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66

Münchner kunsttechnische Blätter.

Nr. 14.

satz aller physischer Farben erreicht hatte, so
war auch der wahre, letzte Grund davon (nämlich
die qualitativ geteilte Tätigkeit der Retina) ihm
noch verborgen geblieben und eben dadurch auch
der eigentliche Grund und das innere Wesen des
von ihm so sehr urgierten, von der Farbe unzer-
trennlichen Schattigen oder ox^oL'. „Es wäre
übrigens", fügt er gleich weiter hinzu (S. 68),
„die grösste Unbilligkeit und Undankbarkeit, wenn
man Goethe einen Vorwurf daraus machen wollte,
dass in einem weitläufigen Werk, welches so
viele Irrtümer aufdeckt und so viele neue Wahr-
heiten lehrt, diese Irrung sich vorfindet. Der
wahre Grund der Herstellung des Weissen
aus zwei Farben konnte erst in Folge
meiner Theorie an den Tag kommen".
Solche Beispiele „scharfsinnigen Eigensinnes"
Anden sich mehrfach in Schopenhauers Schrift,
und man kann sich leicht vorstellen, mit welchen
gemischten Gefühlen Goethe das Manuskript durch-
gesehen haben mag, als es ihm zugeschickt wurde.
Wochenlang kam keine Antwort, so dass Schopen-
hauer (3. Sept. 181$) einen Brief absandte, worin
er seine „Ungewissheit, ob seine Schrift gelesen,
ob gut aufgenommen ist, kurz, wie es ihr geht"
unangenehm und quälend empAndet und um bal-
digen Bescheid bittet. Goethe bestätigt wohl
(7. Sept.) die Sendung des Manuskripts, bittet ihn
aber unter allerlei AusAüchten sich zu gedulden,
bis er nach Weimar zurückgekehrt sein würde.
In seinem folgenden Schreiben (16. Sept.)
dankt Schopenhauer „für die vorläuAge Beruhigung"
und sieht mit gesteigerter Erwartung den aus
Weimar verheissenen Bemerkungen entgegen.
Gleichzeitig teilt er Goethe noch einen erst
„kürzlich geratenen Experimentalbeweis zur Her-
stellung des Weissen aus jeglichem Farbenpaar"
mit, der in der Uebereinanderführung zweier pris-
matischen Farbenspektra bestände, indem das
Violette des ersten, das Gelbe des zweiten, und
das Blaue des ersten das Gelbrote des zweiten
deckt, so dass aus der Vereinigung eines jeden
dieser zwei Farbenpaare Weiss entsteht. Er ver-
spricht dieses Experiment noch der Abhandlung
beifügen zu wollen, woraus zu schliessen wäre, dass
es in der ersten Bearbeitung nicht enthalten war.
Nach vier Wochen sendet endlich Goethe
ein paar Zeilen an Schopenhauer, worin er mit
seinem Urteil reserviert zurückhält und auf die
Differenzen der beiderseitigen Ansichten anspielt.
„Ich fühle nur allzusehr", heisst es, „dass ich je-
nen Gegenständen dergestalt entfremdet bin und
dass es mir schwer, ja unmöglich fällt, einen
Widerspruch in mich aufzunehmen, denselben zu
lösen oder mich ihm zu bequemen. Ich darf an
diese strittigen Punkte nicht rühren". Aber Goethe
macht den Vorschlag, das Manuskript an Dr. See-
beck (Professor der Physik und getreuer Freund
Goethes) senden zu wollen, damit er Kenntnis

davon nehme, er hoffe, dass „dadurch für Sie und
mich erwünschte Teilnahme und Belehrung ent-
springe"; er spricht dann den Wunsch aus, dass
Schopenhauer und Seebeck sich näherten und so-
lange gemeinschaftlich wirkten, bis er „von seinen
wunderlichen Geistesreisen wieder glücklich in
die harmonisch farbigen Regionen zurückkehre".
Auf diesen Brief (3. Okt.) erfolgt eine sehr
eingehende Antwort, datiert vom II. Nov., übri-
gens ein stilistisches Meisterstück, in dem Scho-
penhauer sich abermals über seinen Standpunkt
ausspricht und den nahegelegenen Grund, warum
Goethe in seinem Urteil „mit einem gewissen
Widerstreben zurückgehalten", darin erblickt, dass
seine Schrift „in einigen Nebensätzen" Goethes
Farbenlehre widerspräche. „Notwendig liegt der
Irrtum in meinem Werke oder in Ihrem . . .
Meine Theorie ist die Entfaltung eines einzigen
unteilbaren Gedankens, der ganz falsch oder ganz
wahr sein muss . . . Ihr Werk dagegen ist die
systematische Zusammenstellung vieler (vorher
eben durch die falsche Theorie Newtons teils
entstellter, teils erfasster) und mannigfacher Tat-
sachen; dabei konnte sehr leicht ein kleiner Irr-
tum mit unterlaufen, und kann ebenso leicht, dem
ganzen unbeschadet, gehoben werden". Schopen-
hauer bietet seine ganze Ueberredungskunst auf,
um Goethe die Notwendigkeit der Richtigstellung
seiner „kleinen Irrtümer" klarzumachen, die „mit
gerechter Schonung und Nachweisung Ihrer An-
lässe, in der Schrift eines Ihrer ersten Prose-
lyten, die Sie selbst herausgeben, berichtigt
werden sollen". Hier ist deutlich, was oben nur
vermutungsweise ausgesprochen wurde, zu erkennen,
warum Goethe Schopenhauers Schrift veranlasste!
„Muss man nicht oft, um Leib und Leben zu ret-
ten, ein Glied des Leibes dem Messer des Wund-
arztes preisgeben r und ist man nicht verloren,
wenn man statt dessen dem Wundarzte entgegen-
ruft: Tue was du willst, nur diese Stelle rühre
nicht an!" heisst es in dem Briefe und gleich
darauf werden die „wunden Stellen" berührt, vor-
nehmlich „die Herstellung des Weissen", von der,
wie oben gezeigt, Goethe nun einmal nichts wis-
sen will, sowie etliche andere Punkte, die zu
berichtigen nötig seien.
Und mit einem eigenwilligen Selbstbewusst-
sein fühlt er sich berufen, Goethe ein Register
seiner Unterlassungssünden vorzulegen und seine
eigenen Verdienste hervorzuheben. „Ich weiss
mit vollkommener Gewissheit, dass ich die erste
wahre Theorie der Farbe geliefert habe, die erste,
so weit die Geschichte der Wissenschaften reicht;
ich weiss auch, dass diese Theorie einst allgemein
gelten und den Kindern in den Schulen geläuAg
sein wird", sagt er und gleich darauf versichert er
Goethen, dass er „jenes nimmermehr geleistet
haben würde ohne Ew. Exzellenz früheres und
grösseres Verdienst". Meine Theorie verhält sich
 
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