Das Büstenreliquiar des heiligen Lubentius
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Zwischenglied gelten, das den Typ des (aus Basel stammenden) Eustachius-
kopfes in London — d. h. den Oberrhein und das Bodenseegebiet — mit den
niederrheinischen und maasländischen Kopfreliquiaren des 12./13. Jahrhunderts
verbindet. Damit ist der Typ des reinen Kopfreliquiars für diesen Zeitraum im
gesamten Rheinland bezeugt, weil nunmehr erhaltene Beispiele in London (aus
Basel stammend), Dietkirchen, Igel (bei Trier), Düsseldorf, Hannover (aus Fisch-
beck) und Cappenberg (als Aachener Arbeit) nachweisbar sind.
Bei einem Vergleich mit dem im ausgehenden 13. Jahrhundert (im Rhein-
land?) entstandenen Kopfreliquiar des hL Gereon aus dem Halleschen Heiltum
(Taf. 5, 3)11), das leider nur in einer vorzüglichen Wiedergabe in dem berühm-
ten Aschaffenburger Codex überliefert ist, zeigt sich die Verwandtschaft des
Typs mit dem Lubentiushaupt ganz auffällig. Die Ähnlichkeit von Haartracht
und Lockenform, das harte Unizeichnen von Augapfel und Lippen, die Verwandt-
schaft im Baugerüst des Gesichts weisen den Dietkirchener Kopf in zeitliche
Nähe, wohl in etwas frühere Zeit.
Aufschlußreich scheint auch der Vergleich mit einem der wenigen erhaltenen
metallenen Büstenreliquiare des 13. Jahrhunderts, das i. J. 1606 aus Kloster
Heidenheim in Mittelfranken nach Scheer an der Donau verbracht wurde (Taf. 5,
2)12). Diese Wunibaldsbüste charakterisiert gleichfalls ein kantig harter und fa-
cettierender Stil13). Aber wo bei dem Dietkirchener Lubentiushaupt die Gesichts-
züge noch in festem Systemgerüst zusammenhaften, werden sie dort in dyna-
mischem Manierismus auseinandergerissen — was das Dietkirchener Reliquiar
als das etwas ältere Kunstwerk erweist. Wir gelangen auch von hier aus zu einer
Datierung des Lubentiuskopfes in das diitte Viertel des 13. Jahrhunderts.
Ungemein schwierig ist die notwendige Aufgabe, das Lubentiushaupt mit ver-
wandten gleichzeitigen Skulpturen in der Landschaft seiner Entstehung in Ver-
bindung zu bringen, zumal nur Köpfe und keine Ganzfiguren verglichen werden
können. Am naheliegendsten wäre natürlich ein Vergleich mit Kunstwerken der-
selben Technik. Doch blieben aus dem 13. Jahrhundert im mittelrheinischen
Gebiet nur verschwindend wenige und dabei nur selten qualitätvolle Gold-
schmiedearbeiten erhalten, darunter gar keine figürliche Goldschmiedeplastik.
Die „mittelrheinischen“ Stein- und Holzskulpturen aus der zweiten Hälfte des
13. Jahrhunderts lassen sich zu keiner Einheit binden, da sie ein Durchzugs-
gebiet widerspiegeln, was unseren Versuch des Einordnens erheblich behindert.
Am nächsten liegt der Gedanke an eine Limburger Werkstatt; doch gibt es
dort weder verwandte Skulpturen noch Goldschmiedearbeiten14). Auch die Mar-
burger Plastik bietet keine überzeugenden Vergleiche: weder die (früher entstan-
dene) Tumba des Landgrafen Konrad im Querhaus von St. Elisabeth noch die
Madonna im Tympanon des Westportals kommen dem Lubentiushaupt nahe.
Der in diesem Gebiet bis zur Wetterau hin greifbare Einfluß von Westfalen und
von Magdeburg her wirkte nicht im mindesten auf den Dietkirchener Kopf ein,
was gegen eine Entstehung des Lubentiushauptes im Lahntal spricht. Auch der
wohl im Rheinland zwischen den Jahren 1236 und 1249 entstandene Schrein der
hl. Elisabeth in Marburg steht dem Lubentius fern. Läßt sich mit ihm auch kein
direkter Vergleich durchführen, so zeigt er doch die für beide Werke bestimmende
Stilquelle auf, die weit im Westen, irgendwo im östlichen Frankreich liegen muß15).
11) Repr. aus: Halm-Berliner, Das Hallesche Heiltum (1931) Taf. 118a.
12) Stuttgart, Photoarchiv der Württemberg. Denkmalpflege.
13) Wir datieren diese, im Frühbarock leicht überarbeitete Büste in die Zeit um 1280. Vgl. Die
Kunstdenkmäler in Württemberg: W. v. Matthey, Die Kd. d. Kreises Saulgau (1938) Taf. 105,
S. 132f. — Kunstdenkmäler von Bayern, TI. 5: Mittelfranken, Heft VI: Gunzenhausen, Abb. 135,
S. 155. — Pantheon Bd. XVI (1935) S. 371—73. — usw.
14) Der Kelch aus der 1. H. 13. Jhs. im Limburger Domschatz gibt gar keine Vergleichsmöglich-
keiten. Vg]. Katalog der Darmstädter Ausstellung 1927 Nr. 417, Taf. 41. Die Tumba des Grafen
Kurzbold ist wohl von westfälisch-rheinischen Werken abhängig. — 15) Vgl. R. Hamann, Die
Plastik der Elisabethkirche zu Marburg und ihre künstlerische Nachfolge (1929) Abb. 11 u. 25.
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Zwischenglied gelten, das den Typ des (aus Basel stammenden) Eustachius-
kopfes in London — d. h. den Oberrhein und das Bodenseegebiet — mit den
niederrheinischen und maasländischen Kopfreliquiaren des 12./13. Jahrhunderts
verbindet. Damit ist der Typ des reinen Kopfreliquiars für diesen Zeitraum im
gesamten Rheinland bezeugt, weil nunmehr erhaltene Beispiele in London (aus
Basel stammend), Dietkirchen, Igel (bei Trier), Düsseldorf, Hannover (aus Fisch-
beck) und Cappenberg (als Aachener Arbeit) nachweisbar sind.
Bei einem Vergleich mit dem im ausgehenden 13. Jahrhundert (im Rhein-
land?) entstandenen Kopfreliquiar des hL Gereon aus dem Halleschen Heiltum
(Taf. 5, 3)11), das leider nur in einer vorzüglichen Wiedergabe in dem berühm-
ten Aschaffenburger Codex überliefert ist, zeigt sich die Verwandtschaft des
Typs mit dem Lubentiushaupt ganz auffällig. Die Ähnlichkeit von Haartracht
und Lockenform, das harte Unizeichnen von Augapfel und Lippen, die Verwandt-
schaft im Baugerüst des Gesichts weisen den Dietkirchener Kopf in zeitliche
Nähe, wohl in etwas frühere Zeit.
Aufschlußreich scheint auch der Vergleich mit einem der wenigen erhaltenen
metallenen Büstenreliquiare des 13. Jahrhunderts, das i. J. 1606 aus Kloster
Heidenheim in Mittelfranken nach Scheer an der Donau verbracht wurde (Taf. 5,
2)12). Diese Wunibaldsbüste charakterisiert gleichfalls ein kantig harter und fa-
cettierender Stil13). Aber wo bei dem Dietkirchener Lubentiushaupt die Gesichts-
züge noch in festem Systemgerüst zusammenhaften, werden sie dort in dyna-
mischem Manierismus auseinandergerissen — was das Dietkirchener Reliquiar
als das etwas ältere Kunstwerk erweist. Wir gelangen auch von hier aus zu einer
Datierung des Lubentiuskopfes in das diitte Viertel des 13. Jahrhunderts.
Ungemein schwierig ist die notwendige Aufgabe, das Lubentiushaupt mit ver-
wandten gleichzeitigen Skulpturen in der Landschaft seiner Entstehung in Ver-
bindung zu bringen, zumal nur Köpfe und keine Ganzfiguren verglichen werden
können. Am naheliegendsten wäre natürlich ein Vergleich mit Kunstwerken der-
selben Technik. Doch blieben aus dem 13. Jahrhundert im mittelrheinischen
Gebiet nur verschwindend wenige und dabei nur selten qualitätvolle Gold-
schmiedearbeiten erhalten, darunter gar keine figürliche Goldschmiedeplastik.
Die „mittelrheinischen“ Stein- und Holzskulpturen aus der zweiten Hälfte des
13. Jahrhunderts lassen sich zu keiner Einheit binden, da sie ein Durchzugs-
gebiet widerspiegeln, was unseren Versuch des Einordnens erheblich behindert.
Am nächsten liegt der Gedanke an eine Limburger Werkstatt; doch gibt es
dort weder verwandte Skulpturen noch Goldschmiedearbeiten14). Auch die Mar-
burger Plastik bietet keine überzeugenden Vergleiche: weder die (früher entstan-
dene) Tumba des Landgrafen Konrad im Querhaus von St. Elisabeth noch die
Madonna im Tympanon des Westportals kommen dem Lubentiushaupt nahe.
Der in diesem Gebiet bis zur Wetterau hin greifbare Einfluß von Westfalen und
von Magdeburg her wirkte nicht im mindesten auf den Dietkirchener Kopf ein,
was gegen eine Entstehung des Lubentiushauptes im Lahntal spricht. Auch der
wohl im Rheinland zwischen den Jahren 1236 und 1249 entstandene Schrein der
hl. Elisabeth in Marburg steht dem Lubentius fern. Läßt sich mit ihm auch kein
direkter Vergleich durchführen, so zeigt er doch die für beide Werke bestimmende
Stilquelle auf, die weit im Westen, irgendwo im östlichen Frankreich liegen muß15).
11) Repr. aus: Halm-Berliner, Das Hallesche Heiltum (1931) Taf. 118a.
12) Stuttgart, Photoarchiv der Württemberg. Denkmalpflege.
13) Wir datieren diese, im Frühbarock leicht überarbeitete Büste in die Zeit um 1280. Vgl. Die
Kunstdenkmäler in Württemberg: W. v. Matthey, Die Kd. d. Kreises Saulgau (1938) Taf. 105,
S. 132f. — Kunstdenkmäler von Bayern, TI. 5: Mittelfranken, Heft VI: Gunzenhausen, Abb. 135,
S. 155. — Pantheon Bd. XVI (1935) S. 371—73. — usw.
14) Der Kelch aus der 1. H. 13. Jhs. im Limburger Domschatz gibt gar keine Vergleichsmöglich-
keiten. Vg]. Katalog der Darmstädter Ausstellung 1927 Nr. 417, Taf. 41. Die Tumba des Grafen
Kurzbold ist wohl von westfälisch-rheinischen Werken abhängig. — 15) Vgl. R. Hamann, Die
Plastik der Elisabethkirche zu Marburg und ihre künstlerische Nachfolge (1929) Abb. 11 u. 25.