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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Steinmann, Ernst: Die Zerstörung der Königsdenkmäler in Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0379

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ungen beraubt; die Franzosen hatten sich selbst zerfleischt, sie hatten selbst zer-
stört, was jedem anderen Volke heilig war!
Wie konnte es gelingen, diesem Vorwurf zu begegnen, diese Schande auszu-
löschen, so fragte man sich sofort angesichts so furchtbarer Trümmerhaufen?
Seltsames Wiederspiel im Schicksal der Völker! Das Unbegreifliche geschah, dank der
Triumphe Napoleons. Die Franzosen hatten kaum ihre eigenen Kirchen und Klöster,
ihre Schlösser und Denkmäler, ihre Archive und Bibliotheken verbrannt, geplündert
und zerstört — da erklärten sie sich schon vor der erstaunten Welt als die ein-
zigen, auserwählten Hüter alles Schönen, was Menschenhände je auf Erden ge-
schaffen hatten. Und mit dem Schwert in der Hand gelang es ihnen auch, die
Welt von diesem Recht zu überzeugen. Aus aller Herren Länder wurden Gemälde
und Statuen, ganze Archive und Bibliotheken, Medaillen, Kameen und Münzen nach
Paris geschleppt, und fast zwei Jahrzehnte lang ist der Louvre das Museum Europas
gewesen. Dabei blieb der Geist der Zerstörung, den die Revolution geweckt
hatte, noch lange unter den Franzosen lebendig. Belgien und Holland, Italien und
Deutschland sind nicht nur ausgeraubt, sondern auch verwüstet worden wie Frank-
reich selbst.
Nach der Schlacht bei Bellealliance und dem Sturze Napoleons mußten den be-
raubten Ländern auch ihre Kunstschätze und vaterländischen Heiligtümer wieder
ausgeliefert werden, und Ludwig XVIII. blieb nichts übrig als die leer gewordenen
Säle des Louvre mit dem zusammengeschmolzenen Erbe der Väter so gut, wie es
anging, wieder anzufüllen. Aber der Anblick so mancher antiken Statue, so manchen
köstlichen Gemäldes, das unrechtmäßigerweise zurückbehalten worden war, mochte
ihn trösten.
Der neue König ließ auch sonst überall die zerstörten Erinnerungen an seine
Ahnherrn wieder herstellen und befahl, aus dem Museum Lenoirs die Denkmäler
der Valois und der Bourbonen in das wieder erstandene Saint-Denis zurückzubringen.
Bald sah man auch wieder Heinrich IV. auf dem Pont-Neuf, Ludwig XIII. auf der
Place Royale und Ludwig XIV. auf der Place des Victoires sich erheben. Aber
diesen Statuen fehlt der historische Sinn; sie vermögen nur den Unwissenden über
Unersetzliches hinwegzutäuschen. Denn die herrlichsten Schöpfungen der Monu-
mentalplastik Frankreichs sind unwiderbringlich dahin — zerstört von denen, die
sie hüten sollten.

Monatshefte für Kunstwissenschaft, X. Jahrg. 1917, Heft 10/12 27

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