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Künstler-Gesellschaft Zürich [Hrsg.]
Neujahrsblatt der Künstlergesellschaft in Zürich — 4.1844

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[Meyer, Heinrich]: I. Lebensbeschreibung von David Heß
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https://doi.org/10.11588/diglit.28555#0010
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I

Lebensbeschreibung von David Heß.

Wenn jcmand von nns schcidct, dcr uns licb gewordcn war, dcr auf unscr innercs Lcben großen Einfluß hatte,
dcm wir alle unscre Gedanken, Wnnsche und Hoffnungcn mittheiltcn, und der uns durch sein Gemüth so sehr
beglückte, daß in seinem Umgang alle unscre Empfindungen leicht und froh sich entfaltcten, und jede Untcrhaltung
einen tiefen Eindruck zurücklicß: so sind wir lange Zeit bctrübt; dcnn unser Leben hat cinen Haltpunkt verloren,
und wir müsscn erst allmählig wicder an das Leben uns gewöhnen, wir empfindcn täglich die große Lücke, die in
unserm ganzen Wesen entstanden ist, wir sind ärmer gcwordcn: denn durch seinen rcichen Gcist waren auch wir
reichcr gcworden. Es gibt Verbindungen, die gctrennt nicmals wicdcr auf ähnliche Wcise ncu sich bildcn: denn
wie vicl gehört dazu, um sich gegenscitig zu verstehen, um durch des Andern Gedanken, Urtheile und Meinungen
überall angesprochen, angeregt und gefördert zu werden. Wie gewinnt das Lcbcn an Werth und Gchalt, wenn
alle Erlebnisse durch Mittheilung des Freundes aus dem Alltäglichcn herausgehobcn und aus cinem würdigercn und
höhern Gesichtspunkte beurtheilt, wenn alle Studicn, alle Bctrachtungen, zu denen wir uns veranlaßt fühlcn, durch
den Umgang mit dem gercistercn Manne eingreifender, tiefcr wirkend, klarer werden. Wie schmerzlich ist dahcr dcr
Vcrlust cincs solchcn ManneS, wenn wir überhaupt empfinden, daß wir nur mit ihm und durch ihn das ganz sein
können, was wir gerne sein möchtcn, wovon uns ein Jdeal vorschwcbt, zu dcssen Erreichung abcr wir gcrade dieses
Mannes gleichsam als Lehrers, BegleiterS, Führcrö bedurftcn.

Nachstehendes kann nicht auf den Namcn eincr vollständigcn Biographic des vercwigten DavidHeß Anspruch
machen. Der Vcrfasscr lcrntc nämlich den cdeln Mann crst zehn Jahre vor scincm Tode kennen, und ist dahcr
nicht im Stande, das ganzc Lebcn in seincr Ticfe und Fülle, so wic er wünschte, zu bcschrcibcn, er gibt nur
einzelne Zügc, und hofft, daß dcrjcnige, der ihn länger kanntc nnd ihm stets nahe stand, leicht dieselben vervollständigen
und zu cinem Ganzen vcreinigen werde, und wünscht, daß sclbst sür dcn, dcr ihn gar nicht kannte, das Wcnige,
was cr mittheilcn wird, hinrcichcnd sei, um ihn auf die Tüchtigkcit von Hcßcns Geist und die Trcfflichkeit seines
Charaktcrs ausmcrksam zu machcn.

Wenn wir es nun vcrsuchen wollen, Nechcnschaft zu gebcn, worin das Wesen dieses Manncs bestanden habe,
so gcdenken wir zuerst der äußern Erschcinung. Die angcnchme Pcrsönlichkeit, die in scincm ganzen Acußern
hcrvortrat, verricth das bedeutende Gcistige dcs Jnncrn. Wohlwollcn und Lebendigkcit des Geistes war der Ausdruck
seiner Züge. Man fühlte stch zu ihm hingezogen, weil man das edlcrc Elcment, das ihm innewohntc, schnell
crkannte. Seine feine und scharf gezcichncte Gesichtöbildung hattc besondcrs in der Jugcnd nicht geringe Aehnlichkeit
mit Johann Kaspar Lavatcr, und nach dem Tode trat dicselbe wieder auf überraschende Wcise hervor.
Beide Männer hatten, wie verschiedcn anch ihr Lcben und Wesen sich entfaltete und gestaltete, ncben dieser äußern
Ucbercinftimmung auch manche Aehnlichkcit des inncrn Lcbcns, z. B. Empfänglichkeit für allcs Schöne und Große,
Wohlwollcn gegen Jedermann, feinc Lcbensart, geistige Lcichtigkeit, so wie auch jene rege Phantaste, die oft die
Stelle deS wisscnschaftlichcn Elcmentcs vcrtrctcn mußte.

Die Natur hatte ihm alle gesellschaftlichen Talentc mit freigcbiger Hand geschenkt; er bcsaß die Kunst, sich mit
allcn Leutcn schnell in's richtige Vcrhältniß zu sctzen, er licbte dic Menschen und wollte sie kenncn lernen, sie
bcobachten und sich durch ihren Umgang bilden. Seinc ganze Bildung vcrdankte er überhaupt großcnthcils dem
 
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