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Münchner kunsttechnische Blätter.

Nr. 20.

ben, sehr helle Töne gewählt, so wäre wie im i. Fall
zunächst eine blasse Mischfarbe entstanden, die von
dem zuWeiss gemischten komplementären Farbenpaare
herrührt, und ich hätte wieder eine Schwarzscheibe
einfügen müssen, um das entstandene Weiss zu neutra-
lisieren.
Die obigen Mischungen sind rein optisch zu-
stande gekommen, während bei Pigmentmischung der
gleichen Farben stets nur graue, braune oder olive-
farbene, dunklere Töne entstanden wären.
Bei derLumiere-Photographie bilden sich
die Mischfarben in der gleichen Weise. Die
Platten bestehen bekanntlich aus äusserst fein gerie-
benen Stärketeilchen, die in dreierlei Färbung und
zwar Orangerot, Grün und Violett vermischt auf die
Glasplatte gestreut, fest gepresst und mit einer licht-
empfindlichen Emulsionsschicht bedeckt sind. Durch
die Belichtung der Platte wird die Emulsionsschicht,
wie bei jeder Photographie verändert, nicht aber die
gefärbten, durchscheinenden Stärketeilchen,
wie dies fälschlich angenommen wird. Sie bleiben in-
takt und ihre durch das Auge wahrgenommenen Fär-
bungen entstehen lediglich durch Abdeckung resp.
Zumischung von Schwarz.
Wenn man nämlich eine entwickelte Lumiereplatte
durch das Mikroskop betrachtet (und Prof. Raehlmann
in Weimar hat diesen Beweis erbracht*)), so sieht man
an den Stellen, die in durchfallendem Licht bestimmte
Mischfarben zeigen, kleine dunkle Pünktchen auf und
zwischen den, an sich unveränderten Stärkepartikelchen,
und zwar sind die entstehenden Mischfarben genau
nach dem obigen Schema gebildet: Wo wir auf der
Platte ein sehr helles Gelb sehen, sind die orange
und grünen Teilchen frei, das Violett mit schwarzen
Pünktchen bedeckt, die roten Anteile des Orange
mischen sich mit den grünen zu Weiss und das Gelb
wird dadurch erhellt. Das Violett ist ausgeschaltet.
Wo wir auf der Platte z. B. Himmelblau
sehen, sind die grünen und die violetten Stärketeil-
chen frei, die orangefarbigen mit schwarzen Pünktchen
bedeckt; die grünen mit den roten Strahlen des Vio-
lett mischen sich zu Weiss und erhellen den blauen
Anteil zur himmelblauen Farbe.
Wo wir auf der Platte z. B. ein tiefes Rot sehen,
sind die orangeroten und die violetten Stärketeilchen
teilweise mit schwarzen Pünktchen versehen, das Grün
völlig durch die Pünktchen verdeckt; es entsteht das
dunkle Rot (etwa einer Zentifolie), weil die gelben An-
teile des Orange nebst den blauen des Violett (also
die Komplementären sonst Weiss bildenden Farben)
durch die schwarzen Pünktchen ausgeschaltet sind.
Helles Weiss entsteht, wenn alle drei Farben
gleichmässig wirksam sind; das Grau ist nach dem
Grade der Intensität dann entstanden, wenn alle

*) Siehe „Ueber die physiologische Bedeutung der
Photographien in natürlichen Farben und deren Wert
für die Diagnose der Farbenblindheit," in Monatsblätter
für Augenheilkunde, 47. Jhg. 1909 (Beilageheft)

drei Arten der Stärketeilchen schwarze Pünktchen
zwischen und auf ihnen selbst zeigen.
Das alles geht genau nach den optischen Gesetzen
der physiologischen Farbenmischung vor sich, und da
das nur bei direktem Licht geschieht, niemals aber
bei Pigmentmischung, ist jede Lumiereaufnahme nur
in dem einen Exemplar auf der Glasplatte vorhanden.
Eine Positivkopie, wie dies sonst gebräuchlich ist, gibt
es nicht. Deshalb musste Lumiere bei seinem Ver-
fahren die Umkehrung des Negativs in ein Positiv auf
der Platte selbst, durch besondere Bäder vornehmen.
Ich habe diese Anwendung des Dreifarben-Systems
hier mit grösserer Ausführlichkeit behandelt, um zu
zeigen, dass
1. die Anwendung der optischen Dreifarben-Theorie
hier seinen reinsten und höchsten Triumph errungen hat,
2. nirgends nur die geringste Lücke zwischen den
optischen Grundsätzen und deren Verwertung be-
steht, und
3. in dem Lumiere-System die Lehre Newtons von
der Teilbarkeit des Weiss und die abermalige Verei-
nigung der Teile zu Weiss eine neue Bestätigung ge-
funden hat. Denn das Weiss auf der Lumiere-Platte
entstände überhaupt nicht, wenn es nicht durch die
optische Mischung der drei Komponenten hervorge-
bracht würde.
Die Helligkeit dieses gemischten Weiss überragt
naturgemäss die Helligkeiten der einzelnen Komponen-
ten; die Summe dieser Komponenten ist eben Weiss,
das Weiss der Physiker, über dessen eigentliches
Wesen sich noch immer einzelne den Kopf zerbrechen.
Endlich wird man den Grund verstehen, warum die
Lehre Newtons für die Praxis so lange unbenutzt ge-
blieben sein musste, weil wir eben zum Mischen nur
Farben zu unserer Verfügung haben und nicht farbiges
Licht, und das umso heller erscheinen wird, je inten-
siver das Licht ist, das durch die drei Komponenten
(Violett, Grün, Orange) hindurch in unser Auge gelangt.
Hier ist das tatsächlich erreicht, was die Neo-Im-
pressionisten ohne Ergebnis angestrebt haben, nämlich
die rein optische Mischung auf der Netzhaut
nur mit Hilfe der drei Farben: Orange, Grün und Vio-
lett. Und man wird es auch verstehen, warum die
Neo-Impressionisten einen Misserfolg haben mussten,
weil sie nur Farbenpigmente zu ihrer Verfügung haben
und nicht farbiges Licht.
Aber eine Frage muss ich hier noch aniügen: Wie
würden die Anhänger der Goetheschen Farbentheorie,
die von der Zusammensetzung des Weiss hartnäckig
nichts wissen wollen, die Farbenmischungen auf der
Lumiere-Platte erklären? Wie wollen sie es nach ihrer
Theorie begreiflich machen, dass aus Violett und Grün
ein Blau, aus Orange und Grün ein Gelb, aus Violett
und Orange ein Rot entsteht? Nach der Goetheschen
Farbentheorie Hesse sich wohl die Verdunkelung bei
Farbenmischungen, ein Aufheben der gegenseitigen
Lichtarten erklären, niemals aber die Aufhellung zweier
Farbenpaare oder gar die Bildung der Primärfarben
Gelb, Blau und Rot aus der Mischung von je zwei se-
 
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