Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins — 1907-1908

DOI Artikel:
Scherer, Christian: Schwäbische Elfenbeinschnitzer und ihre Werke
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7713#0142
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Schwäbische Elfenbeinschnitzer und ihre Werke.

135

Ihn hat daher auch in der nachfolgenden Zeit keiner seiner Landsleute je
zu erreichen, geschweige denn zu übertreffen vermocht. Denn was seitdem
im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts in Württemberg in der Elfenbein-
schnitzkunst geleistet ist, beschränkt sich mit wenigen Ausnahmen auf Dinge
jener Art, die als Arbeiten Geislinger Künstler schon oben kurz erwähnt
wurden. Geislingen war denn auch neben Erbach bis auf die neueste Zeit
fast die einzige Stadt Deutschlands, wo Elfenbeinschnitzerei- und -Drechslerei
noch in größerem Umfang, aber auch bei fast fabrikmäßigem Betrieb, zum Teil
in Werkstätten unter Leitung tüchtiger Meister, zum Teil auch von Heimarbeitern
als Hausindustrie ausgeübt wurden. Besonders waren es und sind es
zum Teil noch heute kleine Möbel, Puppenstubeneinrichtungen und Nipp-
sachen aller Art, die von jeher eine beliebte und gewinnbringende Spezialität
der dortigen Elfenbeinschnitzerei bildeten;* daneben entstanden freilich auch
gelegentlich selbständige Arbeiten von höherem Wert, wie Gefäße, Figuren usw.,
die zumeist aus den Werkstätten der Brüder Kauzmann, von denen, im Verein
mit H. Peters in Geislingen, u. a. ein schöner, dem damaligen Prinzen, jetzigem
König Wilhelm und seiner Gemahlin als Hochzeitsgeschenk dargebrachter Pokal
in Elfenbein und Gold herrührt, ferner Webers, Steifs, Strobels, Seiberts, Lenzs
und anderer hervorgingen. Alle diese Meister verdankten ihre Kunstfertigkeit
wohl in erster Linie jener Jahrhunderte alten, von Geschlecht zu Geschlecht
vererbten Ueberlieferung, daneben aber auch dem dort stets gepflogenen un-
mittelbaren Verkehr mit dem Publikum und den dadurch empfangenen An-
regungen mannigfachster Art.

So konnte Geislingen mit vollem Recht noch bis vor kurzem als einer der
Hauptstandorte der Elfenbeinschnitzerei in Deutschland angesehen werden.
Von dort wurde dieser Industriezweig nicht nur auf die Städte der nächsten
Umgebung, wie Gmünd, Göppingen, Eßlingen, Ulm, Stuttgart und andere
ausgebreitet, sondern es wurden auch weiter entlegene Orte mit Arbeits-
kräften aus Geislingen versehen, die sich hier niederließen und dann ihre
heimische Kunst allmählich dorthin verpflanzten. Freilich ist neuerdings, wie
in Geislingen, so auch in jenen übrigen württembergischen Städten infolge starker
auswärtiger Konkurrenz und aus anderen Gründen, unter denen der lebhafte
Aufschwung der Württemberger Metallwarenfabrikation wohl an erster Stelle
steht, die Elfenbeinschnitzerei in stetem Rückgang begriffen, so daß leider
kaum zu erwarten ist, daß sie jemals wieder in dem alten Umfange dort zur
Pflege und Ausübung gebracht werden wird. Gleichwohl gibt es auch jetzt
noch immer einzelne Meister, die jene Kunst dort pflegen und darin, wie z. B. die
Elfenbeinarbeiten H. Rudolphs in Stuttgart zeigen, immer noch Tüchtiges zu
leisten vermögen. Daß das Elfenbein aber auch noch zu manchen anderen
Zielen berufen sein dürfte, nämlich mitzuwirken bei der Dekoration unserer
Möbel, zeigt jener schöne Notenschrank im Königlichen Landesgewerbemuseum,
der nach einem Entwürfe B. Pankoks angefertigt und unter anderem mit
geschmackvollen Elfenbeineinlagen in Flachschnitzerei verziert ist, die eben-
falls wieder aus der Werkstätte Rudolphs hervorgegangen sind. Und gerade

* Solcher Art mögen wohl auch jene artigen elfenbeinernen Drechslerwaren gewesen sein, die,
wie uns der Dichter F. von Matthisson in seinen „Erinnerungen" aus dem Jahr 1794 erzählt, im
Posthause (zu Geislingen) von jungen Mädchen feilgehalten wurden; eine Notiz, die ich Herrn
Professor Pazaurek verdanke.
 
Annotationen