DIE UMGESTALTUNG DER GOTISCHEN AB-
TEILUNG IN DER PINAKOTHEK
VON RUDOLF OLDENBOURG
Die Geschichte unserer Galerie beginnt mit der Entstehung einer Serie von
illustrativen Historienbildern, die Herzog Wilhelm IV. sich von einigen nam-
haften bayrischen und schwäbischen Künstlern malen ließ. Auch bei den folgenden,
bedeutenderen Erwerbungen der herzoglichen Kunstkammer unter Maximilian I.
suchte man sich in erster Linie Werke der großen deutschen Meister zu sichern
und besonders Dürer war damals in der Münchener Residenz reicher vertreten
als sonstwo, selbst Rudolfs II. Sammlung in Prag nicht ausgenommen. Im wei-
teren Verlauf des 17. und im 18. Jahrhundert kam die Sammeltätigkeit der Kur-
fürsten mehr den niederländischen Schulen zugute und erst zu Beginn des 19. Jahr-
hunderts wurde der deutsche Bestand des bayrischen Gemäldebesitzes durch
die Säkularisation mit einem zunächst unübersehbaren Schatz von Kunstwerken
bereichert. Das Zusammenströmen der bisher in Kirchen und Klöstern ver-
streuten und versteckten Bilder erweckte das Interesse für die künstlerischen
Leistungen unserer Vorfahren umsomehr, als gleichzeitig die Romantiker auch
die literarischen Werke der deutschen Vergangenheit wieder ans Licht zogen
und damit die Pflege der Literatur- und Kunstdenkmäler Hand in Hand ging.
Für die Art, in der man sich damals mit der cisalpinen Malerei des 15. und
16. Jahrhunderts auseinandersetzte, ist es bezeichnend, daß sogar ein Goethe vor
den Perlen der Sammlung Boisseree nur an Hand der historischen Orientierung,
also nur bedingt zu einer Würdigung des künstlerischen Wertes kommt. Bei allem
historisch-patriotischen Interesse schien es doch geraten, jenen Werken mit Nach-
sicht und Wohlwollen gegenüberzutreten, da die Erinnerung an die kanonische
Kunst Raffaels und etwa der Bolognesen nur eine relative Anerkennung
zuließ. So beginnt auch noch Schopenhauer seine Bemerkungen über die Samm-
ung Boisseree mit den charakteristischen Worten: „Ein ächtes Kunstwerk darf
eigentlich nicht, um genießbar zu sein, den Präambal einer Kunstgeschichte nötig
haben" und schließt mit einem eigentümlichen Gemisch von Verständnis und
Voreingenommenheit: „Mit solchen Farben ist weder vor, noch nach ihnen gemalt
worden: sie sind brennend und bringen die höchste Energie der Farbe zu Tage.
. . . Hätten doch Raphael und Korreggio diese Farben gekannt!"
Bei solchen Vorurteilen muß man es um so höher anschlagen, daß König Lud-
wig I. trotz seines zeitgemäß klassizistischen Geschmackes durch den kost-
spieligen Ankauf der Sammlungen Boisseree und Wallerstein auch die gotische
Malerei in seine ebenso geniale als erfolgreiche Sammeltätigkeit einbezog und in
hochherziger Gesinnung seine Erwerbungen der öffentlichen Nutznießung über-
ließ, wodurch die bereits vorhandenen Bestände derart vervollständigt wurden,
daß seither keine Sammlung sich mit dem bayrischen Besitz an deutschen Ge-
mälden messen kann.
Eine Auswahl der berühmtesten Gemälde und Meister wurde in der 1836 voll-
TEILUNG IN DER PINAKOTHEK
VON RUDOLF OLDENBOURG
Die Geschichte unserer Galerie beginnt mit der Entstehung einer Serie von
illustrativen Historienbildern, die Herzog Wilhelm IV. sich von einigen nam-
haften bayrischen und schwäbischen Künstlern malen ließ. Auch bei den folgenden,
bedeutenderen Erwerbungen der herzoglichen Kunstkammer unter Maximilian I.
suchte man sich in erster Linie Werke der großen deutschen Meister zu sichern
und besonders Dürer war damals in der Münchener Residenz reicher vertreten
als sonstwo, selbst Rudolfs II. Sammlung in Prag nicht ausgenommen. Im wei-
teren Verlauf des 17. und im 18. Jahrhundert kam die Sammeltätigkeit der Kur-
fürsten mehr den niederländischen Schulen zugute und erst zu Beginn des 19. Jahr-
hunderts wurde der deutsche Bestand des bayrischen Gemäldebesitzes durch
die Säkularisation mit einem zunächst unübersehbaren Schatz von Kunstwerken
bereichert. Das Zusammenströmen der bisher in Kirchen und Klöstern ver-
streuten und versteckten Bilder erweckte das Interesse für die künstlerischen
Leistungen unserer Vorfahren umsomehr, als gleichzeitig die Romantiker auch
die literarischen Werke der deutschen Vergangenheit wieder ans Licht zogen
und damit die Pflege der Literatur- und Kunstdenkmäler Hand in Hand ging.
Für die Art, in der man sich damals mit der cisalpinen Malerei des 15. und
16. Jahrhunderts auseinandersetzte, ist es bezeichnend, daß sogar ein Goethe vor
den Perlen der Sammlung Boisseree nur an Hand der historischen Orientierung,
also nur bedingt zu einer Würdigung des künstlerischen Wertes kommt. Bei allem
historisch-patriotischen Interesse schien es doch geraten, jenen Werken mit Nach-
sicht und Wohlwollen gegenüberzutreten, da die Erinnerung an die kanonische
Kunst Raffaels und etwa der Bolognesen nur eine relative Anerkennung
zuließ. So beginnt auch noch Schopenhauer seine Bemerkungen über die Samm-
ung Boisseree mit den charakteristischen Worten: „Ein ächtes Kunstwerk darf
eigentlich nicht, um genießbar zu sein, den Präambal einer Kunstgeschichte nötig
haben" und schließt mit einem eigentümlichen Gemisch von Verständnis und
Voreingenommenheit: „Mit solchen Farben ist weder vor, noch nach ihnen gemalt
worden: sie sind brennend und bringen die höchste Energie der Farbe zu Tage.
. . . Hätten doch Raphael und Korreggio diese Farben gekannt!"
Bei solchen Vorurteilen muß man es um so höher anschlagen, daß König Lud-
wig I. trotz seines zeitgemäß klassizistischen Geschmackes durch den kost-
spieligen Ankauf der Sammlungen Boisseree und Wallerstein auch die gotische
Malerei in seine ebenso geniale als erfolgreiche Sammeltätigkeit einbezog und in
hochherziger Gesinnung seine Erwerbungen der öffentlichen Nutznießung über-
ließ, wodurch die bereits vorhandenen Bestände derart vervollständigt wurden,
daß seither keine Sammlung sich mit dem bayrischen Besitz an deutschen Ge-
mälden messen kann.
Eine Auswahl der berühmtesten Gemälde und Meister wurde in der 1836 voll-