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Muche, Georg
Blickpunkt: Sturm, Dada, Bauhaus, Gegenwart — München: Langen-Müller, 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.48466#0206
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damit die Künstler was zu essen kriegen. Von dem Reichspräsi-
denten ist also nichts zu erhoffen. Nimm die zweitausend Mark,
kaufe dir eine Schiffskarte und fahre zu deinen Verwandten auf
die Insel Irgendwo-Nirgendwo im Ozean. Du bist gescheit,
kennst dich in der Gesellschaft aus und hast einen Namen, der
großartig zu ihr paßt. Sie werden dir alles glauben, was du
sagst, und ich könnte mir denken, daß dabei für uns etwas heraus-
kommt^ Natascha ist hingefahren, und eines Tages schrieb sie
mir, sie wäre auf einer Party mit Signor Flavio Katarakt ins
Gespräch gekommen. Katarakt sei ein Mann, der als Kind ver-
waist und mittellos auf eine der Inseln gekommen und dann ein
Erfinder neuer Produktionsmethoden geworden sei, die ihn zum
reichsten Manne des Landes und einflußreich in der ganzen Welt
gemacht hätten. >Sie sind ein Genie<, hat sie zu ihm gesagt, >aber
Sie sind keins von der alten Art. Sie sind ein Genie der modernen
Zeit.< Das hat er gern gehört, und er glaubte es auch, und er
war es ja auch. >Sind denn die Genies in Europa anders<, hat er
dann gefragt, und Natascha hat ihm geantwortet: >Sie, Signor
Katarakt, haben aus dem Nichts alles geschaffen und sind sehr
reich geworden. Das ist der Beweis für Ihre Genialität. In Europa
bleiben die Genies arm. Der Reichtum wird dort nie zum Beweis
der Genialität.< — >Gibt es einen anderen Beweis und kennen Sie
ein europäisches Genie?< hat er sie dann gefragt, und sie hat
geantwortet: >Ja, ich kenne eins, das lebt in Berlin in einem
Atelier unter dem Dach, macht neue und ganz große Kunst, malt
Bilder, die keiner versteht.< - >Kann ich da nichts tun?< hat er
gerufen, >ich würde gerne meinen Namen mit dem eines euro-
päischen Partners verbinden. Was malt er für Bilder?< Natascha
hat ihn aufgeklärt: >Man kann sie nicht beschreibens >Das
denke ich mir<, meinte er, >weil Sie doch gesagt haben, daß sie
keiner versteht. Auch mich hat damals, als ich meine neuen
Methoden entwickelte, niemand verstanden, und niemand hätte
mir geholfen, wenn ich arm geblieben wäre. Ich will ihm helfen.
Kabeln Sie ihm und fragen Sie nach dem Preis eines seiner Bilder.
Sind es Landschaften oder Porträts oder Gruppenbilder?< -
Natascha sagte: >Nein, nichts von alledem. Auf seinen Bildern
ist nichts zu erkennen. Da gibt es keine Gegenstände, nur Farben
und Formens - Und dann hat sie mir gekabelt, und ich habe

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