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Kulturwissenschaftliche Bibliographie zum Nachleben der Antike: d. Erscheinungen d. Jahres ... — 1.1931 (1934)

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https://doi.org/10.11588/diglit.50163#0071
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A llgemeines

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einer typischen Renaissancegelehrsamkeit.
Was Cohen in seiner Vorrede und seinen
Noten aus diesem reichen und schwer zu
fassenden Text herausholt, ist vor allem
das, was den Literarhistoriker interessiert.
Was ihn davon abhält, den Text ein-
gehend und sinnentsprechend zu analy-
sieren, ist seine Abneigung gegen „cette
prose touffue, encombree d’erudition classi-
que, chargee de scolastique et oü les
clartes de la Renaissance sont souvent
embrumees de la mystique medievale.“
Nur wenn man sich entschließt, diese
Gegensätze als zusammengehörig anzu-
sehen, wird man jedoch Tory gerecht.
Nicht nur, daß er sich bei seinen Bezugs-
und Analogiereihen, den Parallelisierungen
von Musen, freien Künsten, Tugenden
mit Tönen, Sphären, Buchstaben und
Zahlen, selbst in den Einzelheiten auf
die Autorität der Alten berufen kann, es
darf nicht vergessen werden, daß die Ten-
denz, den Kosmos als ganzen rational in
Zahlbeziehungen aufzulösen, ebenso antik
ist (vgl. etwa Dornseiffs Buch über das
Alphabet in Mystik und Magie). Torys
Versuch, die Schriftzeichen zu normali-
sieren und ihre Gestalt nicht durch ästhe-
tische Argumente, sondern durch Ein-
fügung in ein kosmologisch harmonikales
Bezugsystem allgemein verbindlich zu
machen, geht also Hand in Hand mit den
Bemühungen, auch Sprache, Versmaß,
Grammatik zu kodifizieren. Und was seine
Bezugsreihen endgültig von den Gleich-
setzungen mittelalterlicher Moralisationen
und Allegoresen unterscheidet, ist der Um-
stand, daß sie auf ein gemeinsames Zen-
trum bezogen werden: sie verhalten sich
proportional, sie haben ein gemeinsames
Verhältnis zur menschlichen Gestalt und
zu den architektonischen Maßen. Das
Gleichmaß der in einen Kreis oder in ein
Quadrat eingeschlossenen menschlichen Pro-
portionsfigur, von den Renaissancetheore-
tikern aus Vitruv übernommen, ist für
Tory das in vielfachen Abwandlungen
wiederholte Vorbild für die Verhältnisse
seiner Lettern. Wenn es keinen andern Be-
weis gäbe, daß antike (nota bene, nicht
,,medievale“) Mystik und das Streben nach
Formenreinheit keine Gegensätze sind, die
sich beeinflussen, daß vielmehr beides für
das Bewußtsein der Zeit als Wiederbelebung
des klassischen Altertums zusammengehörte

und deshalb auch als gegenseitig sich er-
gänzende Pole einer und derselben Span-
nung aufgefaßt und analysiert werden muß
— Torys Buch wäre ein solcher Beweis.
G. B.
MOESSEL, ERNST, Urformen des Raumes 125
als Grundlagen der Formgestaltung. Mün-
chen: Beck. IX, 202, 135 S. (Moessel:
Die Proportion in Antike u. Mittel-
alter. 2.)
Über den Inhalt vgl. das Referat von
F. Wachtsmuth, in: Dt.Litztg.1932, Sp.1807
bisio. — Eshandeltsichindieser Arbeit nicht
um eine Geschichte der Proportion oder um
eine Geschichte der Proportionslehre. M.
versucht vielmehr — ohne jedes Quellen-
studium — rein vom jeweiligen Objekt her
eine Erforschung von „Proportionsge-
setzen“, die ausschließlich auf subjektiver
Interpretation beruht (ähnlich den Unter-
nehmungen Dehios, Thierschs, Wolffs und
Zeisings): es werden geometrische Pro-
portionsschemata aus den Bauformen (d.h.
deren Abbildungen) herauskonstruiert und
die entstandenen Figuren als ursprüng-
liche Kompositionsnormen gewertet. Solch
Versuch, der durch komplizierteste und
sorgfältigste Messungen an einem sehr
reichen Material vorgenommen wurde,
kann in der Geschichte einer metaphy-
sischen Zahlensymbolik als sehr ernst
zu nehmendes Endglied einer jahrhun-
dertealten Entwicklung angesehen wer-
den: in dem Augenblick aber, wo die Er-
gebnisse der Arbeit zu pseudohistorischen
Schlüssen verwandt werden, muß der Histo-
riker Verwahrung einlegen. — Es kann hier
nicht eingehende Kritik geübt werden;
darum möchten drei Beispiele das Grund-
sätzliche andeuten: für die Kapitellkon-
struktion auf Abb. 100 (Sakristei von
S. Spirito in Florenz) lassen sich aus den
Architekturtheorien der Renaissance (Al-
berti, Filarete, Leonardo da Vinci) wie aus
den Konstruktions- und Entwurfzeichnun-
gen in den Skizzenbüchern der Sangallo
und in der Slg. der Uffizien Nachweise er-
bringen, daß diese Art figurierter Kapitelle
aus ganz anderen ■— und zwar in jedem
Falle besonders bedingten — „Berechnun-
gen“ entstand. — Das berühmte Skizzen-
blatt aus dem Buche des Villard de Honne-
court (Abb. 272) ist zu falschen Bezug-
setzungen verwandt (über diese geometri-

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