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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 10.1917

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Kutschera-Woborsky, Oswald: Zu Andrea Pozzos Fresken in Mondovi
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https://doi.org/10.11588/diglit.73982#0397

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stark bewegter und müßig hingelagerter Figuren, die, in reicher Anzahl und in
mannigfachen Posen auftretend und verschiedene Funktionen und Motive ver-
körpernd, den Bildausschnitt in einer höchst artistisch durchdachten und ab-
gewogenen Verteilung ausfüllten und bestimmten. Stammeltern dafür waren die
großen Kompositionen der ersten Cinquecentohälfte gewesen, die Schulen von
Athen, die Markuswunder und Gastmähler, welche Raffael, Tintoretto und Paolo
Veronese entworfen hatten. Aber weiter ausgebildet, mit mancherlei Dingen ver-
mehrt und neu ausstaffiert und durch eine Zurückschraubung der Bildfläche vom
Beschauer die Körpergröße der Figuren etwas reduzierend und deswegen die Anzahl
des agierenden Personales noch weit mehr als früher vervielfältigend und an-
häufend. — Ein sorgfältig überlegter und berechneter Aufbau des Ganzen, der nicht
schwer den Grund erklärt, warum Vincenzo da Canal in seiner Lazzarinibiographie
Künstlern wie Pietro della Vecchia und Luca Carlevaris den Beinamen eines „pittore
e famoso matematico" verlieh1).
Die Verfolgung aber jener „aufsteigenden" Linie, die von der Skizze über die
Chorfresken zu Mondovi bis zu Pozzos Apsismalereien der römischen Ignaziokirche,
wo der Künstler eine unserem Vorwurf nicht sehr entfernte Szene schilderte '-), ge-
zogen werden kann, zeigt jenen Aufschwung ins Leichte und Luftige, in das Lockere
und Fröhlichaufgebaute, der die Erdenschwere, welche dem ersten Versuche noch
anhaftete, in machinoser Weise überwunden findet. Die Auszeichnung der Haupt-
gestalt, die im Abbozzo beinahe noch unter der Masse einer isokephal gehaltenen
Menge untertauchte und an den Seitenteilen durch gleich hoch gestellte Versatzfiguren
gleichsam niedergedrückt erschien, wächst zusehends in ihrer allmählichen Empor-
hebung und zunehmenden Isolierung; schon in Mondovi durch den Wegfall jener
akzessorischen Personen an den Säulenpiedestalen und Stufenkonstruktionen der
Seitenteile. Und mit der Emporrückung des Heiligen vom Erdboden in die Re-
gionen des verklärenden Luftraumes, wie dies in S. Ignazio gehandhabt wird,
scheint der endgültige Sieg dieser Entwicklung gegeben; alle Figuren, welche die
breite Grundlinie des Dreieckes berühren, dessen gleichlange Schenkel über dem
Haupte der Mittelgestalt in einem immer mehr wachsenden Winkel sich schließen,
scheinen jetzt wie von einem gemeinsamen Gnadenakt erfüllt, scheinen von dem
einen und nämlichen Gedanken erfaßt und ihm unterworfen zu sein.
Mit Recht weist Hammer darauf hin, wie Paolo Veronese für manche Formen-
gebung maßgebend war, ganz entsprechend jenen Aussprüchen, wie sie Luigi
Scaramuccia (den die Biographen als Lehrer Pozzos bezeichnen) in seinen
„Finezze de' pennelli italiani" niedergeschrieben hatte"). Doch mögen auch Rubens
gewaltige Kompositionen (vorzüglich dessen Genuesische Arbeiten4)) eingewirkt
haben, wie dies in der Literatur öfters hervorgehoben wird; von dort rührt wohl
jenes Einfügen von aufgerafften Draperien her und manche Typen, welche die
Verwandtschaft der hier von Pozzo erdachten Figuren mit solchen anderer Künstler
(etwa Solimenas) erklären.

(i) Vincenzo da Canal: Vita di Gregorio Lazzarini. Vinegia 1809, pag. XXIV, XXIX.

(2) Wie dies Hammer auch hervorhob.

(3) L. Scaramuccia: Le Finezze de' pennelli italiani. Pavia 1674, p. 97. „Imparadisati per cosi
dire il Genio e Girupeno (= Perugino) per haver goduto del S. Pier Martire di Titiano e del Cena-
colo di Paolo . ..."

(4) z. B. die Figur der knieenden Frau, die sehr ähnlich in dem Altarbilde wiederkehrt, das Pozzo
für Ascoli Piceno (Chiesa di S. Venanzo) malte, (C. Mariotti: Ascoli Piceno, Bergamo 1913, P* 132)*

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