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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 1.1926/​1927

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Behne, Adolf: Kultur, Kunst und Reklame
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https://doi.org/10.11588/diglit.17290#0077
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KULTUR, KUNST UND REKLAME Von Adolf Behne, Charlottenburg

Immer wenn der gebildete Europäer zwei Dinge nicht zufammen bringt, holt
er die Kunft als eine Art Klebeftoff heran. Er kann aber die Dinge meift nur
deshalb nicht zufammenbringen, weil er weder das eine noch das andere vor-
urteilslos in feiner elementaren Einfachheit zu fehen vermag. Dazu hat er auch
von der Kunft eine fchiefe und krumme Auffaffung, wenn er fie als eine äfthe-
tifche Rettungsftation anfieht.

Kultur! Der Europäer kommt fich vor wie das Kind in der Kirche, fobald das
Wort erklingt. Kultur ift eine ganz, ganz tiefe, gewaltige und daher ferne Sache.
Da fteht er andächtig mit gefalteten Händen, alfo untätig. Er fucht die Kultur
in den Urwäldern Afrikas, in den Dfchungeln Indiens, auf den Eisfeldern der
Eskimos. Stöfjt er zufällig in der Nähe auf Kultur, fo fchiebt er fie übelgelaunt
beifeite und nennt fie Zivilifation.Zivilifation bedeutet: Arbeit, Zielferjung, Ord-
nung, Dienft am Fortfehritt; Arbeit und nochmals Arbeit - ift alfo eine ganz
fpiefjige, glatte und banale Angelegenheit. Kultur ift dasfelbe, noch fehr viel
intenfiver, dabei aber nicht glatt, fondern fchroff, wild, bunt, ift romantifche Na-
tur, zwar Anftieg, doch ohne Arbeit; zwar Schaffen, doch ohne Fortfehritt, zwar
Ordnung, doch ohne Ordnung. Kultur ift Lieblingsphrafe einer Spezies Ge-
bildeter, vor deren Seelengröfje nichts nach Dante Alighieri zu beftehen ver-
mag. — Alfo das ift Kultur.
Und nun Plakat und überhaupt Reklame!

Gibt es denn noch etwas gleich Verächtliches wie Reklame? Diefe parafitär
wuchernde Erfindung fich vordrängender Gefchäftemacher! Läfjt fich wohl in
einer heroifchen Welt Reklame überhaupt denken? Nein, Reklame ift Aus-
druck der modernen Gefellfchaft, in der der Händler den Helden verdrängte.
Das Plakat ift nicht einmal Zivilifation, fondern Schädling und Unkraut.
Bei dem Worte Kultur hört der gebildete Europäer Orgelraufchen aus der
Tiefe, bei dem Worte Reklame fchüttelt er fich!

Aber diefer kulturgefchwätjige Europäer ift nicht imftande, die Welt nach fei-
nem Ideal zu bilden, nicht einmal die Strafje, durch die er täglich geht, nicht
einmal die Faffade des Haufes, in dem er wohnt, ja nicht einmal die Zeitung,
die er trotj allem beim Morgenkaffee lieft. Uberall Reklame: Plakate, Inferate,
Offerten, Preisliften, Profpekte, Kataloge, Einladungen, Anfragen!
Aber das eine erreicht er mit feiner Abneigung doch: dafj jene, die Reklame
machen, unficher werden und viele ihre Reklame mit fchlechtem Gewiffen
machen! Dafj fie das Gefühl bekommen: wir müffen zwar Reklame machen,
aber da Reklame etwas Kulturwidriges ift, fo wollen wir fie machen, als mach-
ten wir eigentlich keine Reklame. Wir müffen in erfter Linie die Kultur fördern,
die Reklame darf nur ganz beiläufig mitgehen. Wenn man eine Sache, die
man nicht ganz einwandfrei findet, als edel, hilfreich und gut darbieten möchte,
fo engagiert man einen Künftler.

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