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Neue Galerie (Wien) [Contr.]; Gogh, Vincent van [Ill.]
Vincent van Gogh, Aquarelle und Handzeichnungen: Februar-März 1928 — Wien: Krystall-Verlag, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.63157#0005
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T~^ie Karre, die man zieht, muß Leuten nützlich sein, die man nicht
* ' kennt. Wenn wir an die neue Kunst und an die Künstler der
Zukunft glauben, täuscht uns unsere Vorahnung nicht. Wir stehen aber
noch nicht am Rande des Grabes und fühlen, daß die Kunst größer und
länger als unser Leben ist. Wir fühlen uns nicht sterben, aber fühlen uns
gering, und um ein Glied in der Künstlerkette zu sein, zahlen wir einen
harten Preis der Jugend, der Gesundheit, der Freiheit, die wir nicht mehr
genießen als der arme Droschkengaul, der die Leute, die den Frühling
genießen wollen, in die freie Natur hinauszieht. Jene Hoffnung Puvis de
Chavannes’ soll und muß sich verwirklichen: Es gibt eine Zukunftskunst,
und sie muß so schön und jung sein, daß wenn wir jetzt unsere eigene
Jugend opfern, wir an Lebensfreude und Frieden gewinnen müssen.
Ich verfolge keinerlei System beim Malen, ich haue auf die Leinwand
in regellosen Strichen und lasse sie stehen. Pastositäten — unbedeckte
Stellen hier und da — ganz unfertige Ecken — Übermalungen —
Brutalitäten — und das Resultat ist (ich muß es wenigstens annehmen)
zu beunruhigend und verstimmend, als die Leute, die auf Technik sehen,
daran Gefallen finden können.
Augenblicklich habe ich eine Ausstellung bei mir, da ich alle Studien
an die Wand genagelt habe. Wenn man darunter eine Auswahl trifft,
kommt es auf dasselbe heraus, als wenn ich sie mehr studiert und durch-
gearbeitet hätte: denn ob man schließlich dasselbe Sujet so und so oft
auf einer und derselben oder auf mehreren Leinwänden malt, ist gleich
ernsthafte Arbeit.
Wenn ich so direkt immer nach der Natur male, suche ich in der
Zeichnung das Wichtige aufzufassen, dann fülle ich die durch den Kontur
begrenzten Flächen (ob sie nun geglückt sind oder nicht: empfunden sind
sie jedenfalls) mit vereinfachten Tönen aus. In allem, was Terrain ist, muß
derselbe violette Ton vorkommen, der ganze Himmel muß im Grund in
einem blauen Ton gehalten sein, das Laubwerk blaugrün oder gelbgrün
(wobei man absichtlich das Gelb oder Blau betonen muß) — mit einem
Wort: keine photographische Nachahmung. Das ist die Hauptsache.
Aus Briefen van Goghs

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