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Müller, Karl Otfried
Archäologische Mittheilungen aus Griechenland (Band 1,1): Athens Antiken-Sammlung — Frankfurt a.M., 1843

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https://doi.org/10.11588/diglit.900#0012
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Küsten und Zinnen, vom Bergrücken hinab in Pässe, Thalgewinde, Durchsichten aufs Meer, und
hinüber zu herumstehenden Bergen, die einander überragen, erbauen sich dem Auge die Scenen früher
Wanderungen und Kriege, öffnen sich die gesonderten Kreise alter Völkerschaften, blinken die Gipfel
alter Religionen und Gesänge. AH1 diese in der Geschichte verewigten Ortsnamen, diese von der
Poesie, die sie wiegten, vergötterten Räume, werden helle, grosse Bilder und sehen, in ihrer einsam
heitern Dauer von keiner zerstreuenden Nachwelt beeinträchtigt, den Gast aus später Zeit und femer
Heimat so edelschön und gewohnten Gedanken, geahnten Empfindungen so zusagend an, dass sie eine
Heimat anderer Art dem Geiste werden.

Unter den mächtigen Bildungen und ruhig tiefen Farben dieser selbst so denkwürdigen Landes-
natur stüsst nun aller Orten der Reisende auf Wohnspunen jener längst vergangenen Bevölkerung,
die von allen, welche seither durchziehend, erobernd, übrig bleibend sich darin zerstreut und ange-
siedelt, allein würdig gewesen ist, in dieser Natur erzogen zu werden. Nichi alle dieser Spuren sind
für das Auge bedeutend; aber alle sind lehrend, nicht wenige vom tüchtigsten Charakter, und ihre
Menge im Ganzen macht eine ausgedehnte, stets nahe Grundlage geschichtlicher Betrachtungen. Da
sieht man überall wieder Hügelfelsen zu Terassenwänden geglättet, zu Nischen geräumt, Treppen darin
gehauen, in die Bergzwingen Fahrwege gebrochen mit tiefgei'tirchten Gleisen, auf den Hügelplatten
Säume für Gebäude, Rinnen für den Wasserabfluss gezogen, in ihre Tiefe hinab Zisternen und cylin-
drische Vorrathsräume gehauen, in ihren Blöcken Sarkophage gebildet oder am Fusse Grabkammern
gearbeitet. Dies ist zunächst die kleine Schrift, in der man das alte, verschwundene Leben dem Bo-
den eingegraben lindet; und auch Buchstaben und Zeilen wirklicher Schrift haben einzelner Orten an
solchen Felsen, bisweilen in recht alten Zügen, sich noch erhalten, die da sagen, welches Bezirkes
Grenze bis hierher gegangen, oder welcherlei Gottheiten die Stätte heilig gewesen. Man wird bei
diesen Spuren nicht, wie etwa bei den Ungeheuern ägyptischen Katakomben und ihrem unzählig wie-
derholten nüchtern phantastischen Inhalt, an ein idiosynkratisches, ein eigensinnig angestrengtes Cul-
tursystem, man wird hier nur an die zweckmässige Ausbildung des Mutterbodens erinnert, wie mensch-
licher Bedarf sie fordert, Verstand mit gemüthlichem Sinn und williger Hand im Bunde leistet. Die
Grundform des Ganzen folgt der natürlichen Anlage; Alles ist traulich; Wohnraum und Götterzelle,
Hutgrenze und die Felsensitze für die Versammlung, die Behälter für Nahrung und Trunk und die
Aschenkammern für die letzte Ruhe — Alles nahe beisammen, von keiner mitgebrachten Willkühr,
von Ortsgelegenheit und schlichter Besonnenheit gemessen und voneinander nicht mehr, als diß Be-
stimmung erheischte, gesondert. Dabei wird Einem der enge, kindliche Bund mit der nächst umge-
benden Natur, der überall der griechischen Sittlichkeit zu Grunde liegt, und der Znsammenhang recht
fühlbar, in welchem die klare und bestimmte Anschauung, die vom feinen Verstand und Urtheil der
Griechen gleichsam die Mutterzelle bildet, mit der Offenheit und (Jebersichttichkeit schon ihres äusse-
ren Lebens gestanden hat.

Zugleich aber geben eigentliche Baureste,, zahlreich in jeder Landschaft, oft von unglaublicher
Festigkeit und grosser Ausdehnung, einen Maassstab für die Energie und das Thatleben dieser kleinen
Völkerschaften: die sicheren Höhen und die schliessbaren Pässe, worin die Natur ihnen Mittelpunkte
und Schutzgrenzen des Zusammenhalts und dazu das Material der Befestigung anbot, haben sie mit
 
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