann sinnt man nach über die seltsamen Wandlungen
der Zeit und die grillenhaften Entschließungen des Schicksals.
„Zufall mehr als Absicht mag sie so erniedrigt haben, denn das Auge und das
Ohr werden in gleicher Weise von ihnen beleidigt. Schon ihre Geschichte hat
einen schlechten Geruch.
„Ein Grenadier, die Pfeife im Munde, klettert über den runden Bauch Karls des
Großen und stößt ohne Furcht und Tadel seine große kaiserliche Nase ab. Ruhig
läßt er sein Auge über die anderen Statuen dahingleiten, die noch ihre Kronen auf
den Köpfen haben, und sein Kamerad kümmert sich nicht darum, den Namen
dessen zu wissen, den er soeben mit Füßen tritt.
„Es ist König Pippin mit dem Schwert in der Hand, den Löwen zu seinen Füßen,
den er selbst erlegt hat. Löwe und Schwert aber scheinen erstarrt angesichts
solcher Schmach.
„Das ist heute in Paris das neue Saint-Denis oder vielmehr das Museum dieser
alten und königlichen Statuen."
So phantasierte der Bürger Mercier über die Könige Judas an der Fassade von
Notre-Dame-de-Paris. Gregoires Stillschweigen über die Schändung der Königs-
statuen und Merciers Betrachtungen darüber haben beide denselben Sinn. Sie
zeigen, wie furchtbar der Haß gegen das Königtum selbst bei höher gerichteten
Geistern war.
Als Johann Jakob Volkmann im Jahre 1786 Saint-Denis besuchte, sah er noch
den Sarg Ludwigs XV. bei immer brennenden Wachskerzen feierlich aufgebahrt,
seines Nachfolgers wartend, um für immer in die Gruft zu versinken174). Er sah
die Könige Frankreichs von Karl VIII. bis auf Ludwig XIII. lebensgroß in Wachs
gearbeitet auf hohen Stühlen sitzend, mit Krone und Szepter und roten Mänteln
über den Schultern. Er sah die monumentalen Denkmäler von Franz I. und
Claude de France, von Ludwig XII. und Anne de Bretagne, von Heinrich II. und
Katharina de' Medici175). Er sah Karl VIII. auf seinem Bronzedenkmal knieen und
mitten im Chor das Grabmal Karls des Kahlen. Er sah in der Sakristei einen
Kirchenschatz, wie er auf der Welt vielleicht nur noch in St. Peter in Rom zu
finden war, und betrachtete staunend die Kronen von Frankreich, Krone, Szepter
und Schwert Karls des Großen und die Rüstung der Jungfrau von Orleans 176). Ein
Herrschergeschlecht war hier nach dem andern ins Grab gesunken. Sie ruhten hier
noch so friedlich beisammen, wie einst die Gebeine der deutschen Kaiser im Dom
zu Speyer.
Aber die Königsgruft von Speyer war längst von Soldaten Ludwigs XIV. ge-
geschändet und ausgeplündert worden. Nun schickten sich ihre Nachkommen an,
dasselbe Verbrechen an ihren eigenen Königen zu begehen.
In der Sitzung vom 1. August 1793 faßte der Nationalkonvent den Beschluß, alle
Gräber und Denkmäler der früheren Könige in Saint-Denis sowie in allen Tempeln
und an allen Orten im ganzen Bereich der Republik am 10. August zu zerstören.
So sollte der erste Jahrestag der Erstürmung der Tuilerien und der Gefangennahme
des Königs festlich begangen werden177).
Bereits am 6. August begannen die Zertörungen und datierten bis in den Oktober
hinein fort. Wie viele Federn haben versucht, das Schauspiel zu beschreiben, wie
die Könige und Königinnen Frankreichs aus ihren Gräbern gerissen wurden, um
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