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103

Münchner kunsttechnische Blätter.

Nr. 20.

Werkstättenpraxis empfohlen, bei dem der Schüler
dem Meister in allem und jedem behilflich sein
müsste, wo er von Jugend auf mit allen Han-
tierungen vertraut gemacht, nach jahrelanger Studien-
zeit endlich selbständige Werke zu schaffen lernte
und dergl., dabei aber hatte man ganz ausser Acht
gelassen, dass heute „gerade die Talentvollsten
dem Meister nichts mehr glauben, um sofort eigne
Wege einzuschlagen, ohne ihr Fach tüchtig ge-
lernt zu haben, zum Schaden ihrer selbst und der
Kunst". Diesem Satze des Pater Willibrord (S. 4,
Note) fügt er noch hinzu: „Wir sehen in neuester
Zeit, wie die Maler und Malerinnen wie Pilze
aus dem Boden wachsen, eben weil die technische
Fertigkeit fast gar keine Rolle spielt und jeder
etwas ästhetisch begabte Mensch, alt oder jung,
in kürzester Zeit Bilder machen und ausstellen
kann."
Dass eine Reform dringend nötig ist, haben
Einsichtige längst erkannt, und es scheint in der
Tat der Weg, den die Beuroner Kunstschule ge-
wählt hat, der richtige zu sein, wenn er auch
nicht nach dem Geschmacke des „Persönlichkeits-
gedankens", der unsere heutige Zeit beherrscht,
sein mag. Freilich gehört dazu der Wille des
„Sich Bescheidens", der nur aus der Zusammen-
gehörigkeit des Klosterlebens entspringt und eines
ihrer wichtigsten Grundpfeiler bildet.
Was nun die Neuübersetzung des Pater Willi-
brord betrifft, so will er dieselbe nicht als streng
wissenschaftliche Arbeit betrachtet wissen, son-
dern nur als Maler das Verständnis für die
Kunst und den Geist, der in der Zeit des Cennini
geherrscht hatte, den jetzigen Künstlern wieder
näher bringen. Eine „Ausgabe" des Cenninischen
Trattato hätte auch den Abdruck des Original-
textes zur Voraussetzung gehabt, den P. Willi-
brord unterliess, und damit eigentlich dem Leser
eine arge Enttäuschung bereitete. Denn wir haben
noch keine richtige Ausgabe des Buches, während
sie in anderen Sprachen längst existiert!
Erst durch den Vergleich mit dem Original-
text wäre es auch möglich, den grossen Wert
der Neuübersetzung ganz zu ermessen, die gegen-
über der bis jetzt erschienenen von A. 11 g (Quellen-
schriften für Kunstgeschichte u. Kunsttechnik, Bd. I.
Wien i8/l; 11. Aufl. 1882) unvergleichlich besser
geraten ist. Man vergleiche nur z. B. die Kapitel
über Freskomalerei (Kap. 6/ff.), die hier mit vollem
Verständnis des Technischen von P. Willibrord
gegeben sind, mit dem unbeholfenen, oft ganz un-
verständlichen Sätzen der ersten Uebersetzung,
und wird den Unterschied herausfühlen zwischen
der nur die Worte wiedergebenden Uebertragung
des sonst sehr gelehrten Kunstforschers und der
auf eigener Erfahrung beruhenden Wiedergabe
des mit der Technik völlig vertrauten Malers.
Dass die Beuroner in der Freskotechnik ihre Haupt-
stärke erblicken, zeigen die maltechnischen Notizen,

die P. Willibrord in diesem Teil des Cenninischen
Textes anbringt, während solche bei den Angaben
für Tafelmalerei und Vergoldung äusserst spärlich
sind. Damit ist nicht gemeint, dass in Beuron
die Tafel- oder Temperamalerei weniger geübt
wird als die Freskomalerei, und P. Willibrord sagt
selbst, „viele Anweisungen Cenninis erprobt und
dabei immer gute Resultate erzielt" zu haben.
Aber jedenfalls ist die Kenntnis der alten Fresko-
technik, die mehr in einem aquarellartigen, lasur-
mässigen Farbenauftrag bestanden hatte, für die
heutigen Künstler von grösserem Wert, als die
mit der neueren Malweise schwer zu vereinbarende
Temperatechnik der Frührenaissance.
Zu einzelnen Punkten der Verkadeschen Ueber-
setzung erlaubt sich Ref. einige Bemerkungen zu
machen, die sich auf das Farbenmaterial*) beziehen.
DerUebersetzer war bemüht, die Farbenliste Cenninis
getreu nach dem Original zu bringen, hat aber, da
er gleichzeitig das heutige Farbenmaterial zu ver-
wenden gezwungen ist, die Nomenklaturen oftmals
verändert. So sagt er S. 45 Azzurro della Magna
„entspricht" unserm Kobalt, S. 40 „Azurgrün ent-
spricht unserm Kobaltgrün". Das Azurgrün und
Azzurro della Magna sind aber Kupferfarben, letztes
Blau ist ein natürliches Bergblau (Kupferkarbonat),
das im Mittelalter in den Kupferwerken von
Schwaz (Tirol) gegraben wurde und daher rührt
auch die auf Deutschland (Allemagna) hinweisende
Bezeichnung, ebenso wie das früher gebräuchliche
Spangrün, oder Spanischgrün auf spanischen Ur-
sprung verweist. Kobaltblau und Kobaltgrün
sind aber Farben neuester Zeit und noch kaum
hundert Jahre lang bekannt. Heute wird Bergblau
kaum mehr echt erhältlich sein, und überdies
geht es, mit Oel oder Tempera gebraucht, leicht
ins Grünliche.
Ganz verfehlt ist die Uebersetzung der Angaben
in Kapitel 161 (von den Farben, die man zu den
Arbeiten auf Papier verwendet), das von Miniatur-
malerei handelt, wenn die hier genannten „Pezzuola"
mit „Tablettchen" wiedergegeben werden.
Denn diese Pezzuola oder Pezzette, die in mittel-
alterlichen Quellen wiederholt genannt sind, sind
Stückchen von Zeug oder Leinen, mit denen meist
körperlose Pflanzenfarben wiederholt getränkt
wurden. In dieser Form wurde der Farbstoff zu
späterem Gebrauch aufbewahrt. Im Strassburger
Manuskript sind diese Farben als „Tuchleinfarben"
bezeichnet, sie gehörten zum unentbehrlichen In-
ventar des Miniaturisten. Pater Willibrord hätte
sich darüber leicht unterrichten können, wenn er
Bergers Werk (Beiträge z. Entwicklungsgesch. d.
Maltechnik III, II. Aufl. S. 126, 164 u. a.) einge-
sehen hätte. Unter Tablettchen wären etwa die
jetzt gebräuchlichen festen Aquarellfarben zu ver-
*) Die Bezeichnung von „Glättketten" (S. 57) be-
ruht wohl auf einem Druckversehen, es soll jedenfalls
Glättketlcn heissen.
 
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