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Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung [Editor]
Nassauische Annalen: Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung — 69.1958

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Oestreich, Gerhard: Graf Johann VII. Verteidigungsbuch für Nassau-Dillenburg 1595: der Unterschied der nassauischen von der oranischen Staats- und Wehridee
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https://doi.org/10.11588/diglit.70490#0187

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Graf Johann VII. Verteidigungsbuch für Nassau-Dillenburg 1595 163
Karls V. im persönlich-vertrauten Gespräch mit dem Kaiser gewonnen. Während
Johann sich um die Reform der von ihm für alle Brüder regierten Grafschaft, um
die kleinen Finanz- und Verwaltungsdinge abmüht, führt der Oranier den Kampf
gegen einen der klügsten Staatsmänner der Zeit, Granvella, und besiegt ihn.
Beide Brüder treffen wieder zusammen, als Wilhelm in der Verbannung auf dem
väterlichen Schloß in Dillenburg die Jahre des Exils zur Vorbereitung seines
Kampfes um Erbe und Stellung nutzt. Sie wirken aufs engste zusammen bei dem
nun entfachten Kampf der Generalstaaten gegen die Monarchie Philipps II.
Während Wilhelm für Toleranz und Einheit des ganzen Landes eintritt, sucht
Johann anfänglich die lutherische, sodann die calvinistische Partei in den ihm
zugänglichen Teilen des Landes zu stärken. Beide trennen sich, aber der von
seinem Glauben getriebene Johann unterstützt den von Wilhelm bis zu seiner
Ermordung geführten Freiheitskampf weiter.
Auch die Söhne dieser großen Männer stehen durch unterschiedliche Ausbil-
dung und überkommenes väterliches Erbe voneinander getrennt. Johann der
Jüngere hatte wie sein Vetter Moritz die Grafenschule in Siegen besucht, dann
nach einem kurzen Aufenthalt an der reformierten Universität Heidelberg eine
Reise nach Italien und Frankreich unternommen, seinen Vater in die Niederlande
begleitet, sich im wesentlichen der Verwaltung und den Regierungsgeschäften des
kleinen Territoriums widmen müssen, da der Vater oft lange abwesend war. Hier
hat er die väterlichen Ideen eines Landesdefensionswesens ganz in sich aufge-
nommen und das neuzeitliche Waffenexerzieren zur Schießausbildung geschaffen.
Seine mehrfachen Aufenthalte in den Niederlanden während der 90er Jahre mit
der Teilnahme an Belagerungen und Felddiensten seines Vetters Moritz und
Bruders Wilhelm Ludwig verraten militärische Beobachtungsgabe und Klugheit,
verändern aber seine wesentlich vom Vater geprägten Anschauungen nicht. Das
Verteidigungsbuch, aber auch viele spätere Zeugnisse künden von seiner calvi-
nistischen Staats- und Wehrgesinnung47). Dagegen erhebt sich sein Vetter Moritz
schnell über diese bekenntnisgebundenen Voraussetzungen. Vielleicht hat bereits
das Studium an der Universität Leiden, insbesondere bei dem von ihm immer als
seinen Lehrer bezeichneten Justus Lipsius, sodann das Lagerleben weltlichere
Anlagen weitergebildet. In diesem Festungswissenschaftler und -Ingenieur kommt
der neue, mathematisch-rational planende Geist des 17. Jahrhunderts am ehesten
zum Vorschein.
Dieser nüchtern-realistische Geist ist es auch, der die niederländische Heeres-
praxis im Unterschied zur nassauischen Wehrpolitik bestimmt. Im Stammland
wird ein auf der mutua obligatio ruhendes Defensionswerk aus Untertanen
geschaffen, auf dem niederländischen Kriegsschauplatz wird eine Neugestaltung
des Söldnerheeres überhaupt in Angriff genommen. Der Gedanke des dilectus,
der Auswahl unter der einheimischen Bevölkerung, den Lipsius als einen der
beiden Kardinalpunkte seiner Reformschrift neben dem Disziplin-Gedanken in
den Vordergrund gerückt hatte, wird nur in der nassauischen Grafschaft,
jedoch nicht in den Niederlanden verwirklicht. Der reiche Handelskapitalismus
mit seinen Geldmitteln kann dem geworbenen Berufsheer eine feste Grundlage
bieten. Beide Reformtendenzen laufen letztlich auseinander, weil die Nassauer
Grafen auf Abwehr, auf bescheidenste Defension — in möglichster Verbindung
47) Vgl. den Brief Johanns VII. an seine Stiefmutter aus Reval vom 18. Nov. 1601 während seines
militärischen Oberbefehls in Livland, der einen echten Calvinisten zeigt. Abdruck bei J. Frhr.
v. Bohlen, Johann des MittL, Grafen zu Nassau-Katzenellenbogen Heerfahrt nach Livland . . .
1601 und 1602. Mitt, aus der livl. Gesch. VII, 1853 S. 58ff. Nach der Schilderung des großen
Hunger- und Kältetodes in Livland heißt es: „Ich will unterdessen mit Gottes Hilfe als ein Christ
mit Geduld das Kreuz, so er mir auferlegt, tragen und fleißig, wann es gut werden will, an den ver-
lorenen Sohn gedenken, dann ich spüre in der Tat, daß es mit menschlicher Vernunft und Witze
nicht ausgerichtet und daß allein an Gottes Erbarmen beruhet und gelegen ist; und hab ich diese
Nacht den 13. Psalm mit Tränen betrachtet, welche mein heb Gemahl selige kurz für ihren Ende in
ihren Nöten ganz andächtig und christlich gesungen.“

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