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Müller-Karpe, Hermann
Zur Stadtwerdung Roms — Heidelberg, 1962

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https://doi.org/10.11588/diglit.31765#0042
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lungsplatz sehr plötzlich erfolgt sein. Dieselben Leute, die eben noch dort ihre An-
gehörigen bestattet hätten, müßten gleich anschließend dort Wohnstätten errichtet
haben, weil ihnen der Platz auf den Hügeln für ihre Hütten zu eng geworden wäre.
Nur wirklich sehr drückende Raumnot würde diese Pietätlosigkeit der Nekropole
gegenüber begreiflich machen. Wie knapp der Baugrund ringsum gewesen sein
müßte, sieht man daraus, daß auf Gjerstads Plan 71 beim Antoninus-Faustina-Tempel
auf einer Strecke von 10 m gleich vier Hütten eingezeichnet sind. Man kann sich
leicht ausrechnen, wieviele solcher Hütten bei einem annähernd gleich dichten Bei-
einanderliegen dann für das ganze Gebiet der Septimontiumgemeinde anzunehmen
wären: man kommt da leicht auf 20000. Und direkt anschließend müßte die Quirinal-
siedlung von kaum wesentlich geringerem Umfang begonnen haben!

Glückücherweise müssen wir uns aber nicht im Ernst mit solchen Vorstellungen
vertraut machen. Denn eine nüchterne Beurteilung dessen, was Boni beobachtete,
läßt Gjerstads Interpretation als nicht gerechtfertigt erscheinen 72. Boni traf an einigen
Stellen über den Gräbern (vor allem über L-M sowie über K-I) Ansammlungen
von verbrannter Erde, vermischt mit Hüttenlehm, Webstuhlgewichten, Ziegelstük-
ken und anderen Fundeinschlüssen. Da sich keine sicheren Anhaltspunkte für die
Zugehörigkeit dieser Anschüttungen zu den Gräbern ergaben, hielt Boni diese
„avanzi di tumuli“ für Siedlungsschutt. Aber Pfostengruben, geschweige denn
klare Hüttenböden, wie sie S. Puglisi eindrucksvoll auf dem Cermalus freigelegt
hat, zeigten sich nirgends. Was an Planierungsstreifen auf Bonis hinterlassenen
Photos in dieser Richtung gedeutet werden könnte (zum Beispiel über den Gräbern
AA-D), ist viel zu problematisch, als daß darauf zu bauen wäre. Die Ausmaße der
„tumuli“ (2.90 X 1.90 m) sind natürlich auch viel zu klein, um den Grundriß von
Wohnhütten anzuzeigen. So muß die Frage, wie diese Brandschuttansammlungen
an ihre Fundplätze kamen, offen bleiben. Sie als Reste von an Ort und Stelle in der
Zeit unmittelbar nach Anlage der Erwachsenengräber errichteten Hütten zu er-
klären, ist reichlich unglaubwürdig und positiv nicht zu begründen. Zudem ist
der Fundinhalt dieser „tumuli“ alles andere als chronologisch einheitlich. Auch
die vereinzelt auf diesem Gelände geborgenen Streuscherben lassen sich selbstredend
nicht ohne weiteres auf eine dort gelegene Siedlung zurückführen, sondern dürften
irgendwie mit der Nekropole zusammenhängen.

Wird auf diese Weise von den Fundumständen her der Theorie Gjerstads der
Boden entzogen, so nicht minder von Seiten der Chronologie 73 und der Unter-
scheidung der Erwachsenen- und Kindergräber. Gjerstad nahm die zeitliche Tren-
nung der Perioden II A und II B nicht primär auf Grund des Formenbestandes
der betreffenden Gräber vor; vielmehr spielte dabei die Bestimmung als Erwach-
senen- oder als Kindergrab die entscheidende Rolle. Das wird besonders deutlich
aus dem Umstand, daß zunächst 74 die Gräber Y und S der Spätphase seiner Periode II

71 Gjerstad, ER. I 123 Abb. 125.

72 Boni, NSc. 1903, 123ff.; 1911, 190. Gjerstad, ER. I 86ff.

73 Vgl. u. 63 ff

74 Gjerstad, a. O. 129.
 
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