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Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung [Editor]
Nassauische Annalen: Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung — 63.1952

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Bernath, Mathias: Die auswärtige Politik Nassaus 1805-1812: ein Beitrag zur Geschichte des Rheinbundes und der politischen Ideen am Mittelrhein zur Zeit Napoleons
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https://doi.org/10.11588/diglit.62672#0123
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Die auswärtige Politik Nassaus 1805—1812

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deutschen Großmächte die vielberufene Integrität des Reiches zu wahren weder im-
stande noch gewillt sein würden. Das von den Großen zuerst heimlich und dann offen
anerkannte Prinzip der Säkularisation eröffnete eine Periode der Unsicherheit und des
Länderschachers, die bei den mittleren und kleineren Ständen eine aus „Angst und
Begehrlichkeit" (Schnabel) unerfreulich gemischte Politik des reinen dynastischen
Egoismus entstehen ließ. — Wenn auch diese Voraussetzungen für alle Teile des geo-
graphisch und politisch besonders gefährdeten Gesamthauses Nassau zutrafen, so war
es dennoch schwierig, die auseinandergehenden Interessen der einzelnen fürstlichen
Linien aufeinander abzustimmen.
Völlige Übereinstimmung hinsichtlich des einzuschlagenden Weges herrschte nur
zwischen den walramischen Fürstentümern Weilburg und Usingen. Dort setzte sich
immer mehr der Einfluß der jüngeren Staatsmänner v. Gagern und v. Marschall5) im
Sinne einer unbedenklichen Territorialpolitik durch, die nicht nur erhalten, sondern
nach Möglichkeit „arrondieren" wollte. Die im Zuge der erwarteten Säkularisationen
freiwerdenden kurkölnischen, trierischen und mainzischen Besitzungen wurden als will-
kommener Zuwachs ins Auge gefaßt, um den Aufbau eines geschlossenen Territorial-
staates in die Wege zu leiten. Da der Weilburger Fürst Friedrich Wilhelm 6)der präsum-
tive Erbe der usingischen Linie war, bestand kein Anlaß zu Eifersüchteleien zwischen
den beiden südnassauischen Fürstentümern.
Mehr Schwierigkeiten bereitete es, die oranischen Bestrebungen mit denen der
älteren Linie unter einen Hut zu bringen. Das Schicksal der Oranier war in die großen
Zusammenhänge der europäischen Politik verwoben. Nach dem Verlust ihrer Stellung
in Holland und nach dem Baseler Ausgleich zwischen Frankreich und Preußen wurde
die Frage der oranischen Entschädigung Gegenstand besonderer Abmachungen
zwischen den Großen7). In einem geheimen Vertrage zwischen Preußen und Frankreich
vom 5. Aug. 1796 wurden den Oraniern die Bistümer Bamberg und Würzburg, verbun-
den mit dem Kurhut, zugesprochen. Als 1798 Österreich und Preußen sich in der
Säkularisationsfrage verständigten, lehnte ersteres die Verpflanzung der Oranier nach
Franken ab, zumal nach dem Aussterben dieses Hauses der Heimfall der Entschädi-
gungslande an Preußen vorgesehen war. Die Oranier mußten sich nun nach neuem
Besitz aus der Konkursmasse der geistlichen Stände umsehen und richteten ihr Augen-
merk auf das kurtrierische und kurkölnische Gebiet im Westerwald und im Lahntal.
An diesem Punkte überschnitten sich die oranischen Interessen mit denen Usingens und
Weilburgs.
Den beiden südnassauischen Fürstentümern mußte eine Durchsetzung ihrer Wünsche
um so schwerer fallen, als die Oranier an den großen Mächten einen bedeutenden Rück-
halt hatten. Der alte Erbstatthalter Wilhelm V. (1751—1806) zwar neigte mehr nach
England hin, das ihm wenig helfen konnte, da der französische Gegner auf dem Fest-
lande übermächtig war. Der Oranier war nach seiner Vertreibung aus Holland nach
England geflohen und kehrte erst 1801 in seine deutschen Stammlande zurück. Der
Erbprinz Wilhelm dagegen begab sich unter den Schutz Preußens, mit dessen Königs-
haus er verschwägert war8). — Zum Unterschied von Oranien entbehrten Usingen und
Weilburg jeglicher Unterstützung. Die reichstreue, sich eng an Österreich anschließende
Politik des ,, altkaiserlichen" (Henche) usingischen Präsidenten v. Kruse9) entsprach
den gewandelten Verhältnissen nicht mehr. Gagern, seit 1786 unbestrittener Leiter der
weilburgischen Regierung, und der in Usingen immer mehr zur Geltung kommende
v. Marschall befürworteten eine biegsame, von hemmenden Traditionen freie Politik,
die sich die Gegensätze der Großen geschickt zunutze zu machen wußte.
^Ha^ChriZtoph Ernst Frh. v. Gagern, aus reichritterlichem Geschlecht: geb 25. Jan. 1766
zu Kleinniedesheim bei Worms. 1788 Nachfolger des Präsidenten v. Botzheim in der Regierung
von Nassau-Weilburg. Verfaßt 1795 einen Aufruf zur Bildung eines engeren Fürstenbundes
(„Ein deutscher Edelmann an seine Landsleute") ADB 8, 303 ff. (K. Wippermann). — Ernst
Franz Ludwig Marschall v. Bieberstein: geb. 2. Aug. 1770 zu Wallerstein, in usingischen Diensten
seit 1790. 1796 Geheimer Regierungsrat mit diplomatischen Aufträgen, 1803 als Nachfolger
v. Kruses Präsident in Nassau-Usingen. — Vgl. über Marschall: W. Sauer in Nass. Ann. 22
(1890); ders., Das Herzogtum Nassau in den Jahren 1813—1820 (1893); A. Henche, der nassauische
Staatsminister Marschall zu Bieberstein, ein politisches Lebensbild (1940).
6) Friedr. Wilh., Fürst zu Nassau-Weilburg (1788—1816), geb. 25. Okt. 1768, Sohn des Fürsten
Karl zu Nassau-Weilburg und der Karolina v. Oranien, Neffe mütterlicherseits des Erbstatt-
halters v. Holland Wilhelm V. — 7) Vgl. dazu auch Fischer 9 ff.
8) Der Erbprinz Wilh. v. Nassau-Oranien war der Vetter und Schwager Friedrich Wilhelms II.
v. Preußen. — 9) Über Karl Friedr, v. Kruse vgl. ADB 17, 265 ff.
 
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