Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung [Hrsg.]
Nassauische Annalen: Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung — 63.1952

DOI Heft:
Literaturbesprechung
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.62672#0381
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Literaturbesprechung

361

Begründers von Neu-Hanau, geworden ist. Dessen Mutter Magdalena von Waldeck aber hatte 1581
in zweiter Ehe Graf Johann II. von Nassau-Siegen geheiratet. Da die Hanauer Grafen während
des 16. und 17. Jh. infolge des zu frühzeitigen Todes ihrer Väter durchweg unter Vormundschaft
standen, haben die Nassauer Grafen als Vormünder der Hanauer Grafen im 16. Jh. eine geradezu
entscheidende Rolle gespielt. So war Graf Johann V. von Nassau-Dillenburg, der Bruder der mit
Graf Philipp d. J. von Hanau vermählten Adriane von Nassau, der Vormund Philipps II. und
Balthasars von Hanau-Münzenberg. Als Johann V. 1516 starb, trat sein Sohn Wilhelm I. (der
Reiche) an seine Stelle. Dieser war aber nicht nur Vormund Philipps II. von Hanau-Münzenberg,
sondern wurde auch Vormund Philipps III. und hatte naturgemäß nach seiner Ehe mit Philipps III.
Mutter Juliane von Stolberg das entscheidende Übergewicht über seine Mitvormünder Graf
Balthasar von Hanau (f 1534) und Graf Reinhard von Solms. Da dieser im Gegensatz zu
Wilhelm I. von Nassau-Dillenburg katholisch blieb, entschied es der Einfluß des nassauischen
Grafenhauses, daß Philipp III. von Hanau und mit ihm seine Herrschaft protestantisch geworden
sind. Von ebenso weittragenden Folgen war die dritte nassauische Vormundschaft über einen
Hanauer Grafen während des 16. Jh. Die Vormundschaft Graf Johanns II. von Nassau-Siegen
über Ludwig II. von Hanau brachte letzteren in engste Berührung mit Graf Johanns Vater, Graf
Johann VI. (bzw. I.) von Nassau-Dillenburg, unter dessen Einfluß Ludwig II. von Hanau zum
reformierten Bekenntnis übertrat und dieses nach seinem Regierungsantritt 1596 auch in seiner
Grafschaft einführte. Die Frucht dieses Bekenntniswechsels war die „Capitulation der Neustadt
Hanau", welche bereits am 1. Juli 1597 zwischen dem Grafen und den in Frankfurt ansässig
gewordenen, aus den Niederlanden und aus Frankreich vertriebenen Calvinisten abgeschlossen
wurde und das Schicksal der Stadt bis zum heutigen Tage bestimmt hat. Denn aus ihr entstand
in der Neustadt Hanau das bis in die Gegenwart berühmte mitteldeutsche Goldschmiedezentrum,
dessen künstlerische Anliegen in der hohen Schule der Hanauer Zeichenakademie ihren gültigen
Ausdruck fanden. Der Verfasser hat daher mit Recht dieser Schule und ihren Leitern eine be-
sonders eingehende und liebevolle Behandlung zuteil werden lassen.
Es ist verständlich, daß bei diesen nächsten persönlichen Bindungen zwischen dem Hanauer und
dem Nassauer Grafenhaus auch künstlerische Verbindungen bestanden, die mir in der Gestalt des
Hausbuchmeisters, dem L. in der spätmittelalterlichen Hanauer Kunstgeschichte einen ent-
scheidenden Vorrang einräumt, eine gemeinsame Verkörperung gefunden zu haben scheinen; denn
wie die Studien 0. Gesserts erwiesen haben, sind auch zwischen dem Hausbuchmeister und den
Nassauer Grafen engere Beziehungen anzunehmen. Ihre Ausdehnung auf das Hanauer Grafenhaus
hat vielleicht Adriane von Nassau vermittelt, deren Bildnis uns der Hausbuchmeister wohl in der
Frauengestalt mit dem mit AN signierten Schild (Abb. S. 115) überliefert hat. Darüber hinaus
aber verknüpfen sich mit dem Namen Adrianes noch zwei ganz besonders schöne, hier bisher wohl
kaum bekannte spätmittelalterliche Arbeiten: ihr Grabmal, das diese schöne Frau in ganzer Figur
neben ihrem Vollwappen zeigt (S. 91), und ihre ebenso prachtvolle Bronzegrabplatte (S. 114), die
nur das nassauische Wappen schmückt — Leistungen von hohem künstlerischen und heraldischen
Rang. Schließlich ziert auch das bekannte Bild Wilhelms des Schweigers von Anthonis Mor das
vorliegende Buch (S. 139).
Diese Ausführungen mögen gezeigt haben, daß dieses Hanauer Werk gerade auch in Nassau
starker Beachtung wert ist, wenn auch das Lob, das sein Bildteil verdient, für den Textteil nicht
in gleicher Weise gelten kann. Es sind dem Autor manche Versehen und Ungenauigkeiten unter-
laufen, die Dr. R. Bernges, Hanau, in einer kritischen Betrachtung zusammengefaßt hat (Privat-
druck Jan. 1952). Obwohl aber die dort gebotene Fehlerliste noch zu vermehren wäre, scheint es
mir doch nicht berechtigt, ihre Bedeutung so hoch einzuschätzen, daß man deshalb das ganze
Werk ablehnen zu müssen glaubt. Das Anliegen des Verfassers war ein ganz anderes als ein exakt
historisches, und eine allgemeine kunstgeschichtliche Betrachtungsweise, die hier unbedingt und
mit Recht vorwaltet, kann man nun einmal nicht mit der Elle ortsgeschichtlicher Genauigkeit
messen. Die Welt, die hier eingefangen wird, ist größer und bunter und daher in manchem Einzel-
zug sicher auch etwas unschärfer, ohne daß das aber die Gesamtwirkung schädigt. Diese scheint
mir vielmehr unter gewissen allgemeinen stilistischen Eigentümlichkeiten zu leiden, von denen
das starke persönliche Hervortreten des Autors, das sich bis zur Wiedergabe seines eigenen Bildes
(„bei der Niederschrift des Buches") steigert, um so störender empfunden werden muß, als ein
solches Verhalten der deutschen wissenschaftlichen Tradition geradezu widerspricht. Aber auch
das ist schließlich zu verstehen, wenn auch nicht zu billigen und kann das gute Gesamturteil, das
dieses Werk verdient, nicht entscheidend beeinträchtigen; es ist gerade auch vom Standpunkt
unserer Landesgeschichte aus gesehen ein wertvoller Beitrag zu jenem größeren Nassau des 16. Jh.
und seiner hohen politischen und geistesgeschichtlichen Stellung im Gefüge der durch die Refor-
mation erstmals wieder bis in ihre Grundfesten erschütterten westlichen Welt.
K. E. Demandt
 
Annotationen