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Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung [Hrsg.]
Nassauische Annalen: Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung — 65.1954

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Grün, Hugo Hermann: Geist und Gestalt der Hohen Schule Herborn
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https://doi.org/10.11588/diglit.62670#0172
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Hugo Grün

scheitern, weil die verbesserten Einrichtungen zu spät kamen und ihr das so
wichtige Promotionsrecht fehlte. In den letzten Jahrzehnten ihres Bestehens
waren die Lehrstühle mit Professoren besetzt, die durch Familienbande unter-
einander eng verbunden waren, so daß sich für neue aufstrebende Talente keine
Entfaltungsmöglichkeit bot. Für die Hohe Schule galt das Dichterwort „Im
engen Kreis verengert sich der Sinn“, und es ist kein Wunder, daß sie in einen
Dornröschenschlaf versank.
Doch zeigt uns die Matrikel, eine wie große Zahl von Männern, die später im
heimatlichen Kirchen- und Schuldienst standen und darüber hinaus am Nieder-
rhein, in Westfalen und anderwärts in reformierten Gebieten wirkten, ihre
Ausbildung in Herborn erfahren haben. Nicht anders ist es bei den Studenten
der Rechtswissenschaft, die als Verwaltungs- und Regierungsbeamte vor allem
in der nassauischen Heimat tätig gewesen sind39 40). Werden noch heute in der
wissenschaftlichen Welt Männer wie Piscator, Pasor, Althusius und Alsted mit
Hochachtung genannt, so dürfen doch die anderen nicht vergessen werden, wie
Rosenbach, Melchioris, Nethenus, Schramm, Fuchs und viele andere, die als
Träger reformierten Geistes durch Frömmigkeit, Ernst und Fleiß in der Er-
forschung der Wahrheit, Sittenstrenge und Charakterfestigkeit eine akademische
Jugend gebildet haben. Über Heimat und Herkunft der Professoren berichtet
Burchardi in einem akadem. Programm 1781. Dort erfahren wir auch, von
und nach welchen Universitäten und Akademien des In- und Auslandes Her-
borner Professoren berufen worden sind. Die Teilnahme der Herborner Vertreter
an der Dordrechter Synode und der Professorenaustausch innerhalb der refor-
mierten Gebiete weisen auf die ökumenische Bedeutung der Herborner
Hohen Schule hin. Sie wird auch deutlich im Besuch der Studenten, vor allem
während ihrer Blütezeit, aus der gesamten europäischen Welt. Persönliche
Beziehungen der Professoren, die sie entweder auf ihren Studien- und Wander-
jahren nach der damaligen Sitte angeknüpft haben, oder durch den Ruf als
Gelehrte, ließen aus den reformierten Ländern Studenten die Herborner Hohe
Schule beziehen. Dieses geistige Verbundensein mit Fürsten, Adligen, Gönnern
und Freunden rief einen lebhaften Briefwechsel mit den Professoren hervor,
ersetzten doch in jener Zeit solche Briefe weithin die gelehrten Zeitschriften
unserer Tage41). Auch der Gesangbuchsplan Johanns VI., der allerdings anders
als ursprünglich gedacht zur Ausführung kam, bildete ein Einigungsband weiter
reformierter Gebiete42). Ebenso kommt der Bibel Piscators ökumenische Be-
deutung zu.
Trotz der reformierten Bestimmtheit herrschte in Herborn ein versöhnlicher
Geist der lutherischen Kirche gegenüber. Noch 1629 erklärten die Herborner
Professoren, daß sie der Augsburgischen Konfession anhingen43). Ein Piscator
hat es abgelehnt, ein „Calvinist“ genannt zu werden, und mit Hochachtung
spricht ein Rosenbach von Luther und seinem Werk. In all dem spürt man etwas
von Bucers Geist, Einfluß und kirchlicher Haltung. Begreiflich ist es daher,
wenn die Gedanken einer Union in Herborn nicht untergegangen sind, wie sie
39) A. Nebe, Die H. Schule Herb, in ihren Beziehungen zum Bergischen Land, in: Zschr. d.
Berg. Geschichtsvereins 1884.
40) Akadem. Programm 1781. Berufungen von Herborn erfolgten nach Deventer, Gießen, Erfurt,
Frankfurt a. d. O., Franeker, Gießen, Gröningen, Hanau, Haderwijk, Heidelberg, Bremen,
Leyden, Marburg, Sedan, Rinteln, Steinfurt, Utrecht, Zerbst.
41) Alsteds Briefe, in einem Bande gesammelt, im Staatsarch. Wiesbaden. Vgl. Th. Wotschke,
Des Herborner Alsted Verbindung mit Polen, im: Archiv f. Reformationsgesch. 1936 S. 145 — 64.
Leider ist die Briefsammlung von Gelehrten der Reformationszeit in der ehern. Herzogl. Bibliothek
in Gotha nicht mehr zugänglich.
42) P. Wagner, Ein Gesangbuchplan des Grafen Johann VI. v. Nassau, in: Nass. Ann. 44. Jg.
1918 S. 153ff.; W. Hollweg, Gesch. der ev. Gesangbücher am Niederrhein im 16. —18. Jh.
(1923); H. Poppen, Das erste kurpfälz. Gesangbuch in s. Singweisen (1938).
43) A. Adam, Die Nass. Union: in Jhrb. d. Kirchengeschichtl. Vereinigung in Hessen u. Nassau,
Bd. 1 (1949), insbes. S. 58—64.
 
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