Römer, Die Entwicklung der Naturhistorischen Museen
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Sammlers benannten und damit immer wiederum zu neuen Beobachtungen und
zu weiteren Sendungen anregten. So ist z. B. die wertvolle, viele Typen und
Originale enthaltende Reptiliensammlung unseres Senckenbergischen Museums
dadurch zustande gekommen, daß Prof. Dr. Oskar Boettger, der Verwalter dieser
Abteilung, die zahlreichen Frankfurter, die im Auslande leben, die deutschen
Konsuln und andere Freunde zum Sammeln anzuregen und anzuleiten wußte.
So wuchsen in den achtziger und neunziger Jahren alle Museumssammlungen
rapid an und in den Schränken trat bald an Stelle der früheren Leere Platzmangel
ein. Die Museumsleiter, die früher in Verlegenheit waren, den Beschauern Neues
zu bieten, wußten bald nicht mehr, wo sie mit der Masse der Neuankömmlinge
bleiben sollten.
Zu diesen äußeren Gründen der Vermehrung kamen noch »wissenschaft-
liche«, die ebenso ein Anstauen des Materiales bedingten. Die Systematik hat
sich in den letzten Jahrzehnten ungemein vertieft. Nach Linnes Definition des
Speziesbegriffes »Species tot sunt diversae, quot diversas formas ab initio creavit
infinitum ens« hielten wir die Tierarten für feststehende, unveränderliche und
scharf voneinander unterschiedene Einheiten. Bei dieser Auffassung genügten wenige
Vertreter einer Art; und in der Zeit nach Linne herrschte die Freude, Tiere neu
zu benennen und zu klassifizieren, so vor, daß das tiefere Ziel der Forschung, in
das Wesen eines Tieres einzudringen, verloren ging und das Interesse für Anatomie,
Physiologie, Biologie und Entwicklungsgeschichte vollständig erlahmte. Zur Beschrei-
bung einer neuen Art und der äußeren Erscheinung eines Tieres brauchte man
aber nur wenige Exemplare; die übrigen wurden als Doubletten an andere
Museen in Tausch abgegeben und manche wichtige Reiseausbeute ist auf diese
Weise zersplittert worden. Auf Angabe der Fundorte legte man keinen Wert.
Mit der Bezeichnung »Indisches Meer« oder »China«, die man nur zu oft an
älteren Stücken findet, glaubte man ausreichend über ihre Herkunft berichtet zu
haben. Seit Darwin und Haeckel haben wir jedoch gelernt, uns die Arten als
einige wenige überlieferte Bruchstücke eines einzigen zusammenhängenden Reiches
vorzustellen. Wenn wir alle Formen kennen würden, die heute noch existieren
und jemals existiert haben, also alle lebenden und ausgestorbenen Tiere, dann
würden Artgrenzen nicht vorhanden sein. Jede einzelne unterscheidbare Form,
mag sie uns heute noch so charakteristisch erscheinen, würde ohne scharfe Grenzen
in die andere übergehen und jede Gruppe einen lückenlosen reichverzweigten Stamm-
baum geben, in dem natürliche, scharfe Abgrenzungen nicht zu konstatieren wären.
Mit dieser Erkenntnis wurde die so oft verachtete trockene Systematik zu
einer tieferen stammesgeschichtlichen Forschung; aus der »beschreibenden«
wurde eine »erkennende« Naturwissenschaft. Diese Vertiefung des Artbegriffes und
dieses Eindringen in das Innere des Tieres basiert auf einem größeren Material
und macht immer wieder neues Material notwendig. Solche Studien erheischen
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Sammlers benannten und damit immer wiederum zu neuen Beobachtungen und
zu weiteren Sendungen anregten. So ist z. B. die wertvolle, viele Typen und
Originale enthaltende Reptiliensammlung unseres Senckenbergischen Museums
dadurch zustande gekommen, daß Prof. Dr. Oskar Boettger, der Verwalter dieser
Abteilung, die zahlreichen Frankfurter, die im Auslande leben, die deutschen
Konsuln und andere Freunde zum Sammeln anzuregen und anzuleiten wußte.
So wuchsen in den achtziger und neunziger Jahren alle Museumssammlungen
rapid an und in den Schränken trat bald an Stelle der früheren Leere Platzmangel
ein. Die Museumsleiter, die früher in Verlegenheit waren, den Beschauern Neues
zu bieten, wußten bald nicht mehr, wo sie mit der Masse der Neuankömmlinge
bleiben sollten.
Zu diesen äußeren Gründen der Vermehrung kamen noch »wissenschaft-
liche«, die ebenso ein Anstauen des Materiales bedingten. Die Systematik hat
sich in den letzten Jahrzehnten ungemein vertieft. Nach Linnes Definition des
Speziesbegriffes »Species tot sunt diversae, quot diversas formas ab initio creavit
infinitum ens« hielten wir die Tierarten für feststehende, unveränderliche und
scharf voneinander unterschiedene Einheiten. Bei dieser Auffassung genügten wenige
Vertreter einer Art; und in der Zeit nach Linne herrschte die Freude, Tiere neu
zu benennen und zu klassifizieren, so vor, daß das tiefere Ziel der Forschung, in
das Wesen eines Tieres einzudringen, verloren ging und das Interesse für Anatomie,
Physiologie, Biologie und Entwicklungsgeschichte vollständig erlahmte. Zur Beschrei-
bung einer neuen Art und der äußeren Erscheinung eines Tieres brauchte man
aber nur wenige Exemplare; die übrigen wurden als Doubletten an andere
Museen in Tausch abgegeben und manche wichtige Reiseausbeute ist auf diese
Weise zersplittert worden. Auf Angabe der Fundorte legte man keinen Wert.
Mit der Bezeichnung »Indisches Meer« oder »China«, die man nur zu oft an
älteren Stücken findet, glaubte man ausreichend über ihre Herkunft berichtet zu
haben. Seit Darwin und Haeckel haben wir jedoch gelernt, uns die Arten als
einige wenige überlieferte Bruchstücke eines einzigen zusammenhängenden Reiches
vorzustellen. Wenn wir alle Formen kennen würden, die heute noch existieren
und jemals existiert haben, also alle lebenden und ausgestorbenen Tiere, dann
würden Artgrenzen nicht vorhanden sein. Jede einzelne unterscheidbare Form,
mag sie uns heute noch so charakteristisch erscheinen, würde ohne scharfe Grenzen
in die andere übergehen und jede Gruppe einen lückenlosen reichverzweigten Stamm-
baum geben, in dem natürliche, scharfe Abgrenzungen nicht zu konstatieren wären.
Mit dieser Erkenntnis wurde die so oft verachtete trockene Systematik zu
einer tieferen stammesgeschichtlichen Forschung; aus der »beschreibenden«
wurde eine »erkennende« Naturwissenschaft. Diese Vertiefung des Artbegriffes und
dieses Eindringen in das Innere des Tieres basiert auf einem größeren Material
und macht immer wieder neues Material notwendig. Solche Studien erheischen
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