Renkhoff, Zur Siegel- und Wappenfrage der Stadt Siegen 307
1253; dagegen steht 1248 civitas und 1253 cives. Die Ausdrücke oppidum und civitas
werden bekanntlich allenthalben mehr oder weniger wahllos gebraucht. Und der
Begriff burgenses spricht umgekehrt gegen höheres Alter des Siegener Siegels. Unter
burgenses nämlich ist der älteste Kern der Stadtgemeinde, die Ratsbürger, das
Organ der Selbstverwaltung, zu verstehen12), im Gegensatz zum landesherrlich
bestimmten Gericht mit Schultheiß und Schöffen, das in Siegen kein älteres Siegel
geführt hat. Eine Selbstverwaltung der Stadt mit Rat und Bürgermeister ist aber
erst 1248 bezeugt — in der gleichen Urkunde, der bezeichnenderweise auch erstmals
das Siegel Anhing. Noch die zu Siegen ausgestellte Urkunde von 123913) nennt zwar
Vogt und Schöffen, nicht aber Rat oder Bürgermeister, war auch seitens der Stadt
nicht besiegelt.
3. Die Schindeln des gräflichen Wappens können bei dessen Verwendung in einem
Stadtsiegel sehr wohl fehlen — das nassauische Wappentier ist eben der Löwe.
Das ist z. B. durch das Stadtsiegel von Katzenelnbogen 1327/285) erwiesen.
4. Die Ähnlichkeit des „Porträts" im Siegener Siegel mit dem auf dem Siegel Erz-
bischof Engelberts, der 1224 den Vertrag mit dem Grafen schloß, bleibt nach wie
vor ein nicht zu übersehendes Argument14). Andererseits zeigen die wenigen
Bischofsdarstellungen des hl. Martin auf Siegeln —- innerhalb Hessens Bingen15)
und Fritzlar16) — den Nimbus, der im Siegener wie im Korbacher Siegel fehlt.
5. Unter den beiden Kontrahenten des Jahres 1224 kam dem Kölner Erzbischof und
besonders dem tatkräftigen Engelbert, zumal er auch Reichsverweser und noch dazu
des Grafen Lehnsherr war, zweifellos die größere Machtfülle zu. Nicht nur diese
weltliche Überlegenheit, auch der anerkannte Primat der Kirche rechtfertigt, fordert
sogar die dem nassauischen Wappen übergeordnete Stellung des erzbischöflichen
„Porträts''17).
6. Die Inkongruenz in der Darstellungsweise — Person (Erzbischof) zu Symbol (nas-
sauisches Wappen) — scheint mir, auch für das Mittelalter, doch nicht so unmöglich
zu sein und wird hier durch die Initiative der überragenden Persönlichkeit Engel-
berts durchaus verständlich: Engelbert dürfte als der eigentliche Stadtherr des
opidi Sige de novo constructi von 1224 zu gelten haben18), und das Porträt des Stadt-
gründers oder Stadtherrn kehrt auch sonst in Stadtsiegeln wieder19). Die bischöf-
liche Gestalt im gleichzeitigen (1227) Korbacher Siegel, das auch sonst eine gute
Parallele zum Siegener bietet, ist — entgegen Philippi 2°), Tumbült 21) und Güth-
ling — als die des Paderborner Bischofs zu deuten22). Die spitzovale Form aber,
12) F. Philippi: Deutsche Literaturzeitung 1916 Nr. 32/33; ders.: Zs. f. hess. Gesch. 52. Bd. 1919
S. 185£; K. E. Demandt, Quellen z. Rechtsgesch. der Stadt Fritzlar im Mittelalter (Veröff. d.
Hist. Komm. f. Hessen u. Waldeck XIII 3) 1939 S. 13ff. 13) Sieg. UB I Nr. 10.
1, Die Inschrift Pax vobis im aufgeschlagenen Buch des Engelbert-Siegels ist entsprechend auch
bei der Übernahme des Paderborner Bischofs ins Korbacher Siegel weggelassen („Die westf.
Siegel...", Tf. 78, 3); vgl. Punkt 6.
15) Abb.: Volk u. Scholle 4. Jg. 1926 S. 52. — 16) Demandt (s. Anm. 12), Siegeltaf. u. S. 195 f.
17) Die Gegenbeispiele Battenberg (Abdrr. seit 1278) und Wetter (13. Jh.), die den Mainzer Erz-
bischof auf den zweiten Platz (linke Schildhälfte) verweisen, erklären sich aus den anders ge-
lagerten Machtverhältnissen zwischen weltlichem und geistlichem Herrn. Hier war der Erzbischof
nicht als Stadtgründer aufgetreten; im Gegensatz zu den älteren und überlegenen Rechten der
geistlichen Herrschaft in Siegen und Korbach hatte er sich lediglich neben den älteren weltlichen
Herrn setzen können, dessen Primat denn auch im Siegel zum Ausdruck kam. Zu Battenberg vgl.
E. Anhalt, Der Kreis Frankenberg, 1928 S. 27; A. Heldmann: Zs. f. hess. Gesch. 25. Bd. 1890
S. 16 £ Anm.; zu Wetter A. Heldmann: ebd. 34. Bd. 1901 S. 105. Die beiden Herren aber des
Volkmarser Siegels (Abdrr. seit 1272) sind nicht der Waldecker Graf und der Kölner Erzbischof,
sondern der Graf von Everstein als Inhaber der Grafschaft und der Abt von Corvey als Grundherr
(A. Gottlob: Zs. f. vaterländ. Gesch. u. Altertumskde, 79. Bd. 2. Abt. 1921 S. 85 ff.).
18) Das alte Sigena (1079/89) im Raum der Martinikirche als Hoheitsgebiet der Mainzer Erz-
bischöfe und Burgsitz ihrer Vögte, der Nassauer Grafen; — - daneben, außerhalb dieses mainzischen
Interessengebiets der Martinistadt, die Neugründung von 1224: eine Kaufmannsstadt auf dem
Siegberg um die Nikolaikirche, unter Mitwirkung des Kölner Erzbischofs mit entschiedener
Tendenz gegen den Mainzer gegründet. Vgl. unten S. 364.
19) G. A. Seyler, Gesch. der Siegel, 1894 S. 315 ff. — 2°) Sieg. UB I S. XXIII.
21) ..Die westf. Siegel..." S. 19 u. Tf. 78, 3. — Die Umschrift des Siegels ist übrigens zu lesen:
+ SIGILLVM SCT KILIANI ET CIVIVM D CVRBAC, nicht mit Tumbült ... DE ERBAC.
22) H. J. v. Brockhusen: Mein Waldeck, Heimatkundl. Beil. z. Waldeckischen Landeszeitung
1950 Nr. 11; H. Nicolai: ebd. 1950 Nr. 13. Die waldeckschen Stadtsiegel mit Kirchenpatron und
gräflicher Wappenfigur sind sämtlich spät und erst nach dem mißgedeuteten Vorbild des Kor-
bacher geschnitten.
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1253; dagegen steht 1248 civitas und 1253 cives. Die Ausdrücke oppidum und civitas
werden bekanntlich allenthalben mehr oder weniger wahllos gebraucht. Und der
Begriff burgenses spricht umgekehrt gegen höheres Alter des Siegener Siegels. Unter
burgenses nämlich ist der älteste Kern der Stadtgemeinde, die Ratsbürger, das
Organ der Selbstverwaltung, zu verstehen12), im Gegensatz zum landesherrlich
bestimmten Gericht mit Schultheiß und Schöffen, das in Siegen kein älteres Siegel
geführt hat. Eine Selbstverwaltung der Stadt mit Rat und Bürgermeister ist aber
erst 1248 bezeugt — in der gleichen Urkunde, der bezeichnenderweise auch erstmals
das Siegel Anhing. Noch die zu Siegen ausgestellte Urkunde von 123913) nennt zwar
Vogt und Schöffen, nicht aber Rat oder Bürgermeister, war auch seitens der Stadt
nicht besiegelt.
3. Die Schindeln des gräflichen Wappens können bei dessen Verwendung in einem
Stadtsiegel sehr wohl fehlen — das nassauische Wappentier ist eben der Löwe.
Das ist z. B. durch das Stadtsiegel von Katzenelnbogen 1327/285) erwiesen.
4. Die Ähnlichkeit des „Porträts" im Siegener Siegel mit dem auf dem Siegel Erz-
bischof Engelberts, der 1224 den Vertrag mit dem Grafen schloß, bleibt nach wie
vor ein nicht zu übersehendes Argument14). Andererseits zeigen die wenigen
Bischofsdarstellungen des hl. Martin auf Siegeln —- innerhalb Hessens Bingen15)
und Fritzlar16) — den Nimbus, der im Siegener wie im Korbacher Siegel fehlt.
5. Unter den beiden Kontrahenten des Jahres 1224 kam dem Kölner Erzbischof und
besonders dem tatkräftigen Engelbert, zumal er auch Reichsverweser und noch dazu
des Grafen Lehnsherr war, zweifellos die größere Machtfülle zu. Nicht nur diese
weltliche Überlegenheit, auch der anerkannte Primat der Kirche rechtfertigt, fordert
sogar die dem nassauischen Wappen übergeordnete Stellung des erzbischöflichen
„Porträts''17).
6. Die Inkongruenz in der Darstellungsweise — Person (Erzbischof) zu Symbol (nas-
sauisches Wappen) — scheint mir, auch für das Mittelalter, doch nicht so unmöglich
zu sein und wird hier durch die Initiative der überragenden Persönlichkeit Engel-
berts durchaus verständlich: Engelbert dürfte als der eigentliche Stadtherr des
opidi Sige de novo constructi von 1224 zu gelten haben18), und das Porträt des Stadt-
gründers oder Stadtherrn kehrt auch sonst in Stadtsiegeln wieder19). Die bischöf-
liche Gestalt im gleichzeitigen (1227) Korbacher Siegel, das auch sonst eine gute
Parallele zum Siegener bietet, ist — entgegen Philippi 2°), Tumbült 21) und Güth-
ling — als die des Paderborner Bischofs zu deuten22). Die spitzovale Form aber,
12) F. Philippi: Deutsche Literaturzeitung 1916 Nr. 32/33; ders.: Zs. f. hess. Gesch. 52. Bd. 1919
S. 185£; K. E. Demandt, Quellen z. Rechtsgesch. der Stadt Fritzlar im Mittelalter (Veröff. d.
Hist. Komm. f. Hessen u. Waldeck XIII 3) 1939 S. 13ff. 13) Sieg. UB I Nr. 10.
1, Die Inschrift Pax vobis im aufgeschlagenen Buch des Engelbert-Siegels ist entsprechend auch
bei der Übernahme des Paderborner Bischofs ins Korbacher Siegel weggelassen („Die westf.
Siegel...", Tf. 78, 3); vgl. Punkt 6.
15) Abb.: Volk u. Scholle 4. Jg. 1926 S. 52. — 16) Demandt (s. Anm. 12), Siegeltaf. u. S. 195 f.
17) Die Gegenbeispiele Battenberg (Abdrr. seit 1278) und Wetter (13. Jh.), die den Mainzer Erz-
bischof auf den zweiten Platz (linke Schildhälfte) verweisen, erklären sich aus den anders ge-
lagerten Machtverhältnissen zwischen weltlichem und geistlichem Herrn. Hier war der Erzbischof
nicht als Stadtgründer aufgetreten; im Gegensatz zu den älteren und überlegenen Rechten der
geistlichen Herrschaft in Siegen und Korbach hatte er sich lediglich neben den älteren weltlichen
Herrn setzen können, dessen Primat denn auch im Siegel zum Ausdruck kam. Zu Battenberg vgl.
E. Anhalt, Der Kreis Frankenberg, 1928 S. 27; A. Heldmann: Zs. f. hess. Gesch. 25. Bd. 1890
S. 16 £ Anm.; zu Wetter A. Heldmann: ebd. 34. Bd. 1901 S. 105. Die beiden Herren aber des
Volkmarser Siegels (Abdrr. seit 1272) sind nicht der Waldecker Graf und der Kölner Erzbischof,
sondern der Graf von Everstein als Inhaber der Grafschaft und der Abt von Corvey als Grundherr
(A. Gottlob: Zs. f. vaterländ. Gesch. u. Altertumskde, 79. Bd. 2. Abt. 1921 S. 85 ff.).
18) Das alte Sigena (1079/89) im Raum der Martinikirche als Hoheitsgebiet der Mainzer Erz-
bischöfe und Burgsitz ihrer Vögte, der Nassauer Grafen; — - daneben, außerhalb dieses mainzischen
Interessengebiets der Martinistadt, die Neugründung von 1224: eine Kaufmannsstadt auf dem
Siegberg um die Nikolaikirche, unter Mitwirkung des Kölner Erzbischofs mit entschiedener
Tendenz gegen den Mainzer gegründet. Vgl. unten S. 364.
19) G. A. Seyler, Gesch. der Siegel, 1894 S. 315 ff. — 2°) Sieg. UB I S. XXIII.
21) ..Die westf. Siegel..." S. 19 u. Tf. 78, 3. — Die Umschrift des Siegels ist übrigens zu lesen:
+ SIGILLVM SCT KILIANI ET CIVIVM D CVRBAC, nicht mit Tumbült ... DE ERBAC.
22) H. J. v. Brockhusen: Mein Waldeck, Heimatkundl. Beil. z. Waldeckischen Landeszeitung
1950 Nr. 11; H. Nicolai: ebd. 1950 Nr. 13. Die waldeckschen Stadtsiegel mit Kirchenpatron und
gräflicher Wappenfigur sind sämtlich spät und erst nach dem mißgedeuteten Vorbild des Kor-
bacher geschnitten.
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