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Münchner kunsttechnische Blätter.
Nr. n.
denn ich meine, der Schwefelwasserstoff wird, wenn
er einmat da ist, sich ebenso gern von den mit Blei-
und Kupferfarben gemalten Stehen der Bilder binden
lassen, wobei sich diese eben auch verändern müsssen.
Auch bei der Verbrennung von Leuchtgas kann
Schwefelwasserstoff oder Schwefelammonium frei
werden. Es entsteht aber auch schweflige Säure und
von hier aus erklären sich verschiedene üble Neben-
wirkungen der Gasbeleuchtung, einmal auf manche
Zimmerpflanzen, dann auf Nickel-, Silber- und Kupfer-
gegenstände, schliesslich auf Decken und Wände des
Raumes. Papier vermag die schweflige Säure, die bei
der Gasbeleuchtung und Gasheizung entsteht, zu ab-
sorbieren, es reichert sich dadurch mit Schwefel-
säure an, die die Ränder der Blattseiten in Büchern
z. B. mit der Zeit morsch macht. Auch das Leder
der Bücherrücken leidet darunter, nach Church ergab
die Analyse des Lederrückens eines alten Kalbleder-
folianten einen Gehalt von 6°/o freier Schwefelsäure,
die nur von der Gasbeleuchtung des Raumes her-
rühren konnte. Wenn das mit Papier und Leder ge-
schieht, so muss es auch mit den säureempfind-
lichen Farbstoffen und Bindemitteln geschehen.
(Fortsetzung folgt.)
Anomalien des Gesichtsinns.
Zwei Zuschriften von E. v. Rege.
I. Brillen mit doppeltem Focus.
Der Optiker empfahl mir dringend, die vom
Augenarzt verordnete Brille mit doppeltem Focus in
gewölbtem Glase ausführen zu lassen. Ich kann
nur dringend davor warnen, weil das Glas stark ver-
zeichnet.
Immerhin war die Brille im Freien zu brauchen,
wenn ich sitzend über das Malbrett hinwegsehen konnte.
Musste ich aber im Atelier bei der Leinwand
rechts oder links vorbeischauen, war immer eine Kopf-
bewegung nötig, bis ich die rechte Stellung gefunden.
Theoretisch wäre es am besten, wenn der Kopf still
stehen und die Augen nur eine Bewegung nach rechts
und links zu machen brauchten. Dann würde der
2. Focus an beiden Gläsern rechts oder links anzu-
bringen sein. Der Arzt meinte: das Auge würde diese
Seitenbewegungen nicht aushalten. Hat jemand
darin Erfahrung?
II. Zweierlei Augen.
Schon seit Dezennien habe ich die Beobachtung
gemacht, dass ich mit dem linken Auge alles bläu-
licher und mit dem rechten alles gelblicher sehe.
Interessant war mir die Erklärung in Nr. to für das
Blausehen, denn die Linse meines linken Auges hat
eine Trübung. Gestört hat mich diese Verschieden-
heit beim Malen nicht. Ein Experiment: ich will ein
farbiges Bild zweimal kopieren, einmal nur mit dem
blausehenden und einmal nur mit dem gelbsehenden
Auge. In beiden Fällen gelingt die Kopie; folglich
sind die Kopien untereinander gleich. Wie ist das
zu erklären? Mit dem blauen Auge bewerte ich die
Farben des Originals falsch; aber genau ebenso falsch
die Farben auf meiner Palette. Ich werde von ihr
also eine Farbe abheben, die tatsächlich weniger blau
ist, als sie mir erscheint und dadurch unbewusst das
Richtige treffen.
Nachschrift:
Zu den beiden obigen Einsendungen des Herrn
Kollegen v. R^ge hat Augenarzt Dr. E. Berger
die folgenden erklärenden Zusätze uns zur Ver-
fügung gestellt:
Zu i: Brillen mit doppeltem Focus.
Den Einfluss von sphärischer Aberration des
Auges oder der Brillengläser auf die Kontur bei
Malern habe ich bereits in dieser Zeitschrift*) her-
vorgehoben und insbesondere bei Gustav Dore eine
starke Verzeichnung der Konturen konstatiert.
Dass das angewandte Glas bei Herrn E. v. Rege
im Freien trotzdem zu brauchen ist, erklärt sich durch
die bei hellem Lichte auftretende Pupillenverengerung,
wodurch die Iris ebenso wie bei einem optischen In-
strumente als Blende wirkt und die seitlich einfallen-
den Strahlen abschneidet.
Zu vermeiden wäre die „Verzeichnung" der Kon-
turen durch die Anwendung gut ausgeführter perisko-
pischer Linsen, z. B. die von Prof. Gallstrand in Up-
sala erfundenen, welche von Carl Zeiss in Jena kon-
struiert werden.
Zu II: Zweierlei Augen.
Offenbar besteht auf einem Auge (blausehendes)
nur eine partielle (? angeborene) Trübung, während
das andere (gelbsehendes) eine frühzeitige Altersver-
änderung der Linse (Gelbfärbung derselben) aufweist.
Das letztere Auge sieht alles gelb, das erstere (Kontrast-
wirkung) blau.
Nachschrift des Herausgebers: Der von
Liebreich beobachtete Fall von Gelbfärbung der
Linse bei dem über 70jährigen englischen Maler Mul-
ready (Münchner kunsttechnische Blätter II. Jahrg.
S. 78), auf die meine Bemerkung in Nr. 10 sich stützt,
ist insofern anders gelagert, als derselbe keine Ver-
gleichsmöglichkeit hatte, die richtige Farbe von der
falsch gemalten zu unterscheiden, was aber bei Herrn
v. Rege glücklicherweise der Fall ist.
*) Münchener Kunsttechnische Blätter I. Jahrg. 1905,
Nr. 13 bis 16.
Langsam trocknende Malmitte!.
Zu diesem Thema erhalten wir folgende Zuschrift:
Zur Frage der langsam trocknenden Malmittel
möchte ich folgendes bemerken:
Ich habe im Laufe der Jahre vielfach langsam
trocknende Malmittel verwendet, wie sie in den Han-
del kommen, (Fleischer, Mussini u. a.), habe aber
immer die Erfahrung gemacht, dass sie mit der Zeit
ihrer Fähigkeit, den Trockenprozess der Farbe zu
verlangsamen, gänzlich verlieren, was ja auch einleuchtend
ist: manchmal war dies schon nach 2monatigem Stehen
in der gut verkorkten Flasche der Fall. Bei Nelken-
öl mit Terpentin verdünnt habe ich bisher diese Er-
fahrung nicht gemacht, aber hiermit bleibt die Farbe
oft länger nass, als einem lieb ist.
So verlockend es auch ist, wochenlang nass in
nass an einem Bilde zu malen, so möchte ich doch
die Frage stellen, ob nicht während dieser langen Zeit
die Farbe aus der Luft Stoffe anzieht, die Verände-
rung und Nachdunkeln hervorrufen.
Ein Schüler von Ferd. Keller erzählte mir ein-
mal, dass K. das Trocknen zu beschleunigen suche,
weil er der Ansicht sei, dass die Farbe während des
Trocknens die Fähigkeit in sich aufnehme, sich
zu verändern.
Wird das Trocknen nun sehr verzögert, so ist
wohl das klar, dass besonders zu den Zeiten, in denen
geheitzt wird — gerade Atelieröfen strömen ja oft
übelduftende Gase aus — die Luft Stoffe aul den
Farben absetzt, die den feuchten Farben gefährlicher
sind, als den bereits getrockneten.
Ein Meinungsaustausch über diese Frage wäre sehr
erwünscht. W. W., Dresden.
Verlag der Werkstatt der Kunst (K. A. Seemann, Leipzig).
Münchner kunsttechnische Blätter.
Nr. n.
denn ich meine, der Schwefelwasserstoff wird, wenn
er einmat da ist, sich ebenso gern von den mit Blei-
und Kupferfarben gemalten Stehen der Bilder binden
lassen, wobei sich diese eben auch verändern müsssen.
Auch bei der Verbrennung von Leuchtgas kann
Schwefelwasserstoff oder Schwefelammonium frei
werden. Es entsteht aber auch schweflige Säure und
von hier aus erklären sich verschiedene üble Neben-
wirkungen der Gasbeleuchtung, einmal auf manche
Zimmerpflanzen, dann auf Nickel-, Silber- und Kupfer-
gegenstände, schliesslich auf Decken und Wände des
Raumes. Papier vermag die schweflige Säure, die bei
der Gasbeleuchtung und Gasheizung entsteht, zu ab-
sorbieren, es reichert sich dadurch mit Schwefel-
säure an, die die Ränder der Blattseiten in Büchern
z. B. mit der Zeit morsch macht. Auch das Leder
der Bücherrücken leidet darunter, nach Church ergab
die Analyse des Lederrückens eines alten Kalbleder-
folianten einen Gehalt von 6°/o freier Schwefelsäure,
die nur von der Gasbeleuchtung des Raumes her-
rühren konnte. Wenn das mit Papier und Leder ge-
schieht, so muss es auch mit den säureempfind-
lichen Farbstoffen und Bindemitteln geschehen.
(Fortsetzung folgt.)
Anomalien des Gesichtsinns.
Zwei Zuschriften von E. v. Rege.
I. Brillen mit doppeltem Focus.
Der Optiker empfahl mir dringend, die vom
Augenarzt verordnete Brille mit doppeltem Focus in
gewölbtem Glase ausführen zu lassen. Ich kann
nur dringend davor warnen, weil das Glas stark ver-
zeichnet.
Immerhin war die Brille im Freien zu brauchen,
wenn ich sitzend über das Malbrett hinwegsehen konnte.
Musste ich aber im Atelier bei der Leinwand
rechts oder links vorbeischauen, war immer eine Kopf-
bewegung nötig, bis ich die rechte Stellung gefunden.
Theoretisch wäre es am besten, wenn der Kopf still
stehen und die Augen nur eine Bewegung nach rechts
und links zu machen brauchten. Dann würde der
2. Focus an beiden Gläsern rechts oder links anzu-
bringen sein. Der Arzt meinte: das Auge würde diese
Seitenbewegungen nicht aushalten. Hat jemand
darin Erfahrung?
II. Zweierlei Augen.
Schon seit Dezennien habe ich die Beobachtung
gemacht, dass ich mit dem linken Auge alles bläu-
licher und mit dem rechten alles gelblicher sehe.
Interessant war mir die Erklärung in Nr. to für das
Blausehen, denn die Linse meines linken Auges hat
eine Trübung. Gestört hat mich diese Verschieden-
heit beim Malen nicht. Ein Experiment: ich will ein
farbiges Bild zweimal kopieren, einmal nur mit dem
blausehenden und einmal nur mit dem gelbsehenden
Auge. In beiden Fällen gelingt die Kopie; folglich
sind die Kopien untereinander gleich. Wie ist das
zu erklären? Mit dem blauen Auge bewerte ich die
Farben des Originals falsch; aber genau ebenso falsch
die Farben auf meiner Palette. Ich werde von ihr
also eine Farbe abheben, die tatsächlich weniger blau
ist, als sie mir erscheint und dadurch unbewusst das
Richtige treffen.
Nachschrift:
Zu den beiden obigen Einsendungen des Herrn
Kollegen v. R^ge hat Augenarzt Dr. E. Berger
die folgenden erklärenden Zusätze uns zur Ver-
fügung gestellt:
Zu i: Brillen mit doppeltem Focus.
Den Einfluss von sphärischer Aberration des
Auges oder der Brillengläser auf die Kontur bei
Malern habe ich bereits in dieser Zeitschrift*) her-
vorgehoben und insbesondere bei Gustav Dore eine
starke Verzeichnung der Konturen konstatiert.
Dass das angewandte Glas bei Herrn E. v. Rege
im Freien trotzdem zu brauchen ist, erklärt sich durch
die bei hellem Lichte auftretende Pupillenverengerung,
wodurch die Iris ebenso wie bei einem optischen In-
strumente als Blende wirkt und die seitlich einfallen-
den Strahlen abschneidet.
Zu vermeiden wäre die „Verzeichnung" der Kon-
turen durch die Anwendung gut ausgeführter perisko-
pischer Linsen, z. B. die von Prof. Gallstrand in Up-
sala erfundenen, welche von Carl Zeiss in Jena kon-
struiert werden.
Zu II: Zweierlei Augen.
Offenbar besteht auf einem Auge (blausehendes)
nur eine partielle (? angeborene) Trübung, während
das andere (gelbsehendes) eine frühzeitige Altersver-
änderung der Linse (Gelbfärbung derselben) aufweist.
Das letztere Auge sieht alles gelb, das erstere (Kontrast-
wirkung) blau.
Nachschrift des Herausgebers: Der von
Liebreich beobachtete Fall von Gelbfärbung der
Linse bei dem über 70jährigen englischen Maler Mul-
ready (Münchner kunsttechnische Blätter II. Jahrg.
S. 78), auf die meine Bemerkung in Nr. 10 sich stützt,
ist insofern anders gelagert, als derselbe keine Ver-
gleichsmöglichkeit hatte, die richtige Farbe von der
falsch gemalten zu unterscheiden, was aber bei Herrn
v. Rege glücklicherweise der Fall ist.
*) Münchener Kunsttechnische Blätter I. Jahrg. 1905,
Nr. 13 bis 16.
Langsam trocknende Malmitte!.
Zu diesem Thema erhalten wir folgende Zuschrift:
Zur Frage der langsam trocknenden Malmittel
möchte ich folgendes bemerken:
Ich habe im Laufe der Jahre vielfach langsam
trocknende Malmittel verwendet, wie sie in den Han-
del kommen, (Fleischer, Mussini u. a.), habe aber
immer die Erfahrung gemacht, dass sie mit der Zeit
ihrer Fähigkeit, den Trockenprozess der Farbe zu
verlangsamen, gänzlich verlieren, was ja auch einleuchtend
ist: manchmal war dies schon nach 2monatigem Stehen
in der gut verkorkten Flasche der Fall. Bei Nelken-
öl mit Terpentin verdünnt habe ich bisher diese Er-
fahrung nicht gemacht, aber hiermit bleibt die Farbe
oft länger nass, als einem lieb ist.
So verlockend es auch ist, wochenlang nass in
nass an einem Bilde zu malen, so möchte ich doch
die Frage stellen, ob nicht während dieser langen Zeit
die Farbe aus der Luft Stoffe anzieht, die Verände-
rung und Nachdunkeln hervorrufen.
Ein Schüler von Ferd. Keller erzählte mir ein-
mal, dass K. das Trocknen zu beschleunigen suche,
weil er der Ansicht sei, dass die Farbe während des
Trocknens die Fähigkeit in sich aufnehme, sich
zu verändern.
Wird das Trocknen nun sehr verzögert, so ist
wohl das klar, dass besonders zu den Zeiten, in denen
geheitzt wird — gerade Atelieröfen strömen ja oft
übelduftende Gase aus — die Luft Stoffe aul den
Farben absetzt, die den feuchten Farben gefährlicher
sind, als den bereits getrockneten.
Ein Meinungsaustausch über diese Frage wäre sehr
erwünscht. W. W., Dresden.
Verlag der Werkstatt der Kunst (K. A. Seemann, Leipzig).