REZENSIONEN.
MAX J. FRIEDLÄNDER, Von Eyck bis
Bruegel. Studien zur Geschichte der
niederländischen Malerei. Berlin, Bard,
1916.
Das Lesen dieses Buches bereitet ein Vergnügen,
wie es neue kunstgeschichtliche Veröffentlichungen
leider nur noch selten gewähren. Zumal auf dem
Gebiete der altniederländischen Malerei haben die
letzten Jahre, wenn man von einigen wenigen
Arbeiten wie der Dissertation Winklers absieht,
wenig Erfreuliches zutage gefördert. Einem Teile
der in Frage kommenden Schriften hat unlängst
Grete Ring in der Kunstchronik Nr. 45 eine nur zu
schonende Abfertigung zuteil werden lassen. Fried-
länder ist mit sachlichem Schweigen darüber hin-
weg gegangen. Sein Buch zeigt, was deutsche
Gelehrtenarbeit ist.
Friedländer gilt heute unbestritten als der beste
Kenner der altniederländischen Malerei in Deutsch-
land. Man fühlt aus jeder Zeile seines Buches
nicht nur den einzigartigen Umfang der Material-
kenntnis, sondern auch die dazu im unmittelbaren
Verhältnis stehende Eindringlichkeit der Beob-
achtung. Dank beiden Voraussetzungen ist in
diesem Buche eine Anschaulichkeit und Prägnanz
der Stilanalyse erreicht, die schwerlicli übertroffen
werden kann; und wenn der Verfasser, zur War-
nung einer gewissen Art von Kunstforschern, in
der Einleitung erklärt, auf Grund der Lektüre
seiner Aufsätze allein lasse sich noch keine Kenner-
schaft erwerben, so muß doch betont werden, daß,
soweit überhaupt Worte über Wahrnehmungen und
Erfahrungen des Auges Rechenschaft geben können,
dies hier der Fall ist. Man lese nur, wie in der
Einleitung der Stil Jans van Eyck dem Stile Rogers
gegenüber gestellt ist:
Das Wesentliche in der Kunst Eycks ist die
freudig bejahende, unwählerische, vorurteilslose
Hingabe an den Schein der Dinge... Tief boh-
rende Beobachtung, verweilendes Modellstudium
drängt das subjektive Gestalten zurück und
schwemmt die Tradition hinweg. — Neben Jan
van Eyck erscheint Roger unsinnlich und geistig.
Er geht von der Aufgabe, dem Thema aus, ge-
staltet im Banne überkommener Schemata, doch
mit einer an Bildgedanken reichen Phantasie. Der
Natur steht er wählend gegenüber ... Jan van
Eyck ist ein Entdecker, während Roger ein Er-
finder ist."
Oder wie S. 77 Bosch, den man bisher stets
nur nach dem Inhalte seiner Bilder beurteilte, for-
mal gekennzeichnet wird: „Primitiv, selbst im
Kreise seiner Zeitgenossen, komponiert Bosch wie
ein Reliefbildner oder ein Medailleur, er profiliert
die bis zur Durchsichtigkeit dünnen Gestalten; er
preßt alle Formen auf die Fläche ... Die Körper
entbehren des Bleigewichts, mit dem die Nieder-
länder des 15. Jahrhunderts, aus . .. ihrer sorg-
fältigen Modellierung sie belasten. Eine gleitende,
auf dem kürzesten Wege zum Ziel eilende Zeich-
nung verleiht seinen Bildern unirdische Leichtig-
keit. Magere Glieder, dünne Stäbe, Äste, schlanke
Baumstämme sind dem Meister willkommen ...
Punkte und Linien werden spitzpinselig, pastos,
perlig und grätig mit Vorliebe hell auf dunklen
Grund gesetzt zu prickelnder Wirkung."
Es gibt nichts schwereres, als solche Synthesen.
Wer nicht über die Anschauung eines Friedländer
verfügte, würde Redensarten brauchen, die auf
alles und nichts passen. Hier steht kein Wort,
das nicht eindeutig, klar und unwiderlegbar wäre.
Das Buch beginnt mit einem Abschnitt über
die niederländische Kunstgeographie, der hoffent-
lich reinigend wirkt. Infolge jahrhundertelanger
Gewöhnung wird Flandern auf Kosten von Bra-
bant, Antwerpen, Limburg und dem Hennegau
stark überschätzt. Schon 1912 wandte sich Paul
Vitry hiergegen: „Notons d'ailleurs l'insuffisance
et l'inexactitude de l'epithete de flamand, que
l'on applique trop souvent ä tous les elements
d'art septentrionaux comme une qualification gene-
rale, sans tenir compte du particularisme histori-
que des Pays-Bas, dont les Flandres ne sont qu'une
des parties". In der Tat verwendete man das
Wort Flandern nicht anders, als wenn man die
fränkische Kunst des 15. Jahrh. etwa als Würz-
burgisch bezeichnete. Dieser Überschätzung Flan-
derns stellt Friedländer gegenüber, wie wenig ver-
hältnismäßig Flandern im Verhältnis zu den übrigen
niederländischen Provinzen geleistet hat, indem
er das Verdienst jeder Provinz vorsichtig abwägt.
Es folgen Charakteristiken eines großen Teiles
der niederländischen Künstler des 15. und 16. Jahr-
hunderts, die mit mancher hyperkritischen Schöp-
fung Volls aufräumen — z. B. mit dem Meister
der Perle von Brabant —, in einigen Fällen wohl
auch erneutem Widerspruch begegnen werden.
Ein Meisterwerk gedrängtester Kritik ist endlich
der dem Buche angehängte Katalog der un-
zweifelhaft sicheren Stücke.
Um der Geschlossenheit und Klarheit der Darstel-
lung willen, die jedem Abschnitte des Buches eigen
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MAX J. FRIEDLÄNDER, Von Eyck bis
Bruegel. Studien zur Geschichte der
niederländischen Malerei. Berlin, Bard,
1916.
Das Lesen dieses Buches bereitet ein Vergnügen,
wie es neue kunstgeschichtliche Veröffentlichungen
leider nur noch selten gewähren. Zumal auf dem
Gebiete der altniederländischen Malerei haben die
letzten Jahre, wenn man von einigen wenigen
Arbeiten wie der Dissertation Winklers absieht,
wenig Erfreuliches zutage gefördert. Einem Teile
der in Frage kommenden Schriften hat unlängst
Grete Ring in der Kunstchronik Nr. 45 eine nur zu
schonende Abfertigung zuteil werden lassen. Fried-
länder ist mit sachlichem Schweigen darüber hin-
weg gegangen. Sein Buch zeigt, was deutsche
Gelehrtenarbeit ist.
Friedländer gilt heute unbestritten als der beste
Kenner der altniederländischen Malerei in Deutsch-
land. Man fühlt aus jeder Zeile seines Buches
nicht nur den einzigartigen Umfang der Material-
kenntnis, sondern auch die dazu im unmittelbaren
Verhältnis stehende Eindringlichkeit der Beob-
achtung. Dank beiden Voraussetzungen ist in
diesem Buche eine Anschaulichkeit und Prägnanz
der Stilanalyse erreicht, die schwerlicli übertroffen
werden kann; und wenn der Verfasser, zur War-
nung einer gewissen Art von Kunstforschern, in
der Einleitung erklärt, auf Grund der Lektüre
seiner Aufsätze allein lasse sich noch keine Kenner-
schaft erwerben, so muß doch betont werden, daß,
soweit überhaupt Worte über Wahrnehmungen und
Erfahrungen des Auges Rechenschaft geben können,
dies hier der Fall ist. Man lese nur, wie in der
Einleitung der Stil Jans van Eyck dem Stile Rogers
gegenüber gestellt ist:
Das Wesentliche in der Kunst Eycks ist die
freudig bejahende, unwählerische, vorurteilslose
Hingabe an den Schein der Dinge... Tief boh-
rende Beobachtung, verweilendes Modellstudium
drängt das subjektive Gestalten zurück und
schwemmt die Tradition hinweg. — Neben Jan
van Eyck erscheint Roger unsinnlich und geistig.
Er geht von der Aufgabe, dem Thema aus, ge-
staltet im Banne überkommener Schemata, doch
mit einer an Bildgedanken reichen Phantasie. Der
Natur steht er wählend gegenüber ... Jan van
Eyck ist ein Entdecker, während Roger ein Er-
finder ist."
Oder wie S. 77 Bosch, den man bisher stets
nur nach dem Inhalte seiner Bilder beurteilte, for-
mal gekennzeichnet wird: „Primitiv, selbst im
Kreise seiner Zeitgenossen, komponiert Bosch wie
ein Reliefbildner oder ein Medailleur, er profiliert
die bis zur Durchsichtigkeit dünnen Gestalten; er
preßt alle Formen auf die Fläche ... Die Körper
entbehren des Bleigewichts, mit dem die Nieder-
länder des 15. Jahrhunderts, aus . .. ihrer sorg-
fältigen Modellierung sie belasten. Eine gleitende,
auf dem kürzesten Wege zum Ziel eilende Zeich-
nung verleiht seinen Bildern unirdische Leichtig-
keit. Magere Glieder, dünne Stäbe, Äste, schlanke
Baumstämme sind dem Meister willkommen ...
Punkte und Linien werden spitzpinselig, pastos,
perlig und grätig mit Vorliebe hell auf dunklen
Grund gesetzt zu prickelnder Wirkung."
Es gibt nichts schwereres, als solche Synthesen.
Wer nicht über die Anschauung eines Friedländer
verfügte, würde Redensarten brauchen, die auf
alles und nichts passen. Hier steht kein Wort,
das nicht eindeutig, klar und unwiderlegbar wäre.
Das Buch beginnt mit einem Abschnitt über
die niederländische Kunstgeographie, der hoffent-
lich reinigend wirkt. Infolge jahrhundertelanger
Gewöhnung wird Flandern auf Kosten von Bra-
bant, Antwerpen, Limburg und dem Hennegau
stark überschätzt. Schon 1912 wandte sich Paul
Vitry hiergegen: „Notons d'ailleurs l'insuffisance
et l'inexactitude de l'epithete de flamand, que
l'on applique trop souvent ä tous les elements
d'art septentrionaux comme une qualification gene-
rale, sans tenir compte du particularisme histori-
que des Pays-Bas, dont les Flandres ne sont qu'une
des parties". In der Tat verwendete man das
Wort Flandern nicht anders, als wenn man die
fränkische Kunst des 15. Jahrh. etwa als Würz-
burgisch bezeichnete. Dieser Überschätzung Flan-
derns stellt Friedländer gegenüber, wie wenig ver-
hältnismäßig Flandern im Verhältnis zu den übrigen
niederländischen Provinzen geleistet hat, indem
er das Verdienst jeder Provinz vorsichtig abwägt.
Es folgen Charakteristiken eines großen Teiles
der niederländischen Künstler des 15. und 16. Jahr-
hunderts, die mit mancher hyperkritischen Schöp-
fung Volls aufräumen — z. B. mit dem Meister
der Perle von Brabant —, in einigen Fällen wohl
auch erneutem Widerspruch begegnen werden.
Ein Meisterwerk gedrängtester Kritik ist endlich
der dem Buche angehängte Katalog der un-
zweifelhaft sicheren Stücke.
Um der Geschlossenheit und Klarheit der Darstel-
lung willen, die jedem Abschnitte des Buches eigen
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