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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Steinmann, Ernst: Die Zerstörung der Königsdenkmäler in Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0377
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wie gemeine Verbrecher einer nach dem andern und alle zusammen in einer
großen Kalkgrube zu verschwinden!178) Aber die Phantasie bemüht sich Vergebens,
die August- und Septembertage von 1793 in Saint-Denis zu gestalten, sich die auf-
gerissenen Gräber, die zerbrochenen Denkmäler, die in allen Stadien der Ver-
wesung ans Licht gezogenen Leichname, als ein einziges Bild des Schreckens
vorzustellen. Sie bemüht sich vergebens, in der Seele derer zu lesen, die als
Lebendige hier unter den Toten ihr Unwesen trieben, die in unverständiger Raserei
das bekämpften, was keinen Widerstand mehr leisten konnte, und mit frevelnder
Hand der Majestät des Todes die Krone vor die Füße warfen.
Am 12. Oktober war von allen Gräbern nur noch Turennes Ehrengrabmal un-
versehrt mit seinen Trophäen und Allegorien, mit der liegenden Gestalt des Helden
selbst, über dem die Unsterblichkeit den Kranz emporhielt. Lenoir hat das be-
schädigte Denkmal zu retten gewußt; die Mumie Turennes aber hat die wunder-
samsten Schicksale gehabt, ehe sie im Jahre 1800 im Invalidendom wieder mit dem
Grabmal vereinigt wurde.
Lenoir ist es auch gelungen, den größeren Teil der Königsdenkmäler in seinem
Museum zu bergen179). Aber was damals an unermeßlichen Werten zugrunde
ging, weiß heute niemand mehr zu sagen. Alles was Bronze war, wurde in den
Schmelzofen geworfen; die Grabstatuen Karls des Kahlen, Karls VIII. und des
Marschalls d'Harman de Gillem wurden ohne weiteres dem Untergange geweiht.
Andere Grabdenkmäler, wie die des Königs Eudes und des Hugo Capet wurden
mutwillig zerbrochen, um für den Aufbau eines neuen Denkmals zu dienen, an
dessen Anblick sich die Bewohner von Saint-Denis in Zukunft ergötzen sollten180).
Niemals hatte die Welt noch ein ähnliches Denkmal gesehen. Jeder Patriot
wurde zum Architekten, um Marat und Lepelletier, „den Märtyrern der Revolution",
ein Kenotaph zu errichten. Zwischen schnell gepflanzten Tannen und Zypressen
war ein Berg aufgeworfen worden, der draußen mit Rasen bedeckt, drinnen eine
Grotte barg. Diese Grotte war ganz aus den Trümmern der Königsdenkmäler
hergestellt worden. Marmorsäulen, die einst zum Schmuck der Gräber gedient
hatten, trugen die Gewölbe dieser Grotte, und die liegenden Statuen der Könige
waren als Gebälk benützt worden. „Das Schönste, was man finden konnte",
schreibt ein Augenzeuge begeistert, „war von freien Händen herbeigebracht worden,
um der Freiheit diesen Tempel zu errichten".
Im Jahre 1801 besuchte der Hamburger Domherr, F. J. Meyer181), dem wir so
manche eindrucksvolle Schilderung aus Paris verdanken, die Trümmer von Saint-
Denis: „Nur Ruinen stehen noch da", schreibt er, „Denkmäler der Barbarei, der
Zerstörungswut, der Schande unseres Zeitalters. Die Gewölbe der Kirche sind,
nachdem sie ein Jahrtausend überlebt hatten, überall mit großen Öffnungen durch-
löchert worden, die Fenster sind bis auf die letzte Scheibe zerschlagen, Schnee
und Regen stürmen seit acht Jahren durch diese Fensteröffnungen und durch
die ihrer Kupferbedeckung beraubten Dächer herein. Der Fußboden ist zerstückt
und mit Schutt bedeckt. Die Kapellen und Altäre sind niedergeworfen, die mar-
mornen Denkmäler zertrümmert. Die Gräber sind erbrochen, die Särge zerschlagen,
Staub und Gebeine zerstreut. Verschont von der alles verwüstenden Zeit, ein
Denkmal des Altertums und der Frömmigkeit, fiel das ehrwürdige Gebäude am
Schluß des Jahrhunderts der Aufklärung und der Philosophie zum Opfer — der
Raub des Volkes, des Pöbels, das das erleuchtetste sich nannte".
„Sie sind nicht mehr, diese Grabdenkmäler", klagte Chateaubriand. „Die kleinen
Kinder spielen mit den Gebeinen der mächtigen Monarchen. Saint-Denis ist eine

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