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A bibliography of the survival of the classics: the publications of ... = — 2.1932-33 (1938)

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https://doi.org/10.11588/diglit.50164#0335
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Aufklärung und Klassizismus

313

Goethes „heidnischer Sinn“ offenbart
sich in seinem Glauben an die Allgegenwart
des Göttlichen, an das Ineinandergreifen
der göttlichen and menschlichen Sphäre,
ein Glaube, der bei ihm wie bei den Alten
verbunden ist mit dem Gefühl für die
„Grenzen der Menschheit“, die durch Be-
griffe wie ccvdyKT), Tuyr], Scdpcov bezeichnet
werden können. Griechisch ist seine Forde-
rung, durch freiwillige Bescheidung inner-
halb der Grenzen des Schicksals die
menschliche Freiheit zu wahren und sein
Glaube an die Realität der Unsterblichkeit
im Nachruhm.
Ein wesentlicher Gegensatz des goethi-
schen Lebensgefühls gegenüber dem griechi-
schen ist jedoch dadurch bezeichnet, daß
Goethe bei aller Tendenz zum Objektiven
vom Individuum ausgeht, während der
Hellene von der objektiven Welt der Polis
her bestimmt ist. Wenn in beiden Fällen
eine Harmonie zwischen Innen und Außen,
zwischen Individuum und Welt erstrebt
wird, so wird dieser Ausgleich bei Goethe
nicht durch eine überpersönliche Ordnung,
sondern innerhalb und kraft der Seele des
Einzelnen gesucht.
Diese goethische Lösung ist dadurch be-
dingt, daß sich sein Wesen aus Quellen
speist, die dem Hellenentum fremd sind: so
ist z. B. das mystische Naturgefühl, wie es
etwa im Ganymed zum Ausdruck kommt,
völlig ungriechisch. Bei aller bewußten
Tendenz zur Episierung sind daher die
eigentlichen Antriebe der goethischen Kunst
lyrisch.
Was die goethische Lebensauffassung
von der antiken unterscheidet, ist am kon-
zentriertesten zu fassen in dem Begriff der
eÄTtis, dem spezifisch goethischen Ur-
wort, das von ihm der „orphischen“ Reihe
angefügt worden ist. In diesem Begriff, der
wohl das wichtigste christliche Element
der goethischen Weltanschauung darstellt,
ist die starre antike aväyKT] durchbrochen,
er schließt die Selbstbehauptung der akti-
ven Einzelseele in sich und bezeichnet eine
Dimension der Freiheit, die der Antike un-
bekannt war. L. L.

1144 ALEWYN, RICHARD, Goethe und die
Antike. In: Human. Gymn. 43, '32,
S. 114—24.
Für A. bedeutet die Selbsterkenntnis
Fausts, nachdem er Helena gesehen hat,

den Beginn der neuen Epoche des deutschen.
Humanismus, in der die Antike nicht mehr
zeitlose Norm, sondern geschichtlicheWirk-
lichkeit ist. Seit Herder wird unter der
Voraussetzung, daß das Ältere das Echte
sei, die unmittelbare Verbindung mit der
Antike gesucht. In diesem Zeichen sieht
der junge G. zunächst die Antike titanisch
in Bild und Kraft, dann in Italien human,
in Form und Maß mit der schmerzlich
resignierenden Erkenntnis der nicht zu
erreichenden Vollkommenheit und Un-
wiederbringlichkeit der Antike. Dennoch
erhält das Ideal Griechenland in dieser Zeit
Realität als politische Idee. Im Gegensatz
dazu stehen G.’s literarische Beziehungen
zu letzten Ausläufern höfischer Barock-
kultur, in denen die Festspiele und die
Pandora wurzeln. Endlich wird in der
Helenadichtung ein Griechentum gesich-
tet, „das — der Wissenschaft weit voraus —
nicht in Vertrautheit, sondern in unüber-
steiglicher Fremdheit beruht, nicht in der
Gleichheit, sondern in dem grundsätzlichen
Anderssein und damit eine Renaissance so
gewiß ausschließt, wie der Sohn Fausts und
Helenas lebensunfähig ist, das nun aber aus
dem gleichen Grunde echter und nicht
minder wichtig ist.“ R. N.
SCHADEWALDT, WOLFGANG, Goethe 1145
und das Erlebnis des antiken Geistes.
Eine Gedenkrede. In: Freiburger Uni-
versitätsreden 8. Freiburg i. B. '32.21 S.
Nach Sch. ist G.'s Antikenauffassung
in ständigem Wechsel begriffen, er erlebt
den antiken Geist am kräftigsten, wenn
sein eigenes Schöpfertum am fruchtbarsten
quillt. Seine Affinität mit der Antike wird
an drei Grundkräften: Sehen, Sprechen
und Eros gezeigt; sein Auge ist das des
klassischen Griechen; er spricht als schöpfe-
rischer Mensch mit deutschen Worten
griechisch. Der Eros als pädagogischer
Urtrieb bestimmt sein Leben wie das seines
Doppelgängers Faust. Er hat als Mensch
das gedichtet, was die Griechen als Volk
geschaffen haben. R. N.

VON DER MÜHLL, H., Goethe et les 114G
Anciens. In: Bull. Soc. Et. de Lettres
7. *33< S. 5—23.
Dieser Essay, der nichts Neues bringt
aber gut und knapp zusammenfaßt, was
die Wissenschaft im Einzelnen erarbeitet
 
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